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3^(?3.
BRIEFE UND TELEGRAMME
WILHELMS II. AN
NIKOLAUS II.
<i894 — 1914)
HERAUSGEGEBEN
VON
HELLMUTH VON GERLACH
1920
MEyER® JESSEN/ WIEN
Druck: Mündiner Budigewerbehaus M. Müller 'S) Sohn
Einführung.
I.
Die Briefe Wilhelms II. an Nikolaus IL, die die
ganze Zeit vom Regierungsantritt des Zaren bis zum
Weltkrieg umfassen, sind in englischer Sprache ge-
schrieben. Die Originale haben mir nicht vorgelegen.
Der Ort ihrer Aufbewahrung hinderte mich an der Ver-
gleichung der Abschriften mit den Originalen. Die
Stelle, von der sie dem Verlage übermittelt worden
sind, bürgt jedoch für ihre Echtheit wie für die Gewis-
senhaftigkeit der Übersetzung. Übrigens spricht auch
ihr Inhalt selbst überzeugend für ihre Authentizität.
Von kleinen Unebenheiten des Stils, Auslassungen ein-
zelner Wörter, nebensächhchen Irrtümern usw., läßt
sich, da die Originale zurzeit nicht zugänglich sind,
nicht feststellen, ob sie dem Übersetzer oder dem
Briefschreiber zur Last fallen. Diese Inkorrektheiten
sind jedoch offensichtlich so nebensächhch, daß sie die
Bedeutung der Publikation in keiner Weise beeinträch-
tigen können.
Diese Publikation stellt natürlich nicht ein in sich
abgeschlossenes historisches Gemälde dar. Dazu feh-
len die Briefe, die Wilhelm IL während des gleichen
Zeitraums an andere Staatsoberhäupter und sonstige
politische Persönlichkeiten gerichtet hat. Es fehlen
V
vor allem auch die Antworten des Zaren. Sie wenig-
stens hätten längst zur Veröffentlichung bereit liegen
können, wenn in den ersten Revolutionstagen nicht
schwere Unterlassungssünden vorgekommen wären. Im
Drang der Geschäfte versäumte die neue deutsche Re-
gierung, sofort die Beschlagnahme der gesamten Korre-
spondenz zu verfügen, die sich in den Schlössern Wil-
helms II. und der anderen Mitglieder des Hohenzol-
lernhauses, wie in den Wohnungen der maßgebenden
Männer des alten Regimes befand. Einige Mitglieder
des BerUner Soldatenrats versuchten, auf eigene Faust
vorzugehen. Sie fuhren nach Potsdam und wollten dort
die in den Schlössern befindlichen Schriftstücke be-
schlagnahmen. Aber der Potsdamer Soldatenrat, in dem
reaktionäre Offiziere sich den ausschlaggebenden Ein-
fluß zu sichern verstanden hatten, verhinderte diese
Maßnahme. Es standen mehr als 100 Kisten vollgepackt
zum Abtransport nach Holland bereit. Sie enthielten
auch den Inhalt der Schreibtische, soweit er nicht ver-
brannt war. Der Potsdamer Soldatenrat erlaubte der
Kaiserin, diese Kisten mit unkontrolliertem Inhalt mitzu-
nehmen. Womit wohl für alle Zeit die Hoffnung begra-
ben werden muß, die wichtigsten Schriftstücke aus dem
Besitze Wilhelms II. an die Öffentlichkeit gelangen
zu sehen, was natürlich im Interesse der vollen histo-
rischen Wahrheit sehr zu bedauern ist.
Immerhin bietet auch das unvollständige Material,
das hiermit der Öffentlichkeit übergeben wird, das
größte Interesse. Insofern es — von den Telegrammen
abgesehen — anscheinend den gesamten schriftlichen
Verkehr Wilhelms II. mit Nikolaus II. darstellt, ist es
doch ein in sich abgeschlossenes Ganzes. Auf 20
Jahre Weltgeschichte fällt manches aufklärende Streif-
VI
licht. Viele Viorgänge, deren Wirkungen die ganze
Welt und das deutsche Volk insbesondere zu spüren
bekamen, finden erst durch diese Korrespondenz ihre
psychologische Begründung. Eine ganze Reihe völHg
unbekannter oder doch nur in ihren Umrissen bekannter
oder gar nur vermuteter poUtischer Aktionen wird
klargelegt. Vor allem wird auch das Letzte darge-
boten, was noch fehlte, um das Charakterbild des
früheren Kaisers endgültig zu fixieren.
II.
Die Veröffentlichungen der letzten Monate, insbe-
sondere die von Eckardstein, von Tirpitz, von Czer-
nin und von Otto Hammann, haben schon ein ziem-
lich deutliches Porträt Wilhelms IL ergeben.
Aber alle diese Männer sind doch nur amtlich mit ihm
in Berührung gekommen. Sie hatten mit ihm als Kaiser,
nicht als Menschen zu tun.
Die Briefe an den Zaren ergeben ein Bild von „Guil-
laume IL intime". Gewiß, der Herrscher schreibt an
den Herrscher. Aber es schreibt doch auch der Freund
an den Freund. Ich weiß nicht, ob Wilhelm IL bei
seinem maßlosen SelbstgefühL wirklicher Freundschaft
fähig war. Aber wenn er überhaupt geneigt war, jemand
sein Inneres zu öffnen, so noch am ersten dem Manne,
der ihm einerseits nach seinen Jahren und verwandt-
schaftlich nahe stand, und den er andererseits als
völlig gleichberechtigt und gleichgestimmt ansah. Der
Autokrat von Zarskoje Selo war der einzige Mensch,
dem der would-be-Autokrat von Potsdam sein Herz
ausschütten konnte, ohne sich etwas zu vergeben. Bei
dem überwältigenden Gefühl von seiner erhabenen Stel-
VII
lung hätte der Gleichgestimmte zum Gleichgestimmten
allein nie so offen gesprochen, wenn es sich nicht
gleichzeitig um den Gleichgestellten gehandelt hätte.
Nie hat Wilhelm II. natürlich im entferntesten an die
MögUchkeit gedacht, daß seine Briefe an den Zaren je
an die Öffentlichkeit gelangen würden. Darum gibt er
sich in ihnen wirklich so, wie er war. Dieser Ein-
druck verläßt einen bei der Lektüre nie. Gewiß, selbst
hier posiert er wer weiß wie oft. Stellen natürlichsten
Empfindens wechseln ab mit solchen geschwollener
Phrasenhaftigkeit. Kaum hat er sich im Hausrock pro-
duziert, so stülpt er schon wieder den Stahlhelm mit
dem silbernen Adler auf den Kopf und schwingt den
Marschallstab. Aber das ist nun einmal sein wahres
Ich. Dieser Mann muß posieren. Das Unnatürliche ist
ihm zur zweiten Natur geworden.
III.
Der Urgrund seines Wesens — falls man bei einem
so oberflächlichen Sanguiniker überhaupt von Urgrund
sprechen darf — ist romantische Mystik. Er
fühlt sich als das auserwählte Rüstzeug Gottes. Als
er einst in feierlicher Rede in Königsberg sich als das
„Instrument des Himmels" bezeichnet hatte, da war das
nicht eine bloße Phrase „in usum publici". Das war
wirklich seine innerste Überzeugung. Immer wieder
kommt er in seinen Briefen darauf zurück, daß der
Zar und er von Gott berufen seien, Vorkämpfer des
christUchen Glaubens zu sein.
In diesem Lichte wird ihm der Krieg Rußlands gegen
Japan zum heiligen Glaubenskrieg. Er meint, Europa
müsse dem Zaren dankbar sein, weil er so rasch be-
griffen habe, daß „die große Zukunft für Rußland in
vm
der Zivilisierung Asiens und in der Verteidigung des
Heiligen Kreuzes und der alten christlichen europäi-
schen Kultur gegen die Einfälle der Mongolen und des
Buddhismus liege'^ Von den sehr materiellen Grün-
den, die allein zum russisch-japanischen Kriege ge-
führt haben, weiß er nichts oder will er nichts wissen.
Er sieht nur die Notwendigkeit „des vereinigten Wider-
standes aller europäischen Mächte gegen den Einfall
des Buddhismus, des Heidentums und des Barbarismus
zur Verteidigung des Heiligen Kreuzes'^ Bei diesem
Kampf ist der Zar der Bannerträger. ,,Das ist die
große Aufgabe, welche der Himmel für Dich geschaf-
fen hat.^' Wilhelm aber hält es für seine Aufgabe,
in diesem vermeintlichen Glaubenskriege Rußland den
Rücken frei zu halten.
Sein Glaubenseifer begnügt sich nicht mit der Ab-
wehr des eingebildeten Angriffs der — religiös bekannt-
Hch meist völlig indifferenten — Japaner auf das Chri-
stentum. Wo es sich um den Glauben handelt, da emp-
fiehlt er sogar die Offensive. Er will nicht bloß den
„Einfall des Buddhismus" abwehren. Er wünscht die
„Christianisierung des fernen Ostens". Zur Verdeut-
lichung dieser seiner Pläne schickt er dem Zaren eine
Zeichnung, welche „die symbolischen Figuren Ruß-
lands und Deutschlands als Schildwachen am Gelben
Meere darstellt, um das Evangelium der Wahrheit
und des Lichts im fernen Osten zu proklamieren".
Im Widerspruch mit diesem christlichen Fanatismus
scheint es zu stehen, daß er sich andererseits als Schutz-
herr der 300 Millionen Mohammedaner bekennt, dem
Sultan Abdul Hamid, dem Veranstalter der armenischen
Massenabschlachtungen, mit ausgesprochener Sympa-
thie begegnet, immer wieder beim Streit zwischen den
Türken und den von ihnen unterdrückten christlichen
Völkern für die Türkei eintritt. Aber Logik ist nun
einmal keine Eigenschaft, die mit Mystik parallel zu
gehen pflegt.
IV.
Direkt aus der Wurzel der religiösen Mystik wächst
das verstiegene dynastische Bewußtsein Wil-
helms II. empor. „Wir christlichen Könige und Kai-
ser haben eine heilige Pflicht, die uns vom Himmel
auferlegt ist, nämlich das ,von-Gottes-Gnaden-Prin-
zip' aufrechtzuerhalten." Oberster Gesichtspunkt bei
allen seinen politischen Betrachtungen und Plänen ist
der: habe ich es mit demokratischen oder royalisti-
sqhen Völkern zu tun?
Im tiefsten Innern widerstrebt es ihm, sich näher mit
Personen einzulassen, die nicht von ,, Gottes Gnaden"
sind. „Loubet und Deloasse sind zweifellos erfahrene
Staatsmänner, aber da sie nicht Fürsten oder Kaiser
sind, so kann ioh sie in einer Vertrauenssache
wie diese, nicht auf den gleichen Fuß wie Dich, mein
Vetter und Freund, stellen." Er kennt das Bündnis
zwisqhen Rußland und Frankreich. Es muß ihm im
höchsten Maße unsympathisch sein. Aber er findet
sich damit ab, indem er an der Fiktion festhält, daß
Frankreich so eine Art Vasall Rußlands sei, ein In-
strument des Zaren. Es hat ihn sehr beruhigt, daß Alex-
ander III. ihm einst angeblich versichert hat, er sei
gegen die Republik und wolle das Königtum in Frank-
reich wieder herstellen.
Unbequeme Tatsachen, z. B. daß ein Zar in Reval
die Marseillaise stehend angehört hat, übergeht er mit
Stillschweigen. Es liegt ja überhaupt in seiner sanguini-
X
sehen Natur, die am liebsten nur Angenehmes sähe,
daß er fast alles, was ihm nicht paßt, zu ignorieren ver-
sucht und vielfach anscheinend sogar wirklich sofort
vergißt.
Passieren Dinge, die ihm als zu große Intimität
zwischen Russen und republikanischen Franzosen er-
scheinen, so warnt er:
„Nicht die Tatsache, daß es sich hier um einen , Rap-
port^ oder eine Freundschaft zwischen Rußland und
Frankreich handelt, macht einen unruhig — denn jeder
Herrscher ist alleiniger Herr der Interessen seines Lan-
des und richtet seine Politik demgemäß ein — , sondern
die Gefahr, die unserem monarchischen Prinzip dadurch
erwächst, daß man die Republik durch die Form,
in der sich diese Freundschaft zeigt, auf ein Piedestal
erhebt. Die ständige Anwesenheit von Fürsten, Groß-
herzögen, Staatsmännern, Generalen in Gala bei den
Truppenrevuen, Begräbnissen, Diners, Wettrennen mit
dem Haupt der Republik oder in seiner Umgebung
läßt Republikaner wie diese glauben, daß sie äußerst
ehrenwerte Leute sind, mit welchen Fürsten zusam-
mengehen und im Innern fühlen können."
Das Bündnis Rußlands mit Frankreich also stört ihn
weiter nicht. Aber um keinen Preis dürfen Vertreter
Rußlands sich so benehmen, daß die Republikaner
auf den Gedanken kommen könnten, sie seien ehren-
werte Männer, mit denen Fürsten zusammengehen und
im Innern fühlen könnten! Denn das wäre ja eine Ge-
fahr für das monarchische Prinzip.
Der tiefste Grund, der ihn immer wieder zu Rußland
hintreibt und von jeder Annäherung an England abhält,
ist das Gefühl, daß außer dem Sultan eigentlich nur der
Zar das wahre monarchische Prinzip verkörpert.
XI
Deutschland und Rußland müssen soviel wie möglich
vereinigt werden, denn „diese Vereinigung würde ein
mächtiges Bollwerk für die Aufrechtcrha'.tung des Frie-
dens und der m^onarchischen Institution bedeuten".
Als ernsthafte monarchische Institutionen sieht er
nur die Staaten an. wo nicht das Parlament, sondern
der Monarch ausschlaggebend ist. Das Sympathische
am Zarentum ist ihm gerade sein autokratischer Cha-
rakter. Deshalb rät er in der Not der russischen Revo-
lution dem Zaren zwar zu allerlei Konzessionen, aber
er W'arnt vor Konstituante und Nationalversammlung,
vor Versammlungs- und Pressefreiheit. Zweck seiner
ganzen Reformvorschläge ist nur „die Exekutive ein für
allemal dem autokratischen Zaren zu erhalten*^
V.
Hand in Hand mit der Erhebung der Monarchie auf
eine weltentrückte Höhe geht die Behandlung aller
,,Diener" der Monarchie ganz von oben herab.
Ausländern wird ja hie und da ein Wort gespendet,
das ihrer Bedeutung einigermaßen gerecht wird. Über
den Grafen Witte z. B. fallen Ausdrücke, die erken-
nen lassen, daß der Kaiser für seine Größe ein gewisses
Verständnis hat. Aber es sind doch ganz seltene Aus-
nahmefälle, wo er sich von dem Aberglauben frei
machen kann, als wenn die w^ahre Weisheit eigentlich
nur auf den Thronen zu finden sei.
Nikolaus II., dessen nur sehr durchschnittliche Be-
gabung der ganzen Welt wahrhaftig kein Geheimnis
war, wird immer wieder mit Lobsprüchen wegen seiner
staatsmännischen Weisheit bedacht. Regierungsakte,
die ihm nur die Not der Revolution abgepreßt hat,
oder die ganz gewiß nicht auf sein Konto, sondern auf
XII
das kluger Ratgeber zu buchen sind, werden ihm aus-
schüeßhch gutgeschrieben. Weil Nikolaus einmal vor-
übergehend auf einer Vergnügungsreise in Japan war,
deshalb hält Wilhelm es für selbstverständlich, daß
der Zar weit besser als Kuropatkin beurteilen könne,
wie man mihtärisch richtig gegen die Japaner zu ope-
rieren habe.
Das höchste Lob, das Wilhelm II. seinen eigenen
Staatsmännern und Offizieren zu spenden weiß, ist, daß
sie „treue Diener ihres kaiserUchen Herrn" und „ab-
solut verläßlich'^ seien. Samt und sonders erscheinen
sie nur als Werkzeuge. Er „instruiert" den Reichskanz-
ler, wie er im Reichstag zu sprechen habe. Eine Aner-
kennung geistiger Leistungen seiner Handlanger fin-
det sich nirgends.
Psychologisch sehr aufschlußreich sind die Äuße-
rungen über Bismarck in dem Brief vom 12. No-
vember 1896. Man braucht kein Bismarckianer zu sein,
um die Art und Weise peinlichst zu empfinden, wie hier
ein Monarch ohne sonderUche Verdienste über den
„unbotmäßigen Mann mit dem gemeinen Charakter"
loszieht, der doch immerhin einige staatsmännische
Qualitäten gezeigt hatte. Es ist einfach ein Wutaus-
bruch über den Mann, der es gewagt hatte, nicht nur
andere Meinungen zu haben, sondern auch zu äußern,
als sein „kaiserhcher Herr", obwohl er doch nur ein-
facher Reichskanzler war.
Wilhelm II. war eben nicht imstande, jemandem, den
er als seinen persönlichen Gegner betrachtete, auch
nur eine Spur von gerechter Würdigung entgegenzu-
bringen.
XIII
/ VI.
Wer die Monarchie überschätzt, muß die Dem o-
kratie unterschätzen. Aber Wilhelm II. mißachtet die
Demokratie nicht nur, er haßt sie. Und zweifelhaft kann
es nur sein, ob nicht noch größer als sein Haß gegen
sie, die Furcht vor ihr ist.
Besondere Abneigung bringt er natürlich den Fran-
zosen entgegen, nicht bloß wegen ihrer gegenwärtigen
politischen Verfassung, sondern namentlich auch we-
gen ihrer Vergangenheit.
„Die französische Republik stammt aus der Quelle
der großen französischen Revolution und propagiert
ihre Ideen und muß es tun. Vergiß nicht, daß Jaures
— es ist nicht seine persönliche Schuld — auf dem
Thron des Königs und der Königin von Frankreich von
Gottes Gnaden sitzt, welche die französischen Revo-
lutionäre geköpft haben. Das Blut Ihrer Majestäten
klebt noch an dem Lande. Niki, nimm mein Wort, der
Fluch Gottes hat jenes Volk für ewig getroffen. ^^
Wenn er auf die Republikaner im allgemeinen oder
bestimmte Republikaner zu sprechen kommt, so über-
steigt der Ausdruck seines Hasses manchmal alle Gren-
zen. Die Republikaner sind ihm „von Natur Revo-
lutionäre und werden ganz folgerichtig als Leute be-
handelt, die erschossen oder gehängt werden müssen^^
Frankreich ist ihm eine „Republik elender Bürger-
hcher^^ Und die französischen Radikalen, wie Clemen-
ceau, kennzeichnet er als „Lumpenpack und Pöbel".
Fast ebenso groß wie gegen Frankreich ist seine
Abneigung gegen England. Die englische Monarchie be-
sagt ihm natürlich nichts, da sie ja „unter der abso-
luten Herrschaft dieser hitzköpfigen Parlamente"
steht. Es empört ihn, daß die Engländer „gegen Zar-
XIV
tum und Imperialismus für Aufklärung und Liberalis-
mus" kämpfen. Denn damit „propagieren sie die Revo-
lution".
Dieselbe scharfe Kritik wie den Franzosen und Eng-
ländern, wird den deutschen Parteien zuteil, die anders
wollen als S. M. „Mein Reichstag beträgt sich so
schlimm wie nur möglich. Er schwankt hin und her zwi-
schen Soziahsten, die von den Juden aufgehetzt wer-
den, und den ultramontanen Katholiken, beides Par-
teien, die möglichst bald verdienten, gehängt zu wer-
den, soweit ich es beurteilen kann."
Auf feine Unterscheidungen läßt sich Wilhelm nicht
ein. Anarchismus, Nihilismus und Republikanismus
nennt er widerholt in einem Atem, als wenn es sich
um wesensgleiche Dinge handle. Er hat sich anschei-
nend mit den Programmen der verschiedenen Parteien
der Linken niemals auch nur oberflächlich beschäftigt.
Für ihn ist alles, was nicht unbedingt royalistisch ist,
eine einzige massa perditionis, gegen die mit ihm ge-
meinsam anzukämpfen er immer wieder seinen „Kolle-
gen" Niki beschwört.
VIL
Das „distinguo" ist zweifellos die allerschwächste
Seite in Wilhelms Charakter. Er schematisiert, er gene-
ralisiert, er bleibt immer an der Oberfläche haften.
Das macht, er treibt nie mit der ratio, son-
dern immer nur mit dem Gefühl Politik,
wenigstens, soweit es sein eigenes Land und seine
eigene Person direkt angeht.
Handelt es sich um Dinge, die andere in erster Linie
betreffen, so vermag er sich zeitweise von seinem
unerhörten Subjektivismus zu befreien. Ist er doch ein
" XV
in gewisser Beziehung begabter Mensch mit rascher
Auffassung und vielseitigen Interessen.
Das Memorandum über die Zustände Rußlands wäh-
rend der Revolution und des letzten Teils des japa-
nischen Krieges enthält manche zutreffende Beobach-
tung, manchen guten Ratschlag. Ich weiß nicht, ob es
wirkHch aus seiner eigenen Feder geflossen ist. Eine so
zusammenhängende Arbeit, die eine gewisse Konzentra-
tion voraussetzt, widerspricht eigenthch seinem sprung-
haft nervösen Naturell Aber jedenfalls hat er sich
ihren Inhalt zu eigen gemacht. Und da fragt man sich:
Weshalb konnte der Kaiser niemals die Verhältnisse
in seinem eigenen Land und die Stimmung seines eige-
nen Volkes so richtig beurteilen, wie es hier einem
fremden Volk und fremden Verhältnissen gegenüber der
Fall war?
Er konnte es nicht, weil er zwar allen anderen Men-
schen, ausnahmsweise sogar seinem Thronkollegen Ni-
kolaus gegenüber kritisch sein konnte, nur nicht sich
selbst gegenüber. Seine eigene Meinung über sich
selbst war eben derart, daß hier der Psychologe die
Feder aus der Hand legen muß, um dem Psychiater das
weitere zu überlassenu
VIII.
Nicht Zweckmäßigkeitserwägungen, sondern Ge-
fühlsregungen bestimmten ausschheßlich die gesamte,
äußere Politik Wilhelms. Mag passieren, was will, mag
die russische Politik einen für Deutschland noch so un-
günstigen Kurs einschlagen, an der unlöslichen Zu-
sammengehörigkeit von Rußland und
Deutschland hält er fest. Zar und Kaiser müssen
XVI
zusammen bleiben. Das verlangt das dynastische Inter-
esse.
Frankreich dagegen haßt er. An diesem Lande
klebt das Blut seines Königspaares. Der Fluch Gottes
hat es getroffen. Es ist repu1)likanisch und Treimaure-
risch. Es kann 'ihm zwar gestattet werden, gewisser-
maßen als Hilfsvolk, geführt von Rußland, die Kon-
tinentalallianz gegeni Ei^land zu verstärken. Aber
niemals wird es als ein den monarchischen Mächten
gleichberechtigter Faktor behandelt.
Japan haßt er. Aus religiösen wie aus Rassegrün-
den. Mal sind es die „Buddhisten", mal die „Gelben",
gegen die er sich besonders heftig entladet. Die fixe
Idee, dem europäischen Christentum drohe ein neuer
Mongoleneinfall, verläßt ihn nicht. In seiner Phanta-
sie sieht er schon 20 — 30 Millionen gutbewaffneter
Chinesen — die Chinesen sind bekanntUch so ziemHch
das unkriegerischste Volk der Erde — unter japani-
scher Führung gegen Europa marschieren.
England haßt er. England hat mit den „Gelben"
ein Bündnis geschlossen. England ist parlamentarisch
regiert. Englands rein von Handelsinteressen und son-
stigen Verstandsmomenten diktierte Realpolitik bedeu-
tet psychologisch eine ständige Herausforderung für
seine mystische Illusionspolitik.
Deshalb schlägt jeder Versuch Englands, mit
Deutschland zu besseren Beziehungen zu kommen, fehl.
Die Veröffentlichungen des letzten Jahres, insbesondere
die des Botschaftsrats Freiherrn v. Eckardstein, des
Regie rungsrats Martin, des Wirkl. Geheimrats Ham-
mann, haben den Beweis erbracht, daß seit 1899 Eng-
land wieder und wieder an Deutschland herangetreten
ist, um ein Bündnis, eine Entente oder wenigstens
11* XVII
eine Verständigung herbeizuführen. Die Briefe Wil-
helms II. beweisen, daß in der Beziehung noch weit
mehr geschehen ist, als bisher bekannt war.
Der Brief vom 30. Mai 1898 ist wohl das wichtigste
Aktenstück der ganzen Sammlung. Aus ihm geht her-
vor, daß schon Ostern 1898 England ein direktes Bünd-
nisangebot an Deutschland ergehen ließ. Als zunächst
k*eine Antwort erfolgte, wurde das Angebot dringend
erneuert. „Auf meinen Befehl wurde kühl und dilato-
risch in farbloser Weise geantwortet." Daraufhin wurde
das Ansuchen zum dritten Male erneuert, und war
„von enormen Anerbieten begleitet, die eine weite und
große Zukunft für mein Liand eröffneten". Wilhelm
wagt es diesmal doch nicht, ohne weiteres wieder „kühl
und farblos" zu antworten. Er wendet sich um Rat an
Nikolaus. Aber man merkt diesem Briefe an, wie er
danach lechzt, von Rußland, das damals noch der ge-
borene Gegner Englands in Asien war, in seinem
Wunsch nach Ablehnung des englischen Angebots be-
stärkt zu werden. Welchen Gefallen ihm natürlich Niko-
laus auch getan hat.
IX.
Mit Rußland gegen England! Das war das
Leitmotiv der auswärtigen Politik Wilhelms. Allerdings,
Rußland war der Verbündete Frankreichs. Und zwi-
schen Frankreich und England bestanden, von vor-
übergehenden Trübungen wie beim Faschoda-Zwi-
schenfall abgesehen, sehr gute Beziehungen. Aber
solche kleinen praktischen Hindernisse stören einen
großen Phantasten weiter nicht.
Unsere verantwortlichen Staatsmänner haben immer
so getan, als hätten sie die englischen Bündnisange-
XVIII
böte vor allem deshalb ablehnen müssen, weil sie sich
nicht ieinem Sturm der „öffentlichen Meinung" in
Deutschland aussetzen dürften. Es ist wesenthch, daß
jetzt festgestellt ist, daß die Seele des Widerstandes
gegen ein Bündnis mit England, das den Weltfrieden
natürlich absolut gesichert hätte, der Kaiser selbst war.
Wilhelm II. geht auf Grund seiner dynastischen Vor-
eingenommenheit immer davon aus, daß bei der rus-
sisch-französischeni Aillianz der Zar die ausschlag-
gebende Stelle sei. Wenn Rußland will, muß Frank-
reich! Der Gedanke, daß beide Reiche innerhalb ihrer
Allianz sich das Gleichgewicht halten, ja daß unter
Umständen die Führung sogar bei der „Republik"
liegen könne, kommt ihm gar nicht. Er meint, wenn er
nur den Zaren für eine Idee gewonnen habe, dann folge
alles weitere einschließlich Frankreichs von selbst.
Während des russisch-japanischen Krieges ist die
deutsch-russische Intimität am größten. Das heißt, ohne
jede Gegenleistung deckt der Kaiser dem Zaren den
Rücken und unterbreitet ihm einen gegen England dik-
tierten Bündnisvertrag. Immer in der Annahme, daß,
wenn Nikolaus nur wolle, Frankreich von selber auch
kommen .werde.
Unter welchen phantastischen Voraussetzungen Wil-
helm seine Politik trieb, dafür liefert einen sprechenden
Beweis eine Veröffentlichung Iswolskys während des
Weltkrieges in der französischen Presse. Sie bezieht
sich — ich kann nur nach dem Gedächtnis zitieren —
auf jene deutsch-russischen Bündnisverhandlungen. Der
Kaiser sprach gelegentlich auch mit Iswolsky darüber
und erklärte, daß Frankreich sich wohl ohne weiteres
anschließen werde. Iswolsky machte den Kaiser in vor-
sichtigster Form darauf aufmerksam, daß zwischen
XIX
Frankreich und Deutschland doch noch ein kleines Hin-
dernis liege. Als der Kaiser überrascht fragte: „Wel-
ches ?^^ erwiderte Iswolsky: „Elsaß-Lothringen^^ Wor-
auf der Kaiser sehr bestimmt: „Das ist beseitigt! In der
Marokkofrage habe ich Frankreich den Handschuh hin-
geworfen, es hat ihn nicht aufgenommen. Damit hat es
bekundet, daß es auf Elsaß-Lothringen verzichtet hat."
Für jeden Politiker waren Zweibund und Dreibund
These und Antithese. Für Wilhelm IL vereinigte sich
These und Antithese zur Synthese „Wilhelm-Nikolaus".
In seinem Brief vom 27. Juli 1906 phantasierte er von
der Verbindung der Doppelallianz mit der TriplealHanz
zur Quintupleallianz. Der „große Block der
Mächte Rußland, Deutschland, Frankreich, Osterreich,
Italien" werde auch „die kleinen Körper, Holland, Bel-
gien, Dänemark, Schweden anziehen".
Gelegentlich bezeichnet Wilhelm sogar die Franzosen
als „unsere Alliierten". So sehr verwischt sich in seinem
Gehirn Wunsch mit Wirklichkeit.
Zweck der von ihm angestrebten KontinentalaUianz
war die völlige Kaltstellung Englands. Er bezeichnet es
selbst als Aufgabe der QuintupleaUianz ,,alle unbot-
mäßigen Nachbarn in Ruhe zu halten und selbst mit
pewalt ihnen den Frieden aufzuerlegen".
Der angeblich von Eduard VII. betriebenen Politik
der Einkreisung Deutschlands steht also nach
dem Zeugnis des Deutschen Kaisers selbst in Wahr-
heit die von Wilhelm IL betriebene Politik der völli-
gen Isolierung Englands, seiner Aus krei-
sung, gegenüber.
X.
Zahllos sind die Stellen in den Briefen, die den
Wunsch des Kaisers nach Erhaltung des Friedens
XX
bekunden. Sie sind zweifellos ehrlich gemeint. Soviel
Wilhelm in seinen öffentlichen Kundgebungen auch mit
der gepanzerten Faust gedroht und mit dem Säbel
gerasselt hat, so zweifelte doch längst ni-emand, der ihn
kannte, daran, daß er kein Held, sondern nur ein Wort-
held sei. Er wollte keinen Krieg. Wenigstens legte er
keinen Wert auf einen von ihm selbst zu führenden
Krieg.
Aber er war nicht etwa Kriegsgegner aus pazifisti-
scher Gesinnung heraus. Es ist charakteristisch, daß in
dem ganzen Briefwechsel sich nicht einmal eine An-
spielung auf den wichtigsten Akt im Leben Nikolaus II.
findet, auf sein Friedensmanifest, das die Haager Konfe-
renzen im Gefolge hatte. Auch hat Wilhelm gegen den
russisch-japanischen Krieg gar nichts einzuwenden. Im
Gegenteil, er idealisiert diesen Krieg mit seiner sehr
nüchtern materialistischen Grundlage in einen Glau-
bens- und Rassekrieg um. Und einmal spricht er Eng-
land gegenüber nicht etwa davon, daß man die Kriegs-
ursachen ausschalten, sondern nur davon, daß man den
Krieg „verschieben^' müsse. Auch konstruiert er zu
Rußlands Gunsten ein „Gesetz der Ausdehnung^^ Er
war eben nicht prinzipieller Kriegsgegner. Und
spielte außerdem ständig mit der Kriegsgefahr. In der
Einbildung befangen, daß England den Krieg gegen
Rußland wolle, stachelte er am 17. XII. 1904 den Zaren
an, „um die englische Frechheit und Anmaßung abzu-
kühlen, militärische Demonstrationen an der Grenze
von Afghanistan und Persien zu veranstalten und, falls
die russischen Streitkräfte zu einem wirklichen Angriff
auf Indien nicht genügen, von Persien her einen Druck
auf die indische Grenze auszuüben'^
Hätte der Zar diesen freundschaftlichen Rat des Frie-
XXI
denskaisers befolgi:, so wäre natürlich sofort der Krieg
zwischen England und Rußland und damit vielleicht
schon 1904 der Weltkrieg dagewesen. Aber diese Folge
machte sich Wilhelm wahrscheinlich nicht klar, so we-
nig wie er sich am 5. Juli 1914 klar machte, was die
von ihm an Österreich-Ungarn erteilte Blankovollmacht
gegen Serbien für Konsequenzen haben müsse.
XI.
Das ist der stärkste Eindruck, den man aus den Brie-
fen Wilhelms II. erhält. Er ist ein Mann, der
sich über die Tragweite seiner Worte und
Handlungen nicht im klaren ist. Was dem
ferner Stehenden als dolus erscheinen muß, ist bei ihm
immer nur als culpa anzusehen. Er ist ein geeigneteres
Objekt für den Gerichtsarzt als für den Richter. Und
weil dem so ist, darum ist die Korrespondenz Wil-
helms II. weniger eine Anklage gegen den Monarchen
als gegen die Monarchie als solche. Eine so patholo-
gische Natur wie Wilhelm II. konnte mehr als 25 Jahre
die letzte Entscheidung über die Geschicke eines gro-
ßen Volkes treffen! Eine Staatsform, die so etwas
möglich machte, ist mit Recht dem Untergang verfallen.
Berlin, im Januar 1920
Hellmuth v. Oerlach.
Potsdam, 5. I. 1895.
Mein lieber N ikü^
Dein lieber Brief, den Knorring mir überbrachte,
enthielt sehr interessante, aber auch sehr traurige Nach-
richten. Ich bin Dir für Deine Erl^lärungen sehr dank-
bar und verstehe voll die Gründe, die Dich zu Deiner
Entscheidung, den Grafen Schuwaloff betreffend, ver-
anlassen. Gleichzeitig kann ich Dir versichern, daß
ich den Verlust des trefflichen Paul schmerzlich emp-
finde, welcher der einzige Gesandte in BerHn war,
mit dem ich auf wirklich vertrautem Fuße stand, und
der mir ein „ami intime" war, soweit ein Nicht-
deutscher solchen Namen verdienen konnte. Ich werde
ihn wirklich sehr vermissen. Er verdient voll das
Lob, das Du ihm in Deinem Handschreiben erteilt
hast. Die nahen und innigen Beziehungen unserer
Höfe und Völker konnten von niemand besser als von
ihm gewahrt werden. Ich hoffe vertrauensvoll, daß
der Mann, den Du ausersehen willst, um seinen Posten
auszufüllen, die Fähigkeit besitzt, sein Werk in glei-
chem Sinne und mit der gleichen Wahrhaftigkeit und
Offenheit des Charakters, wie sie Schuwaloff eigen
ist, fortzusetzen, da die Beziehungen unserer beiden
Länder zu einander auf traditionellen Grundlagen
ruhen, ganz anders wie zu anderen Nationen, und
ihren bestimmenden Einfluß auf die Welt ausüben
werden. Mit den Worten Deines lieben Vaters möchte
ich „Schweinitz durch Werder" 2 ersetzt sehen, und
1 Nikolaus IL, geb. 19. 5. 1868, Zar seit 1. 11. 1894, vermählt mit
Alexandra Feodorowna (Prinzessin Alix von Hessen und bei
Rhein) seit 27.11. 1894. Kinder: Olga (16. 11.95), Tatiana (11.6.97)
Maria (27. 6. 99), Anastasia (18. 6. Ol), Alexei Nikolajewitsch (12. 8. 04).
" Von Schweiniiz und von Werder waren preußische Gene-
rale, die als persönliche Adjutanten beim Zaren fungiert und in
Petersburg dasselbe Vertrauen wie in Berlin genossen hatten.
1 1
wenn ich gleichzeitig einen Wunsch ausdrücken könnte,
so wäre es der, daß Du, wenn möghch, entweder
Pahlen, Richter oder Staal zum Ersatz wählen würdest.
Nun laß mich Dir ein glückliches neues Jahr an
der Seite Deines geliebten Engels Alix wünschen.
Möge es ein Jahr des Friedens und des Glückes sein!
Meine Weihnachtsgabe wird Dich hoffentlich erfreuen;
es ist ein Album mit Photos von der „Fahnenweihe^'
in Berlin. In der Hoffnung, daß wir uns bald einmal
irgendwo in diesem Jahre treffen, verbleibe ich
Dein wohlgesinnter Freund
Willy.
K a 1 1 e n b r o n n - S c h w a r z w a 1 d, 26. IV. 1895.
Liebster Niki!
Da Fürst Radolin ^ bald nach Petersburg reist, sende
ich Dir diese wenigen Zeilen durch ihn. Er ist mein
trefflicher und warmer Freund, der sich in der schwieri-
gen Aufgabe als Papas Oberhofmeister während seiner
kurzen Regierung bewährt hat und allen Versuchungen
der Intrigue, von welcher Seite sie auch kommen moch-
ten, standhaft gegenüber geblieben ist. Du kannst
volles und unverhülltes Vertrauen in ihn setzen ;
seine Diskretion ist sprichwörtlich. Er brennt darauf,
in allem, was in seiner Macht steht, uns beiden zu
Gefallen zu sein und das traditionelle Band, das unsere
Familien und unsere Länder seit fast einem Jahrhundert
verknüpft, noch enger zu knüpfen. Er haßt die Polen
und hat nichts mehr mit ihnen zu tun, oder ist so wenig
an ihnen interessiert wie an den Sandwich-Isulanern.
Ich danke Dir aufrichtig für die ausgezeichnete Art,
^ Deutscher Botschafter in Petersburg.
mit der Du die vereinigte Aktion Europas zur Wahrung
seiner Interessen in Japan eingeleitet hast. Es war
hohe Zeit, daß energische Schritte ergriffen wurden,
und es wird einen ausgezeichneten Eindruck in Japan
wie anderwärts machen. Es zeigt klar, wie notwendig
es ist, daß wir zusammenhalten müssen, und ebenso
daß es eine Grundlage gemeinsamer Interessen gibt,
auf welcher alle europäischen Nationen in gemein-
samer Tätigkeit für die Wohlfahrt aller arbeiten
können, wie es sich in der Anhängerschaft Frankreichs
an uns beide gezeigt hat. Möge die Überzeugung be-
stehen, daß dies geschehen kann, ohne an die Ehre
einer Nation zu rühren. Möge der Gedanke immer
festere Wurzel schlagen, dann wird unzweifelhaft die
Furcht vor einem Kriege in Europa sich mehr und
mehr zerstreuen. Die freundliche und überaus wert-
volle Botschaft, welche Du mir durch Osten-Sacken^
unter Vermittlung des Grafen Eulenburg ^ in Wien ge-
sandt hast, ist mir ein sichtbarer Beweis Deiner treuen
Gesinnung und Aufrichtigkeit. Ich werde sicherUch
alles tun, was in meiner Macht steht, um Europa ruhig
zu halten und auch den Rücken Rußlands so zu decken,
daß niemand Deine Aktion gegen den fernen Osten "^
stören soll. Denn es ist klar: die große Zukunfts-
aufgabe für Rußland liegt darin, den asiatischen Konti-
nent zu zivilisieren und Europa vor den Einfällen der
^ Wurde 1895 russischer Botschafter in Berlin als Nachfolger
des Grafen Schuwaloff.
' Graf, später Fürst Philipp Eulenburg, Botschafter.
' Der Zar hatte Wilhelm II. eingeladen, sich an den Maß-
nahmen zum Schutze Chinas zu beteiligen, stellte dabei die Er-
laubnis, einen festen Stützpunkt oder eine Kohlenstation in China
zu besetzen, in Aussicht. Darauf hin kam es zu einer Ver-
ständigung zwischen Deutschland, Rußland und Frankreich in der
ostasiatischen Frage gegen Japan. Japan mußte damals Port Arthur,
das es im Krieg gegen China erobert hatte, aufgeben.
1* 3
großen gelben Rasse zu verteidigen. Hierbei wirst
Du mich immer auf Deiner Seite finden, bereit, Dir
zu helfen, so gut ich es nur kann. Du hast diesen Ruf
der Vorsehung wohl verstanden und hast den richtigen
Moment rasch ergriffen. Er ist von ungeheurem politi-
schen und historischen Wert; möge es zum Guten
ausschlagen! Ich werde mit Interesse die weitere Ent-
wicklung unserer Aktion erwarten und hoffe, daß ge-
rade so, wie es Dir angenehm sein wird, die Frage
eventueller Annexionen von Landteilen oder Gebieten
für Rußland zu regeln. Du auch freundlich darauf achten
wirst, daß Deutschland ebenfalls irgendwo einen Hafen
erwerben kann, wo es Dich nicht ,,geniert^^ Da die
Norweger ^ sich in einem Zustand befinden, der an
Tollheit grenzt, so befürchte ich, daß ich meine
Sommerreise dorthin nicht unternehmen kann, sondern
an der schwedischen Küste der Ostsee werde kreuzen
müssen. Sollten wir in diesem Falle nicht irgendwo
mit unseren beiden Jachten zusammentreffen können,
um dort, wo es Dir paßt, ein ruhiges, kleines Gespräch
miteinander zu führen? Es wäre zu nett. Nun lebe
wohl, liebster Niki, meinen herzlichsten Gruß an Alix
und ehrfurchtsvolle Empfehlung an Deine Mutter ^
für immer Dein sehr ergebener und wohlgesinnter
Freund Willy.
Radolin ist in alle meine Ideen, wie ich sie Dir
eben entwickelte, völlig „eingeweiht".
Stora-Sundby, den 10. VII. 1895.
Li-ebster Niki!
Meine Reise in Schweden und an seinen Küsten
^ Norwegen hatte die Union mit Schweden gelöst.
* Verw. Kaiserin Maria Feodorowna, geb Prinzessin Dagmar
von Dänemark, Tochter Friedrichs VIII. von Dänemarlc.
4
bringt mich Deinen Küsten und Deinem „buen retiro*^
gegenüber, und ich kann diesen AugenbHck, in dem
ich, nur wenige Meilen von Dir entfernt, die Gewäs-
ser kreuze, nicht vorübergehen lassen, ohne Dir eine
Zeile zu senden, um Dir zu sagen, daß es mir nicht
unangenehm wäre. Dich auf der salzigen Flut zu treffen.
Laß mich Dir mit aller meiner Herzlichkeit noch ein-
mal dafür danken, daß Du jene prächtigen Schiffe ge-
sandt hast, welche so geschickt und machtvoll die
russische Flotte in Kiel ^ repräsentierten. Alexei ^ war
die Freundlichkeit und Leutseligkeit selbst. Er tat
alles, was er konnte, um den Verkehr mit unseren russi-
schen Kameraden in jeder Beziehung so zu gestalten,
wie man es nur wünschen konnte. Deine gütige Er-
laubnis, ihn ä la suite unserer Marine zu führen, machte
meine Offiziere sehr stolz und schien ihm ein Ver-
gnügen zu bereiten. Ich hatte die gute Gelegenheit
zu einem ziemlich ernsten Gespräch (die ostasiatischen
Angelegenheiten) mit Alexei und seinem guten alten
Baron SchiHing, der ein sehr guter Freund meines
Großvaters war. Er wird, wie ich annehme, Dir schon
darüber Bericht erstattet haben. Es freute mich, ihm
zeigen zu können, wie unsere Interessen im fernen
Osten miteinander verbunden sind, daß meine Schiffe
schon den Augenblick herbeisehnten, die Deinigen im
Notfall zu unterstützen, wenn die Lage bedenklich
werden sollte. Europa müßte Dir dankbar sein, daß
Du so rasch die große Zukunft für Rußland in der
* Eröffnung des Kaiser-Wilhelm-Kanals in Kiel, 19. Juni 95.
Anwesend waren Flottenvertreter aller Länder, auch Rußlands
und Frankreichs.
^ Vizeadmiral Alexejew, später Befehlshaber der russischen
Flotte im Stillen Ozean, Haupt der russischen Kriegspartei und
Statthalter der Mandschurei.
Zivilisierung Asiens und in der Verteidigung des lieili-
gen Kreuzes und der alten christlichen europäischen
Kultur gegen die Einfälle der Mongolen und des Bud-
dhismus begriffen hast, es müßte verstehen, daß Du,
wenn Rußland mit dieser kolossalen Aufgabe be-
schäftigt wäre, den natürlichen Wunsch hättest, Europa
ruhig- zu sehen und Deinen Rücken frei zu haben, und
daß es natürlich und zweifellos meine Aufgabe sein
würde, dafür zu sorgen, daß niemand den Versuch
macht. Dich dabei zu stören und Dich im Rücken von
Europa her anzugreifen, solange Du damit beschäftigt
bist, Deine große Aufgabe zu erfüllen, welche der
Himmel für Dich geschaffen hat. Dies war so sicher
wie das Amen in der Kirche! — Nun hat sich ein
Zwischenfall ereignet, den ich Dir erzählen sollte, da
ich ganz sicher bin, daß er sich ohne Kenntnis Alexeis
ereignet hat, der aber unter unseren Offizieren bekannt
wurde und einen sehr peinlichen Eindruck hinterlassen
hat. An Bord des Qroßjaschtschy, jenes Schiffes, auf
dem ich Admiral Skrydlow und seine Kapitäne einlud,
den Kanal zu passieren, schifften sich zwei Ingenieur-
offiziere heimlich ein, die unseren Behörden nicht ge-
meldet waren. Der älteste von ihnen war Oberst
Bubnow. Beide nahmen in Begleitung eines Leutnants,
der für diesen Zweck sich eingeübt hatte und einen
großen Apparat mit sich führte, Photographien unserer
Forts und Batterien auf und machten sich Notizen und
Skizzen während der ganzen Fahrt, und als schließlich
Skrydlow sah, daß mein Marineattache ziemlich erstaunt
war, ganz fremde Leute auf dem Schiff zu sehen,
wurden sie ihm als zwei Direktoren der Wasserwerke
und Wasserwege vorgestellt. In Kiel war Bubnows
Betragen so verdächtig, daß Polizei und Gendarmen
ihm folgten. Er ging in voller Uniform und bewegte
6
sich an den Befestigungs werken, was strengstens für
Fremde verboten ist.
Nun, ich denke, es ist nicht ganz passend, w^enn
man als Gast zu einem solchen Fest in einem fremden
Lande eingeladen ist, das einem ohne jede Zurück-
haltung seine Pforten öffnet und einen in seinen Kriegs-
hafen einläßt, die Gastfreundschaft derart zu miß-
brauchen, um Deinen Freund auszuspionieren zu ver-
suchen und das dazu noch unter einem angemaßten
Range. Die Folge ist, daß dies die Leute mit russischen
Kriegsschiffen sehr vorsichtig machen wird und un-
freundhche Gefühle weckt, was ich so sehr bedaure
und was hoffentlich wieder gut gemacht wird. Ent-
schuldige bitte, daß ich diese Angelegenheit erwähne,
aber ich dachte, es wäre besser, sie Dir direkt mit-
zuteilen, anstatt darüber diplomatische Noten usw. zu
schicken, da Du weißt, wie ich für Dich und Ruß-
land fühle. Aber ich möchte jede Schwierigkeit,
welche auftreten könnte, um die Bande unserer Völker
zu lockern, überwinden, bevor sie Wurzeln schlägt.
Lebe wohl, liebster Niki, meine herzlichsten Wünsche
an Alix mit dem Wunsche für einen ruhigen Sommer
und einen hübschen kleinen Knaben.
Dein immer wohlgesinnter Freund und Vetter
Willy.
Jagdhaus Rominten, den 6. IX. 1895.
Liebster Niki!
Mein Onkel Reichskanzler ^ der mir über den freund-
lichen und sympathischen Empfang, den er von Deiner
* Fürst Chlodwig Hohenlohe, Reichskanzler nach Caprivis Aus-
scheiden 26. 10. 94. Es wurde seit seinem Eintritt in die Re-
gierung wieder mehr Wert auf die Beziehungen zu Rußland als
zu England gelegt.
7
Seite hatte, berichtete, ist ganz von Deiner Art ein-
genommen und hat einen tiefen Eindruck von Deiner
Kenntnis über die politische Situation und von der
ruhigen, besonnenen Weise, mit der Du die inter-
essanten Fragen beurteilst, mitgenommen. Er erzähhe
mir auch, daß Du den Wunsch ausgedrückt hättest,
daß ich weiter die Gewohnheiten fortsetzen möchte,
welche wir begonnen haben, nämhch Dir zu schreiben,
wenn ich meinte, daß dafür Gelegenheit sei, und ich
tue es also mit Vergnügen. Die Lage im fernen Osten
hat Dir die günstige Gelegenheit zur Unterhaltung
darüber mit meinem Onkel gegeben. Ich danke Dir
für Deine freundhche Art, mit der Du auf mein Zu-
sammenarbeiten mit Rußland und die Koalitionsfrage
angespielt hast. Die Entwicklung der Dinge im fernen
Osten, namentlich ihre Gefahr für Europa und unseren
christlichen Glauben, ist ein Gegenstand, der ständig
mein Inneres bewegt, seitdem wir ihn zum erstenmal
in diesem Frühhng berührt haben. Schließlich haben
meine Gedanken darüber eine bestimmte Form ange-
nommen, und diese habe ich als Skizze zu Papier ge-
bracht. Ich arbeitete sie mit einem Künstler \ einem
ersten Zeichner, aus, und nachdem sie fertiggestellt
war, ist sie für die Öffenthchkeit graviert worden. Sie
zeigt die europäischen Mächte, die durch ihre ent-
sprechenden Genien dargestellt und von dem Erzengel
Michael, der vom Himmel gesandt ist, zusammen-
gerufen werden, um sich zum Widerstand gegen den
Einfall des Buddhismus, des Heidentums und des Bar-
barismus zur Verteidigung des heiligen Kreuzes zu
vereinen. Besonderer Nachdruck ist auf den ver-
* Maler Knackfuß. Es handelt sich um das bekannte Bild:
Völker Europas, wahret eure heiligsten Güter I
8
einigten Widerstand aller europäischen Mächte ge-
legt, der gerade so gerecht wie notwendig auch gegen
unsere gemeinsamen inneren Feinde, Anarchismus, Re-
publikanismus und Nihilismus ist. Ich erlaube mir,
Dir eine Gravüre dieser Zeichnung zu schicken, mit
der Bitte, sie als ein Zeichen meiner warmen und
aufrichtigen Freundschaft für Dich und Rußland an-
zunehmen. Mitten in diese friedlichen Beschäftigungen
und ruhigen Jagdvergnügen fallen erstaunliche Nach-
richten, die ich aus Paris erhalten habe, daß nämüch
die Budgetkommission der französischen Kammer bei
der Erörterung des Militärbudgets vorschlägt, das
19. Armeekorps (Algerien und Tunis) zurückzurufen
und ein neues Kontinentalkorps an meiner west-
lichen Grenze aufzustellen. Diese Zurückberufung
ist bisher nur einmal, und zwar im Jahre 1870 erfolgt,
als Frankreich gegen uns Krieg führte. Solch ein Plan
in der Zeit tiefsten Friedens hat wie ein Donnerschlag
in Deutschland gewirkt und eine tiefe Alarmstimmung
hervorgerufen. Diese Stimmung hat sich durch die
Tatsache verstärkt, daß der Vorschlag öffentHch be-
kannt geworden ist in dem Augenblick, als Fürst
Lobanoff ^ und General Dragomiroff offiziell der
Truppenschau der französischen Grenzarmee an der
lothringischen Grenze unter dem frenetischen Beifall
der „Grenzbevölkerung" beiwohnten. Diese Armee,
von der die französischen Zeitungen uns seit Wochen
erzählen, soll für den ersten Einbruch in unser Grenz-
land im Revanchekrieg einmarschieren. Sie ist schon
vier Armeekorps stark, gegen meine beiden Armee-
korps (15 und 16). Das vorgeschlagene neue Korps
^ Russischer Reichskanzler und nach Giers' Tode Minister
des Äußeren (seit Juni 1895).
9
würde die bereits in der Überzahl befindlichen französi-
schen Streitkräfte auf fünf Armeekorps verstärken und
bedeutet eine Drohung so gut wie eine ernste Gefahr
für mein Land. Hierauf muß ich jetzt ernsthaft mit
Maßnahmen begegnen. Bei diesem Anlaß ereignete es
sich gerade, daß Eure Offiziere dekoriert wurden und
Fürst Lobanoff festlich gefeiert wurde, während die
Ohren meines Attaches von nicht übermäßig ange-
nehmen Bemerkungen länger wurden, welche die Leute
hier unfreundlich fallen ließen, und die die Tatsachen in
ein häßliches Licht setzten, als ob Rußland es gern
sehe, daß Frankreich gegen Deutschland angriffslustig
sei, in der Hoffnung, von ersterem Hilfe zu erhalten.
Solch eine ernste Gefahr wird mich veranlassen, mein
Heer dermaßen zu verstärken, um mit so furchtbaren
Gegnern kämpfen zu können. So schwer auch die
finanziellen Anstrengungen auf uns lasten würden, so
würde mein Volk doch niemals einen Augenblick
schwanken, um seiner Sicherheit Gewähr zu leisten,
wenn es nötig wäre. I c h weiß ganz und gar, daß D u
persönlich nicht im Traum daran denkst, uns anzu-
greifen, aber Du kannst doch nicht darüber erstaunt
sein, daß die europäischen Mächte in Alarm geraten,
wenn sie sehen, wie die Gegenwart Deiner Offiziere
und hohen Beamten in Frankreich offiziell (die
leichtentzündlichen Franzosen zu einer bis zur Weißglut
gehenden Leidenschaft anfacht, welche die Ursachen
des Chauvinismus und der Revanche stärkt.
Gott weiß, daß ich alles, was in meiner Macht stand,
um den europäischen Frieden zu wahren, getan habe.
Aber wenn Frankreich, offen und gehejm ermuntert,
wie in diesem Falle, beginnt, alle Regeln der inter-
nationalen Höflichkeit und den Frieden in Friedenszeit
lü
zu verletzen, so wirst Du Dich, mein liebster Niki,
eines schönen Tages selbst nolens volens plötzlich in
den schrecklichsten aller Kriege, die Europa jemals
gesehen hat, verwickelt finden. Einen Krieg, der infolge
*der durch ihn in Bewegung gesetzten Menschenmassen
und durch die Geschichte vielleicht sich an Dich heftet,
als ob Du die Ursache davon gewesen wärest. Bitte,
sei nicht böse darüber, wenn ich vielleicht ganz ohne
meine Absicht Dich verletze, aber ich denke, es ist
meine Pflicht, unseren beiden Ländern und Dir, meinem
Freund, gegenüber, es offen zu schreiben. Da Deine
Abgeschlossenheit und Zurückgezogenheit Dir tiefe
auferlegt hat, so siehst Du nicht die Men-
schen und verfolgst nicht im einzelnen, was hinter
den Kulissen vorgeht.
Nun, ich besitze einige Erfahrung in politischen
Dingen und sehe gewisse untrügliche Anzeichen, so
daß ich mich beeile, im Namen des Friedens von
Europa zu sprechen. Wenn Du zum Guten oder
Schlimmen mit den Franzosen vereinigt bist, wohlan,
so halte diese verfluchten Kerle im Zaum und laß sie
still sitzen, wenn Du aber nicht mit ihnen verbündet
bist, so dulde nicht, daß Deine Leute, die nach Frank-
reich gehen, die Franzosen glauben machen, daß Du
mit ihnen verbündet bist. Laß sie sie nicht rücksichtslos
machen und ihnen ihre Köpfe verdrehen, bis sie sie
verloren haben und wir dann in Europa kämpfen
müssen, anstatt gegen den Osten zu kämpfen. Denke
an die furchtbare Verantwortlichkeit für das fürchter-
liche Blutvergießen. Nun lebe wohl, liebster Niki, mit
herzlichsten Grüßen an die liebe Alix, und behalte
mich lieb als
Deinen ergebenen und redlichen Freund und Vetter
Willy. L R.
11
Neues Palais. Potsdam, 25. X. 1895.
f Liebster Niki!
Die uns so herzlicti erfreuende und unerwartete An-
kunft Onkel Michaels ^ der soeben mit uns speiste,
gibt mir die angenehme Gelegenheit, Dir für Deinen
lieben Brief, den mir Moltke überbrachte, meinen
wärmsten Dank auszusprechen. Moltke ist noch ganz
voll von all Deiner Freundlichkeit und ganz entzückt
von Dir und Deinen Zielen. Deine Ansichten über die
Presse sind im allgemeinen genau die gleichen wie die
meinigen. Sie bildete und bildet noch immer einen
Teil meines Kummers, wir müssen mit schwerem Groll
ihre Lügen und ihren Unsinn hören. Dennoch muß
der Einfluß, den sie, horribile dictu, besitzt, aus den
Köpfen der Leute der verschiedenen Rassen aus-
getrieben werden, die von ihr gefüttert werden und
sie lesen. Deine Untertanen und die meinigen sind
langsamer in ihren Gedankengängen, nüchterner und
ruhiger in ihren Schlußfolgerungen, welche sie ziehen,
als beispielsweise die südlichen Völker oder die Fran-
zosen. Die Romanen oder die gallischen Rassen werden
viel leichter aufgeregt und beeinflußt und sind eher
dazu geneigt, zu Folgerungen zu eilen und, einmal an-
gefacht, viel gefährlicher für die Störung des Friedens
als die teutonische oder russische Rasse. In England
wiederum ist die Presse mehr das Mundstück der
öffentUchen Meinung als auf dem Kontinent und handelt
mehr nach den Interessen ihres Landes.
Lobanoffs Besuch hat mich sehr interessiert. Er ist
unzweifelhaft ein sehr fähiger Diplomat, ein blendender
Plauderer. Was er mir bezüglich Frankreichs erzählte,
^ Großfürst Michael, Großonkel des Zaren (Bruder Alexanders II.).
12
war sehr beruhigend. Ich dachte, es sei richtig, ganz
offen mit ihm über Frankreich zu sprechen, da er mir
erzählte, daß Du mit ihm in Verbindung seiest. In
dieser Beziehung gab ich mir Mühe, ihm zu zeigen,
daß ich nicht wünsche, mißverstanden zu werden. Nicht
die Tatsache, daß es sich hier um einen „Rapport^^
oder eine Freundschaft zwischen Rußland und Frank-
reich handelt, macht einen unruhig — denn jeder Herr-
scher ist alleiniger Herr der Interessen seines Landes
und richtet seine Politik demgemäß ein — , sondern
die Gefahr, die unserem monarchischen Prinzip dadurch
erwächst, daß man die Republik durch die Form,
in der sich diese Freundschaft zeigt, auf ein Piedestal
erhebt. Die ständige Anwesenheit von Fürsten, Groß-
herzögen, Staatsmännern, Generalen in Gala bei den
Truppenrevuen, Begräbnissen, Diners, Wettrennen mit
dem Haupt der Republik oder in seiner Umgebung läßt
Republikaner wie diese glauben, daß sie äußerst ehren-
werte Leute sind, mit welchen Fürsten zusammengehen
und im Innern fühlen können. Was würde aber nun
daheim in unsern Ländern die Folge sein? Die Repu-
blikaner sind von Natur Revolutionäre und werden ganz
folgerichtig als Leute, die erschossen oder gehenkt
werden müssen, behandelt. Sie sagen unseren übrigen,
loyal gesinnten Untertanen: Oh, wir sind nicht ge-
fährliche böse Menschen, geht nach Frankreich, hier
könnt ihr die Royalisten mit den Revolutionären zu-
sammengehen sehen, warum sollte dasselbe auch nicht
bei uns gehen? Die französische Republik stammt aus
der Quelle der großen französischen Revolution und
propagiert ihre Ideen und muß es tun. Vergiß nicht,
daß Jaures — es ist nicht seine persönliche Schuld —
auf dem Thron des Königs und der Königin von Frank-
13
reich von Gottes Gnaden sitzt, welche die französi-
schen Revolutionäre geköpft haben. Das Blut Ihrer
Majestäten klebt noch an dem Lande. Betrachte es,
ist es seitdem jemals glücklich oder wieder ruhig
geworden? Ist es nicht von Blut\Trgießen zu Blut-
vergießen gewankt?-' Schritt es nicht in seinen großen
Augenblicken von Krieg zu Krieg, bis es ganz Europa
und Rußland in Ströme von Blut stürzte, bis es zu-
letzt die Kommune wieder über sich hatte? Niki, nimm
mein Wort, der Fluch Gottes hat jenes Volk für ewig
getroffen. Wir christlichen Könige und Kaiser haben
eine heilige Pflicht, die uns vom Himmel auferlegt ist,
nämlich das „Von-Gottes-Gnaden^'-Prinzip aufrecht zu
halten. Wir können gute Beziehungen zur französischen
Republik haben, aber niemals mit ihr intim stehen.
Ich fürchte immer, daß bei den häufigen und langen
Besuchen in Frankreich Leute ohne Gesinnung repu-
blikanische Ideen einsaugen. Hier muß ich Dir ein
Beispiel erzählen: Ich erinnere mich daran, wie vor
wenigen Jahren ein Herr — kein Deutscher — mir
voll von Schrecken davon sprach, daß er in einem
eleganten Salon in Paris einen russischen General
einem Franzosen auf die Frage, ob Rußland die
deutsche Armee zerschmettern würde, antworten hörte:
„Nein, wir werden völlig breitgeschlagen werden, aber
was macht das, dann werden wir auch die Republik
haben." Das ist, was ich für Dich, mein lieber Niki,
fürchte. Vergiß nicht Skobelew ^ und seinen Plan, die
ganze kaiserliche Familie bei einem Mahle auf einmal
beiseite zu bringen. Darum sorge, daß Deine Generale
die französische Republik nicht allzusehr lieben. Ver-
^ Hervorragender russischer Sozialdemokrat, späteres Duma-
mitglied, kein Terrorist.
14
gib mir bitte, wenn ich so offen bin, aber ich wünsche,
Du sähest, wie warm, ich für Dich fühle und wie besorgt
ich um Dich bin, und Du erkenntest voll meine Be-
weggründe.
Der nächste interessante Punkt waren die Nach-
richten, welche mir Lobanoff über die Türkei über-
brachte, daß er nämlich Grund hätte, England zu
verdächtigen, daß es auf die Dardanellen begierig sei!
Deshalb sei die armenische Frage wieder aufgelebt.
Ich gestehe, daß ich von diesem Teil seiner Nachrich-
ten äußerst betroffen wiar. Zweifellos ist seit Salis-
burysi Amtsantritt Englands auswärtige Politik äußerst
dunkel und undurchsichtig geworden, und die son-
derbare Art, in der die englische Flotte um die Dar-
danellen kreuzt, zeigt, daß dies etwas bedeutet. Aber
wenn sie dies tun, so verletzen sie den Berliner Ver-
trag, und derartige Dinge zu tun, könnte ihnen nur mit
Erlaubnis aller übrigen Signatarmächte zugestanden
werden, welche diese aber niemals geben werden.
Es scheint indessen, daß sie die eine oder andere Ab-
sicht haben, ihre Politik im Mittelmeer zu ändern,
denn zwei Tage später gebrauchte Mallet^, als er
seinen Abschiedsbesuch bei unserm Auswärtigen Amt
machte, sehr polternde Worte, daß Deutschland sich
sehr schlecht gegenüber England in Afrika benommen
habe; daß es so nicht so weitergehen könne, und daß,
nachdem man die Franzosen durch Konzessionen in
Ägypten losgeworden sei, man auf uns wieder achten
* Salisbury, drittes Ministerium 1895. Seine Politik hinderte
doch nicht, daß Gladstone erneut gegen den von ihm gehaßten
Sultan die englische Nation aufrief. Salisbury kam der erreg-
ten Meinung in England entgegen und schlug 1896 die Flotten-
demonstration vor, durch die der Sultan gezwungen werden
sollte, Armenien Autonomie zu gewähren.
^ Britischer Botschafter in Berlin.
15
müsse. Er war sogar so undiplomatisch, das Wort
„Krieg*^ auszusprechen. Er sagte, daß selbst England
nicht davor zurückschrecken würde, mit mir Krieg an-
zufangen, wenn wir nicht in Afrika eins auf den Kopf
gekriegt hätten. Ich antwortete dem Sinne nach, daß
die Engländer sich in diesem Falle selbst lächerlich
machten, wenn nicht jedem verhaßt. Wenn sie aber
Streitigkeiten mit irgendeinem sonst anfangen wollen,
so würde ich mir das merken und einen pommerschen
Grenadier schicken, um ihnen zu helfen. Ich denke, das
w^ird sie abkühlen. Es ist dasselbe, was ich zu Lobanoff
sagte. Ich sagte ihm ferner, daß, wenn Rußland im fer-
nen Osten ernstlich engagiert werden sollte, ich es für
meine Pflicht ansehen w^ürde, Dir den Rücken vor jed-
wedem in Europa freizuhalten und dafür zu sorgen, daß
alles ruhig ist und daß sich nichts von anderer Seite
ereignen würde, auch nicht von Frankreich, vorausge-
setzt, daß ich nicht angegriffen würde. Er dankte mir
dafür mit warmen Worten. Ich teile seine Furcht, daß
Japan irgendein Einverständnis mit England hat; das
sei der Grund, warum es so steifnackig sei.
Bevor ich meinen Brief schließe, laß mich Dir mein
tiefgefühltes Beileid zum kommenden 1. November^ aus-
sprechen. Gott allein kann den Schmerz und den Kum-
mer ermessen, der Dein Herz erfaßt im Gedenken an
einen so lieben Vater, einen* so ausgezeichneten und
guten Mann, ganz wie es mein armer Vater gewesen
ist. Darf ich Dir etwas sagen, was ich auf dem Herzen
habe? Wenn ich an unsere nahen verwandtschaftli-
chen Beziehungen denke, möchtest Du dann nicht, da
der ständige Austausch von Briefen und Botschaften
immer unnötig unseren Gesandtschaftsapparat in Be-
* 1. November 1894 Todestag Alexanders"!!!.
16
wegung setzt, die alte Gewohnheit unserer Vorväter
erneuern, die sie seit fast einem Jahrhundert hatten,
und wieder einen persönlichen Adjutanten haben, der
unsern beiderseitigen Kabinetten zugestellt ist? Die
mehr privaten und ,,intimen^^ Angelegenheiten könn-
ten wie in alten Zeiten direkt durch diese Adjutanten
gehen, was die Dinge viel einfacher macht. Ich werde
mit Vergnügen jemand, dem Du vertraust, in mein
Militärkabinett berufen. Wäre Dir Moltke recht? Jetzt
aber möchte ich Dich nicht länger aufhalten, lebe
wohl, mein liebster Niki, herzliche Grüße an Alix;
die „Zukunft". Ich verbleibe
Dein ergebener und wohlgesinnter Freund und Vetter
Willy.
Neues Palais, 2. I. 1896.
Liebster Niki!
Radolins Rückkehr nach Petersburg gibt mir Gele-
genheit, Dir diese wenigen Zeilen zu senden. Laß mich
Dir für die mannigfachen Zeichen Deiner Freundlich-
keit und Freundschaft aufrichtig danken, die Du mir
und meinem Lande bewiesen hast, die uns einen Grund
von Ruhe und Sicherheit verliehen haben, und die ich
auch im folgenden Jahre weiter bestehen wissen
möchte. Mit meinen herzlichsten Glückwünschen zum
neuen Jahr und einem glücklichen Weihnachtsfest ver-
einige ich mein Gebet, daß der Herr Dich, die liebe
Alix, Euer süßes Kind und Eure ganze FamiUe seg-
nen und vor jedem Übel, Sorgen und Krankheit be-
schützen und behüten möge. Möchte Deine Regierung
glücklich sein und mögest Du die Verwirklichung
mancher Pläne, an denen Du für die Wohlfahrt Deiner
Untertanen arbeitest, erleben. Mögen unsere Länder
2 17
wie bisher fähig sein, sich in der Stärkung und Auf-
rechterhaltung des Friedens, in der Verteidigung ihres
Glaubens und ihrer Interessen gegen jeden äußeren
und inneren Feind zusammenzufinden!
Der politische Horizont hat sich eigenartig verdü-
stert. Armenien^ und Venezuela^ sind offene Fragen,
die England aufgeworfen hat, und plötzlich ist die Re-
publik Transvaal^ in einer ganz schmachvollen Weise
angegriffen worden, wie es scheint, nicht ohne Eng-
lands Mitwissen. Ich habe eine sehr strenge Sprache
in London geführt und habe Verbindungen mit Paris
eingeleitet, um unsere bedrohten Interessen gemein-
sam zu verteidigen, da sich französische und deutsche
Kolonisten unverzüglich in gemeinsamer Verbindung
die Hände gereicht haben, um den erbitterten Buren
zu helfen. Ich hoffe, Chi wirst auch freundlich die
Angelegenheit in Erwägung ziehen, da sie eine prin-
zipielle ist, um die Verträge, die einmal geschlossen
sind, aufrecht zu erhalten. Ich hoffe, daß alles in
Ordnung kommen wird, aber komme, was kommen mag,
ich werde niemals zugeben, daß die Briten Transvaal
stäupen. Hoffentlich hast Du bessere Nachrichten von
Deinem Bruder, der, wie ich sehe, an der Riviera an-
gekommen ist. Meine herzlichsten Grüße der lieben
Alix und nochmals vielen Dank für all Deine Freund-
lichkeit Straus und seinen Leuten gegenüber. Ich
bleibe wie immer, lieber Niki,
Dein stets wohlgesinnter Vetter und Freund
Willy.
Schon 1894 ''waren in Armen'en Unruhen ausgebrochen, worau
die Türkei die räuberischen Kurden gegen die Armenier hetzte.
^ Es handelt sich hier um den ürenzstreit zwischen Vene-
zuela und Bri'isch-Guyana.
• Einfall Jamesons in Transvaal. Eintreten Wilhelms II. für
die Buren (Krüger-Telegramm).
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Berlin, 7. XI. 1895.
Liebster Niki!
Egloffstein wird Dir hoffentlich den ganzen Haufen
Porzellan ohne Bruch überbringen. Er ist angewiesen,
die Tafel so zu arrangieren, als wenn Du ein Diner für
50 Personen geben wolltest. Du magst ein Auge auf
die Angelegenheit werfen. Ich hoffe, daß meine Manu-
faktur alles getan hat, um Deine Wünsche zu erfüllen,
und daß das Geschenk Euch beiden zustatten kommt.
Seit den schHmmen Wochen, die Ihr durchlebt habt,
hat sich viel in Europa ereignet. Ihr habt einen ausge-
zeichneten alten Diener Eurer Vorfahren, den alten
Giers^, verloren, der ein wirkHch guter Mann war, den
ich sehr schätzte. Frankreich hat in überraschender
Weise sein Oberhaupt und Regierung gewechselt und
durch die Amnestie die Tür allen schlechten Elementen
geöffnet, welche die frühere Regierung unter Schwierig-
keiten ins Gefängnis gesetzt hatte. Der Impuls, der
dadurch den Demokraten und der revolutionären Par-
tei gegeben worden ist, hat sich auch hier fühlbar ge-
macht. Mein Reichstag beträgt sich so schlimm wie
nur möglich. Er schwankt hin und her zwischen So-
zialisten, die von den Juden aufgehetzt werden, und
den ultramontanen KathoHken, beides Parteien, die mög-
lichst bald verdienten, gehängt zu werden, soweit wie
ich es beurteilen kann.
In England wankt das Ministerium, bis es nach all-
gemeinem Entschluß fallen wird. Kurz, überall wird
das monarchische Prinzip aufgerufen, sich stark zu
erweisen. Darum bin ich so froh über die vortreff-
liche Rede, die Du gestern an die Deputationen als
^ Russischer Minister des Äußeren.
2* 19
Antwort auf einige Reformadressen gehalten hast. Sie
traf den Nagel auf den Kopf und machte auch ander-
wärts tiefen Eindruck. Zur Eröffnung unseres Kanals
Ende Juni habe ich alle europäischen Regierungen
eingeladen, Kriegsschiffe nach Kiel zu entsenden; ich
hoffe, daß auch Deine Flotte dort durch ein oder zwei
Schiffe vertreten sein wird. Mit ehrfurchtvollem Gruß
an Deine Mama und viele Grüße an Alix verbleibe ich
Dein wohlgesinnter Freund
Willy.
Berlin, 20. Februar 1896.
Liebster Niki!
General Werder hat das große Vergnügen und die
Ehre, Dein Gast zu sein, und so vertraue ich ihm
diesen Brief an. Laß mich Dir noch einmal von gan-
zem Herzen für das Gemälde und für den Brief
zu meinem Geburtstag danken. Deine Aufmerksamkeit
war ebenso überaus freundlich wie gnädig, und gerade
zu der Zeit, als die Eröffnung des Kanals ein Ereig-
nis war, das mir tatsächlich sehr am Herzen lag und
das wirklich einen Erfolg darstellte. Ich habe das Bild
nach Kiel geschickt, wo es in meinen privaten Ge-
mächern aufgehängt werden soll, in denselben Zim-
mern, in welchen Dein armer teurer Vater zuletzt
wohnte, als er mit mir in Kiel zusammen war. Werder
wird EHr auch zwei Photographien überbringen. Eine
für Dich, ein kleines Andenken von mir, und eine
für Alix, um ihr ein Bild davon zu geben, wie mein
Töchterchen aussieht. Sie ist ein Stück lebendigen
Quecksilbers und tyrannisiert ihren Papa furchtbar.
Deine Gesandtschaft hatte wegen unserer Vertre-
tung bei Deiner Krönung in Moskau angefragt und
20
ich habe ihr Heinrich als meinen Vertreter genannt.
Ich würde Dir sehr dankbar sein, wenn Du freundlich
darauf sehen würdest, daß seine Rangfrage völlig klar-
gestellt ist, da ich hörte, daß Dein Zeremonienmeister
Radolin einen Wink gab, daß Heinrich erst allen erb-
lichen deutschen Großherzogen und Fürsten, selbst
dem Sohne des Fürsten von Montenegro im Range
folgen könne. Darüber kann es natürlich nun gar keine
Frage geben. Mein Haus als ein regierendes in
Deutschland ist das Erste und die zu ihm gehören-
den Prinzen haben daher vor den Söhnen der regieren-
den Fürsten in Deutschland den Vorzug. Ich befragte
Wladimir^ bei seiner Anwesenheit über diese Dinge
und er war ganz derselben Meinung und sagte mir,
er würde diese Angelegenheit Dir gegenüber zur
Sprache bringen. Außerdem ist Heinrich Dein Schwa-
ger, und als solcher zählt er doch zu Eurer Familie,
gerade wie Dein Vater es mit dem Herzog von Edin-
burgh bei seiner Krönung handhabte.
Ich sah Tante Sanny in Oldenburg und auf ihrer
Reise hier. Sie ist durch den langsamen und schlei-
chenden Tod ihrer armen Schwester schwer betroffen
und leidet sehr an Schlaflosigkeit, armes Geschöpf!
Das dem Parlament in London vorgelegte Blau-
buch hat noch mehr gezeigt, wie richtig Deine Politik
in der orientalischen Frage ist und wie England be-
strebt ist. Dich und uns alle in Unruhe zu stürzen.
In Transvaal ist durch den Willen der Vorsehung ihr
Raubzug mißlungen und, obwohl einige Leben dabei
verloren gingen, ist doch Revolution, Blutvergießen
und allgemeine Plünderung verhindert worden. Sie
* Großfürst Wladimir Alexandrowitsch, Bruder Alexanders III,,
Onkel Nikolaus' II.
21
(die Engländer) haben sich sehr unpassend mir gegen-
über benommen, aber das läßt mich unberührt, da die
Mobilisierung ihres berühmten Flottengeschwaders ge-
gen uns, die kaum der Rede wert war, sie unsterblich
lächerlich gemacht hat. Nun lebe wohl, liebster Niki,
grüße Alix, ich bleibe
Dein stets ergebener Vetter und Freund
Willy.
Coburg, 19. IV. 1896.
Liebster Niki !
Die fröhliche Hochzeitsfeier, die hier stattfindet, und
die Gegenwart so mancher Gäste ruft die Erinnerung
an die Zeit von vor zwei Jahren in mir wach, als ich
zu meinem großen Glück Dir zu dem reizenden und
vollkommenen Engel, der jetzt Dein Weib ist, ver-
helfen konnte. Die Erinnerungen an April 1894 wurde
auch von den anderen empfunden und aus diesem
Grunde waren wir alle eins. Dir das Telegramm zu
senden, das Du erhalten haben wirst. Ich kann darauf
vertrauen, daß ich nichts anderes sagte oder damals
versprach, als das, was Du nicht hernach in Deinem
Eheleben gefunden hast. Möge Gottes Segen auf Euch
beiden ruhen, namentlich im kommenden Monat, wenn
ihr unter der bewundernden Anwesenheit der ganzen
Welt zur Krönung fahrt. Ich danke Dir herzlich für
Deinen lieben Brief, den Du mir durch Werder ge-
sandt hast und der an dem Tage mich erreichte, als
ich nach dem Mittelmeer abfuhr. Werder war so
glückHch über seinen Besuch in Petersburg, und daß
er dort so manch wohlbekanntes Gesicht gesehen hat.
Ich bin völlig einverstanden mit dem, was Du an dem
Schluß Deines Briefes über die Engländer sagtest.
22
Ihre Fanfaren gegen uns machen sie äußerst lächer-
Hch und machen auf mich keinen Eindruck, je mehr
sie in Afrika in Verwicklungen geraten, um so besser
für uns in Asien. Nun lebe wohl, lieber Niki, herz-
liche Grüße an Alix und Gott mit Euch
Euer wohlgesinnter Freund und Vetter
Willy.
Letzlingen, 12. XI. 18%.
Liebster Niki!
Wladimir ist so freundüch, diese Zeilen mitzuneh-
men, um sie Euch zu übergeben und wird auch meine
wärmsten Grüße überbringen. Ich bin froh, daß Ihr
wieder wohlbehalten daheim seid und daß Euch die
herrliche Reise, die Ihr durch Europa machtet, nicht
allzusehr angestrengt hat. Ich bin sehr betrübt über
das schauderhafte Betragen der Bismarckfronde^, die,
obwohl es nur ein Coup ist, der sich lediglich gegen
mich persönlich richtet, nichts destoweniger auch einen
Loyalitätsbruch gegenüber Deiner Regierung darstellt
und einen Schandfleck auf das Andenken meines ge-
liebten Großvaters wie auf das E>eines gehebten Va-
ters wirft. Ich habe bereits meinen Onkel Kanzler in-
struiert, wie er im Parlament reden soll und hoffe.
Du wirst mit der Art, in der die ganze hochverräteri-
sche Angelegenheit behandelt wird, zufrieden sein. Ich
nehme an, daß durch diesen letzten Streich des Fürsten
und bei der schamlosen Art und Weise, mit der er
mich in seiner Presse behandelt — er versucht na-
* Die Hamburger Nachrichten hatten mitgeteilt, daß der
deutsch-russische Rückversicherungsvertrag durch Deutschland
gekündigt worden war.
23
mentlich, die Leute glauben zu machen, daß ich unter
engHschem Einfluß stand und immer noch stehe —
die klareren Köpfe zu verstehen beginnen werden,
daß ich Grund hatte, diesen unbotmäßigen Mann mit
seinem gemeinen Charakter aus dem Amt zu ent-
fernen. Ich habe den einfältigen Glauben und hoffe,
daß Du mir freundlichst vertrauen wirst, wie Du es
bis jetzt tatest, und daß sich zwischen uns beiden
nichts geändert hat oder ändern kann, seitdem wir die
Richtlinien unseres Handelns in Breslau festgelegt ha-
ben. Wladimir ist aus Paris mit den besten Eindrücken
gekommen, daß dort alles ruhig ist, was ich auf Grund
der Berichte meines Gesandten bekräftigen kann, der
auf bestem Fuß mit der dortigen Regierung lebt und
voll Bewunderung für die Fähigkeit und Kaltblütig-
keit Hanotaux' ^ ist. Letzterer ist eher wegen der
Türkei nervös, aber da ich keine beunruhigenden Nach-
richten von dort erhalten habe, so denke ich, daß
dafür kein wirklicher Grund vorliegt. Er ist, wie ich
höre, ein starker Gegner irgendeiner Konferenz be-
treffs der Türkei, und das mit vollem Recht.
An unserer Grenze in Littauen haben wir mehrere
Fälle von Aussatz entdeckt und lokalisiert. Einige Leute
haben die Infektion von den nächsten Plätzen der
Ostseeprovinzen eingeschleppt. Ich habe daher den
Bau eines Hospitals in Memel befohlen, um die ar-
men Kinder dort unterzubringen. Die Krankheit ist
eine furchtbare und sehr ansteckende und ich schlage
Dir vor, ob unsere Grenzprovinzbehörden sich nicht
vereinigen sollten, um die auftretenden Fälle zu über-
^ Gabriel Hanotaux von Mai 1894-1898 mit Unterbrechungen
Minister des Äußern in Frankreich.
24
wachen und zu beobachten, indem sich einige Ärzte
zur ärzthchen Überwachung dort vereinigten.
Wir haben prächtigen Sport und gutes Wetter und
waren sehr erfreut, Wladimir hier an seinem alten
Platz zu sehen. Mit besten Wünschen an Alix
Dein wohlgesinnter Freund und Vetter
Willy.
Berlin, 3. III. 1897.
Mein lieber Niki!
Mit Deiner freundlichen Erlaubnis wird Oberst von
Moltke in wenigen Tagen die große Ehre haben,
seinem kaiserUchen Chef seine Aufwartung zu ma-
chen. Dies gibt mir die gute Gelegenheit, Dir einige
Zeilen warmen Freundschaftsbeweises in dieser Prü-
fungszeit zu senden. Ich bin Dir sehr dankbar für die
loyale, klare und staatsmännische Art, in der du diese
unglückselige Kreta^-Affäre angefaßt hast und bin mit
Recht darauf stolz, daß unsere Ansichten in dieser
Sache genau die gleichen sind. Vom Familienstand-
punkt^ aus mußt Du Augenblicke erlebt haben, die
Deine Gefühle aufs äußerste erregten, und der Ent-
schluß, so zu handeln, wie Du handeltest, muß Dir
erst nach manchen inneren Kämpfen gekommen sein.
Aber Du warst völlig im Recht, und Du siehst durch
das Ergebnis, daß Deine „Demarche" alle Mächte,
^ Die griechische Regierung ließ am 15. Februar Truppen auf
Kreta landen und es im Namen König Georgs besetzen. (Georg
I. 1868-1913). Die Großmächte, voran Rußland, das der Türkei
günstig gesinnt war, da es keine Autonomie Armeniens (im
Gegensatz zu England) wollte, verlangten Zurückberufung der
griechischen Truppen, versprachen aber den Kretern Autonomie
im Rahmen des türkischen Reichs.
' Der König von Griechenland war der Onkel des Zaren.
25
ob sie wollten oder nicht, zu einer gemeinsamen De-
monstration geeinigt hat, die, wie ich hoffen will, den
Frieden Europas ungestört erhalten wird. Du hast
der Welt wieder einmal gezeigt, daß, wenn die drei
Großmächte gemeinsam marschieren und sich ihnen
die anderen großen Kontinentalmächte anschließen,
d. h. wenn der ganze Kontinent in ungebrochener
Front zusammenhält, der Rest der Welt uns folgen
muß und sei er noch so stark. Der König von
Griechenland müßte ein rechter Wahnsinniger sein,
wenn er mit seinem tollen Beginnen, die Welt in
Flammen zu setzen, um sich daran seine Pfeife an-
zuzünden, nicht haltmachen kann. Ich bin froh, daß
sich die Türken^ so nüchtern benommen und starke
Streitkräfte nach Mazedonien gesandt haben. Dort liegt
die größte Gefahr und die muß mit allen Mitteln be-
seitigt werden.
Ich sende Dir durch Moltke einige wichtige Photo-
graphien, die von der Parade abgenommen sind, nach-
dem Deine Bänder an den Fahnen des Alexander-
regiments befestigt worden waren. Er wird Dir auch
das Werk, das über meinen teuren Großvater ge-
schrieben und das zur Hundertjahrfeier seines Ge-
burtstages veröffentlicht wurde, überbringen. Seine
schönen Briefe und Reden sind die beste Charakteristik
von ihm, die ich kenne. — Unser Ball ging sehr
schön aus, und der Effekt war einfach magisch, gleich-
sam wie ein Traum aus vergangenen alten Zeiten.
Die Bänder, welche ich meinen Grenadieren stiften
will, sind fertiggestellt, und ich wäre sehr dankbar
für einen Wink von Dir, ob ich sie ihnen selbst über-
* Die Türken erklärten später im April 1897 an Griechenland
Krieg, da dieses Kreta nicht räumte.
26
geben kann oder ob Du es für besser hältst, unsere
Offiziere damit zu senden. Nun herzlichen Gruß an
AHx, ich will hoffen, daß alles bald in Ordnung kommt,
ich verbleibe wie immer
Dein wohlgesinnter Freund und Vetter
Willy.
Neues Palais, 4. I. 1898.
Liebster Niki!
Das neue Jahr hat gerade begonnen, das alte ge-
endet, aber ich kann seinen Abschluß nicht vergessen,
ohne einen BHck auf die lieblichen und herrlichen
Tage des August zu werfen, als ich Dich und Alix
umarmen konnte, und ohne Dir für Deine freundliche,
glänzende, ja verschwenderische Gastfreundschaft Vik-
toria und mir gegenüber zu danken. Mit tiefem Dank-
gefühl erinnere ich mich der angenehmen Stunden,
die ich mit Euch verbringen konnte, wobei unser Ge-
spräch zeigte, daß wir in den Grundlagen, die wir in
der Erfüllung der Aufgabe befolgen, die uns vom Herrn
aller Heerscharen gesetzt ist, einer Meinung sind.
Jeder von uns sucht für die Entwicklung und Wohl-
fahrt seines Landes, wie es seine Pflicht ist, sein
Bestes zu tun, aber gemeinsam suchen wir unseren
Ländern die Segnungen des Friedens zu sichern!
Möge dies neue Jahr ein glückHches für Dich, Deine
liebe AHx, Dein ganzes Haus und Land sein. Mögen
die Pläne, die Du für die Wohlfahrt Deines Volkes
zur Reife bringst, sich verwirklichen. Heinrichs Auf-
gabe ist. Dir bei Deinen erhabenen Idealen — ohne
welche kein Fürst existieren kann — zur Förderung
der Zivihsation, d. h. zur Christianisierung des fernen
27
Ostens mitzuhelfen und sie zu unterstützen. Willst Du
freundlichst eine Zeichnung annehmen, die ich für
Dich skizziert habe, welche die symbolischen Figuren
Rußlands und Deutschlands als Schildwachen am Gel-
ben Meer darstellt, um das Evangelium der Wahrheit
und des Lichtes im fernen Osten zu proklamieren.
Ich zeichnete diese Skizze in der Weihnachtswoche
unter dem Glanz der Lichter des Christbaumes!
Dazu noch ein Album mit Photographien der
Truppenschau an Deinem Geburtstage in Wiesbaden
vor der neuen Standarte Deines Husarenregiments und
von der Eidesleistung der Rekruten Deines schönen
Alexanderregiments, sowie ein Abbild seiner schönen
Kaserne!
Das Memoirenwerk des Vaters meines Oberstall-
meisters Graf Wedel wird in Bälde folgen, da der
Einband noch nicht ganz fertiggestellt ist. Er diente
unter Napoleon L im Jahre 1812 in Rußland, wurde
von Deinen Truppen gefangen genommen und gibt
eine sehr interessante Beschreibung des Feldzuges und
seiner Gefangenschaft. — Viktoria sendet ihre besten
Wünsche; sie war lange Zeit krank und hatte starke
Nervenschmerzen und eine Halsentzündung und stand
erst heute zum erstenmal wieder auf. Sie ist sehr ge-
quält von den beiden Jüngsten, von denen der eine
einen schweren Anfall von Influenza erlitten hat, die
hier noch umgeht, und an der er einen Monat lag.
Nun lebe wohl, liebster Niki, herzliche Grüße an Alix,
und meine ehrfürchtigen Grüße an Deine liebe Mutter
von
Deinem ergebenen und aufrichtigen Freund und Vetter
Willy.
28
Berlin, 28. III. 1898.
Liebster Niki!
General von Werder überbrachte mir Deine und
Alix' freundliche Grüße aus Petersburg und strahlte
vor Entzücken in der Erinnerung an seinen dortigen
Aufenthalt, den Du ihm so freundlich und angenehm
wie immer gestaltet hast. Ich danke Dir aufrichtig^
für alles, was er mir von Dir übermittelte und brauche
nicht hinzuzufügen, daß ich Deine Wünsche herzlichst
erwidere. Der liebe alte General ist nicht nur eine
Reliquie der Vergangenheit, sondern wirkHch und aus
tiefster Überzeugung Dir und Deinem Hause ver-
bunden, und darum ist er in meinen Augen ein lebRi-
diges Stück der alten Tradition, die immer unsere
Familie zum Wohle unserer Länder und dadurch der
ganzen Welt vereint hat.
Ich muß Dich für den glücklichen Ausgang Deiner
Aktion in Port Arthur ^ herzlich beglückwünschen. Wir
beide werden ein paar gute Wächter am Eingang des
Golfes von PetschiH^ abgeben und müssen vor allem
von den „Gelben" respektiert werden. Ich meine, der
Weg, den Du mit dem meisterhaften Arrangement in
Korea 3 eingeschlagen hast, um die Gefühle der ärger-
' Auf Rußlands Forderungen gab China damals dem Zaren-
reich die Halbinsel Liaotung mit Port Arthur, das Schlüssel zum
Gelben Meer war (Mitte März 1898). Port Arthur wurde auf
25 Jahre an Rußland „verpachtet".
2 Kurz vorher hatte Deutschland Kiautschou „gepachtet"
(4. Januar 1898).
' Verständigung zwischen Japan und Rußland über Korea, das
unabhängig bleiben sollte, über jede Frage sollten sich Rußland
und Japan näher gemeinsam verständigen. Schon vorher hatte
Rußland einen Geheimvertrag mit China, das seinen Schutz erbat,
geschlossen, wofür es von den Chinesen die Eisenbahnkon-
zessionen in der Mandschurei bis nach Port Arthur erhielt.
29
liehen Japaner zu besänftigen, war ein besonders feines
Diplomatenstück und stellt ein großes Zeichen Deiner
Voraussicht dar. Er ist geeignet, zu zeigen, was für
ein Glück es war, daß Du durch Deine große Reise
in der Lage warst, die Fragen des fernen Ostens an
Ort und Stelle zu studieren und jetzt moralisch als Herr
von Peking zu sprechen.
Radolin berichtete mir über Deine sehr interessante
Unterhaltung über China und Deine Wünsche, be-
treffend die Militärinstrukteure in den Gouvernements,
die unter russischem Einfluß standen. Ich habe jetzt
einen Befehl an die deutschen Offiziere vorbereitet,
• den ich aber noch nicht veröffentlichen kann, weil es
ohne eine Angabe auf der Karte nicht möglich war,
eine sichere Landgrenze zu fixieren. Ein paar Bleistift-
striche auf einem Blatt Papier von Deiner Hand wür-
den mich beruhigen, weil es sehr unangenehm sein
würde, wenn durch irgendein Mißverständnis meine
Offiziere ohne ihre eigene Schuld auf russisches Gebiet
gehen würden, da sie eine wirklich genau festgelegte
Grenze nicht kennen. Der Gedanke, der jenseits des
Kanals in der Presse jetzt wieder erörtert wird, daß
die chinesischen Angelegenheiten durch eine inter-
nationale Konferenz entschieden werden müßten, ist
hier schroff von mir abgelehnt worden, und zwar aus
dem Grund, weil ich bald herausfand, daß es ein mas-
kierter Versuch war, um Dir die Hände im fernen
Osten zu binden. Die Beziehungen dorthin aber, denke
ich, sind ganz Deine Angelegenheit und nicht die
anderer Völker. Die Nachrichten von Heinrich lauten
gut, er setzte in Hongkong sein Schiff wieder in Gang,
hat gute Freundschaft mit Ssissoy Weliky und Navarin
in C o 1 o m b o geschlossen, und man manöverierte dort
30
einige Tage in voller Harmonie zum großen Erstaune»
anderer Leute. Hm! Das amüsiert mich ebensosehr,
wie es mir gleichzeitig als russischer Admiral Ver-
gnügen macht. Oberst von Moltke, mein Adjutant
und Kommandeur Deiner „Alexandriner", überbringt
diesen Brief und gleichzeitig ein Etui mit zwei klein-
kalibrigen Jagdpistolen von ausgezeichneter Durch-
schlagskraft und großer Schußweite. Ich hoffe. Du
wirst sie gut gebrauchen können und damit manchen
guten „Kapitalhirsch" zur Strecke bringen. Nun lebe
w^ohl, mein liebster Niki, herzlichen Gruß an Alix und
Waidmanns Heil
Dein immer wohlgesinnter und ergebener Freund
und Vetter
Willy.
Berlin, 30. V. 1898.
Privat und streng vertraulich.
Liebster Niki!
In ganz unerwarteter Plötzlichkeit bin ich vor eine
schwere Entscheidung gestellt, die für mein Land von
größter Lebenswichtigkeit ist und die so weit reicht,
daß ich nicht die letzten Konsequenzen voraussehen
kann. Die Traditionen, in welche ich durch meinen
geliebten Großvater gesegneten Angedenkens in bezug
auf unsere beiden Häuser und Länder erzogen worden
bin, sind immer, wie Du weißt, von mir als sein heiliges
Vermächtnis angesehen worden, und meine loyale Ge-
sinnung Dir und Deiner Familie gegenüber ist, wie
ich mir schmeichle, über jeden Argwohn erhaben. Ich
möchte Dir deshalb als meinem Freund und Vertrauten
31
die Angelegenheit vorlegen, wie jemand, der eine frei-
mütige und loyale Antwort auf eine freimütige und
loyale Frage erwartet.
Anfang April haben die Angriffe auf mein Land und
mich, die bis dahin in Fülle durch das britische Presse-
volk auf uns ausgegossen waren, plötzlich aufgehört,
und es trat, wie Du erfahren haben wirst, eine plötzliche
Ruhepause ein. Dies setzte uns hier in ziemliches Er-
staunen, und wir hatten dafür keine Erklärung. Auf
Grund einer privaten Nachfrage fand ich heraus, daß
Ihre Majestät die Königin von England selbst durch
eine ihr befreundete Persönlichkeit ein Wort an die
britischen Zeitungen gegeben hatte, daß sie wünsche,
daß dieses unedle und falsche Spiel aufhören möge.
Das in dem ,,Land der freien Presse'M Solch ein un-
gewöhnlicher Schritt führte uns natürlich zu dem Schluß,
daß etwas in der Luft lag. Um Ostern herum wurde
nun ein berühmtes politisches „Propriomotu^^ plötz-
lich meinem Botschafter übergeben und „ä brule pour
point" ein Bündnisvertrag mit England angeboten.
Graf Hatzfeld, äußerst erstaunt, sagte, er könne sich
nicht ganz einen Vers daraus machen, wie so etwas
eintreten könnte, nach allem andern, was sich zwischen
uns (und England) seit 1895 ereignet hatte. Die Ant-
wort lautete, daß das Angebot in tatsächlich ernster
Absicht gemacht und aufrichtig gemeint sei. Mein
Gesandter sagte, er würde Bericht erstatten, aber er
zweifelte sehr, ob das Parlament jemals ein solches
Bündnis ratifizieren würde, da England bis jetzt
immer jedem klar gemacht hatte, der es hören
wollte, daß es niemals irgendwie ein Bündnis mit
einer kontinentalen Macht abschließen würde, wer es
auch sei, und zwar deshalb nicht, weil es völlige Be-
32
Wegungsfreiheit zu haben wünsche. Im Jahre 1897,
dem Jubiläumsjahre, wurde gerade der Grundsatz, der
besagte, daß England keine Verbündeten braucht, daß
es gegebenenfalls gegen die ganze Welt allein kämpfen
würde, in Verse gebracht mit dem Refrain: „Wir
haben die Schiffe, haben die Menschen, haben dazu
Geld!** Die Antwort darauf war, daß die Aussichten
sich völlig geändert hätten (?) und daß dieses An-
erbieter die Folge davon sei. Nach Ostern wurde das
Ersuchen dringend erneuert, aber auf meinen Befehl
kühl und dilatorisch, in farbloser Weise beantwortet.
Ich dachte, daß die Angelegenheit damit zu Ende sei.
Nun wurde indessen wiederum das Ersuchen zum
dritten Male in so einer nicht mißzuverstehenden Weise
erneuert und dabei ein ganz kurzer Termin für
meine endgültige Antwort gestellt und von so enormen
Anerbiete: begleitet, die eine weite und große Zu-
kunft für mein Land eröffneten, daß ich es für meine
Pflicht Deutschland gegenüber halte, die Angelegenheit
ernstlich zu erwägen, bevor ich antworte. Bevor ich
die Antwort gebe, möchte ich Dich als meinen ge-
schätzten Freund und Vetter benachrichtigen, da ich
fühle, daß es sozusagen eine Frage auf Leben und
Tod ist. Wir beide haben die gleichen Ansichten, wir
wünschen Frieden, wir haben ihn bis jetzt erhalten
und bewahrt. Die Tendenz dieses Bündnisses geht,
wie Du wohl verstehst und wie ich darüber unter-
richtet bin, dahin, daß es ein Bündnis mit dem Drei-
bund und unter Hinzunahme von Japan und Amerika,
mit dem bereits Pourparlers eröffnet worden sind,
sein soll. Wie die Chancen für uns stehen, wenn
wir es abschlagen oder annehmen, kannst Du selbst
beurteilen. Jetzt bitte ich Dich als meinen alten und
33
vertrauten Freund, mir zu sagen, was Du mir bieten
kannst und willst, wenn ich ausschlage, bevor ich
meine endgültige Entscheidung treffe und meine Ant-
wort erteile. In dieser schwierigen Lage muß ich
völlig klar sehen können; klar und offen, ohne Hinter-
gedanken müßten Deine Vorschläge sein, so daß ich
sie beurteilen und in meinem Herzen und vor Gott
erwägen kann, wie ich es müßte, da es sich um das
Gut des Friedens für mein Vaterland und die Welt
handelt. Du brauchst nichts für Deinen Verbündeten
zu fürchten, denn bei irgendeinem Vorschlag, den Du
machen solltest, würde er in eine von Dir gewünschte
Vereinbarung mit einbezogen werden. Mit diesem Brief,
liebster Nikolaus, setze ich meinen ganzen Glauben in
Dein Stillschweigen und Deine Diskretion jedwedem
gegenüber und schreibe Dir, wie in alten Zeiten mein
Großvater Deinem Großvater Nikolaus I. geschrieben
haben würde. Möge Gott Dir helfen, die aufrichtige
Lösung und Entscheidung zu treffen. Es geht um die
nächste Generation! Aber die Zeit drängt, bitte ant-
worte daher bald.
Dein ergebener Freund
Willy.
Wilhelms höhe, 18. VIIL 1898.
Liebster Niki!
Durch Deine freundliche Erlaubnis ermuntert, den
alten Heben Werder nach Moskau als meinen Ver-
treter zur Zeremonie der Enthüllung des Denkmals
Deines teuren Großvaters zu senden, wird mir gleich-
zeitig die Gelegenheit gegeben, Dir durch ihn diese
Zeilen zu senden. Es ist wirklich eine Gefühlssache,
34
die mich antreibt, ihn zu senden, und nicht eine reine
Höflichkeitssache. Durch Großpapa habe ich oft von
Alexander II. gehört, und als ich die Ehre hatte, ihm
vorgestellt zu werden, fühlte ich mich bald im Banne
seiner Liebenswürdigkeit, was jedem so erging, der
durch seine Anwesenheit geehrt wurde. Seiner Freund-
lichkeit bin ich verpflichtet, daß ich die Uniform des
prächtigen Grenadierregiments trage, dessen Stiftungs-
tag heute ist, was mir ein festes Band der Vereinigung
mit Deiner herrlichen Armee bedeutet, die ich bis zu
meinem Tode schätzen und lieben werde.
Deine Diplomatie ^ hat kürzHch einen neuen großen
Erfolg in China geerntet, zu dem ich Dich um so
mehr zu beglückwünschen mir erlaube, als er ohne
Abfeuerung eines einzigen Schusses und ohne einen
unnötigen Alarm oder Polterei errungen worden ist.
Die Wirkung wird einen großen Anreiz für den Handel
und die industrielle Entfaltung Deines Landes be-
deuten. Heinrich hat mir gerade telegraphiert, wie
freundhch ihn Deine Behörden empfangen haben und
alles tun, was in ihrer Macht steht, um seine Reise so
angenehm wie mögUch für ihn zu machen, was mir
die erfreuliche Gelegenheit gibt. Dir herzlich zu dan-
ken. Ich bin höchst erstaunt über die Menge Unsinns
und Aufschneiderei, die jetzt in den Zeitungen Europas
über meinen Besuch nach Jerusalem verbreitet wird.
Es ist ganz entmutigend, festzustellen, daß das Gefühl
wahren Glaubens, das einen Christen beseelt, das
Heilige Land zu besuchen, in dem unser Heiland lebte
und litt, fast völlig in den sogenannten besseren Kreisen
des 19. Jahrhunderts ausgelöscht ist, so daß sie die
Pilgerreise gewaltsam mit politischen Motiven erklären.
^ Spielt auf die erwähnten Erfolge Rußlands in Ostasien an.
3* 35
Was Recht für tausend unserer ärmsten Bauern ist,
ist auch mein Recht. Seitdem ich mich mit Dir im
Juni briefhch in Verbindung setzte, hat England noch
dann und wann Unterhandlungen mit uns eröffnet,
aber auch niemals seine Hand ganz unbedeckt gelassen.
Es versucht zäh, wie ich es verstehe, eine kontinentale
Armee zu finden, die für seine Interessen kämpft. Aber
ich bilde mir ein, sie werden nicht leicht eine solche
finden, wenigstens aber nicht die meine. Ihr neuester
Plan ist der Wunsch, Frankreich von Dir weg auf ihre
Seite zu ziehen, und sie haben sich demgemäß plötz-
lich entschlossen, den Herzog von Connaught zu den
französischen Manövern zu senden. Ein hübscher
kleiner Plan von Courcelles, der, wie ich glaube, eifrig
am Werk zwischen Paris und London ist. Ich habe
bereits Deine Leute vor ihm gewarnt. Nun lebe wohl,
mein Heber Niki, wie beneide ich Werder darum, daß
er Dich sieht und mit Dir spricht. HerzHche Grüße
an Alix. — Wollt ihr wieder die früheren Uniformen
und Knöpfe einführen? — Glaube an mich als
Deinen stets wohlgesinnten Freund und Vetter
Willy.
J a c h t L o r e 1 e y, S t a m b u 1, 20. X. 1898.
Liebster Niki!
Während meines Aufenthaltes in Stambul gewährte
ich den Gesandten Audienzen. Ich hatte das Ver-
gnügen, die Bekanntschaft Sinowiews^ zu machen.
Ich fand in ihm einen vollendeten Diplomaten, einen
Mann mit sehr klarem Kopf, einen energischen Cha-
rakter, mit einem Wort, was man einen starken Mann
,^ Russischer „Gesandter in Konstantinopcl.
36
nennt. Ich beglückwünsche Dich zu solch einer aus-
gezeichneten Wahl. Wir hatten eine lange Unter-
haltung, selbstredend war seine Ansicht über die
Orientfragen für mich von größtem Wert, es bereitete
mir Vergnügen, ihm zuzuhören. Da er Dich bald sehen
wird, so gibt mir dies eine gute Gelegenheit, Dir diese
Zeilen durch ihn zu senden. Die Unterhaltung drehte
sich auch um die kretische Frage und um die letzten
Ereignisse, die sich dort zugetragen hatten. Die Quelle,
aus der die letzten Exzesse entstanden sind, ist ohne
Zweifel keine klare, und sicher handelt es sich nicht
um sogenannten muselmannischen Fanatismus, von dem
gewöhnlich in der europäischen Presse erzählt wird.
Ich wage vielmehr die Vermutung, daß Intrigen einer
bestimmten sich einmischenden Macht damit etwas zu
tun haben. Im Laufe unserer Unterhaltung erzählte
mir Sinowiew offen, daß die Situation weit davon ent-
fernt sei, sich wieder zu festigen, und daß die einzige
Möglichkeit, um aus diesem Dilemma herauszukommen,
die sei, die Türken zu veranlassen, Kreta mit Sack
und Pack zu verlassen i. Ob dies so sein muß, weiß
ich allerdings nicht, aber wie ich Dir in Peterhof ge-
legentlich auseinandersetzte, muß die kretische Frage
so gelöst werden, daß kein allgemeines „Imbroglio"
aus ihr entsteht, das diese Schurken von Kretern nicht
wert sind. Ich habe mit vielen alten und hervorragen-
den Türken gesprochen, die mir alle versicherten, daß
^ Trotz des Sieges über die Griechen 1897 war die Türkei
doch in der Folgezeit genötigt, Kreta die Autonomie zu gewähren.
Deutschlands zurückhaltende türkenfreundliche Haltung — es
überließ den anderen Großmächten die Schutzherrschaft über
Kreta — gewann ihm die dauernden Sympathien des Sultans.
Hierdurch und durch die Reise des Kaisers nach Jerusalem
bahnten sich die engeren Beziehungen Deutschlands zur Welt
des Islam an.
37
das ganze Volk Kreta zu einer Frage nationaler Ehre
macht, daß eine reine und einfache Entfernung der
Bevölkerung, wenn ihr von dem Sultan zugestimmt
würde, diesen seine Autorität, Krone und vielleicht so-
gar sein Leben kosten würde, und daß sie alle darüber
tief betroffen und bekümmert seien. Ich erlaube mir
daher, dies zu Deiner Kenntnis zu bringen und hoffe
dabei, daß Du in Deiner Weisheit freundlichst eine
Lösung finden mögest, welche die Lage des Sultans
gegenüber seinem Heere, und die des Kalifen gegen-
über der ganzen mohammedanischen Welt halten kann.
Du weißt aus den Berichten Osten-Sackens, was mich
veranlaßt hat, ,, meine Flotte auf den Tisch^^ nieder-
zulegen. Weil ich nämUch fühlte und sah, daß eine
gewisse Großmacht uns wie alle anderen als Werkzeug
benutzt, um ihr dabei behilflich zu sein, Kreta oder
Sudabay zu nehmen, und weil ich nicht zu der Partei
derer gehören möchte, von denen man erwartet, daß
sie mit Brot und Salz und auf den Masten die Fahnen
Kretas führend, besagte Macht bitten, daß sie so gnädig
die Wohlfahrt ihrer armen Schützlinge, der Kreter, be-
denken möchte, „die samt und sonders in der Hölle
braten mögen'M Die neuesten Ereignisse haben weiter
bewiesen, daß mein Argwohn berechtigt war und daß
diese gewisse Macht Unheil im Schilde führt und Ge-
waltmittel anwenden möchte. Das bedeutet so viel,
als daß man die Mohammedaner vertreiben möchte,
welche auf Kreta geboren und dort einheimisch sind
(gleich wie die christlichen Rebellen, die nur zum Islam
bekehrt sind), welche die Landeigentümer darstellen,
um, nachdem die ersteren dann alles verloren haben,
ihr Land den Christen zu geben, die bis jetzt ihre be-
zahlten Pächter und Arbeiter waren und gegen ihren
38
Herrn revoltierten. Das ist die kretische Frage in
„Nuce'S und das möchte ich ganz offenherzig Räuberei
nennen. Welch einen Eindruck dieser Akt der Räuberei
auf die mohammedanische Welt macht, davon hast Du
keine Ahnung, aber ich fühle und sehe und höre es.
Ein furchtbarer Schlag für das Prestige der Christen
im allgemeinen in den Augen der Mohammedaner und
die Erneuerung eines Hasses, den Du Dir kaum vor-
stellen kannst. Die betreffenden Mächte in Kreta haben
ein törichtes und äußerst gefährliches Spiel gespielt,
und dies treibt mich an. Deine freundliche Aufmerk-
samkeit auf diese Angelegenheit zu lenken. Erinnere
Dich, was Du und ich in Peterhof vereinbart haben,
nämlich niemals zu vergessen, daß die Mohammedaner
eine wichtige Karte in unserem Spiel sind für den
Fall, daß Du oder ich plötzlich vor einen Krieg mit
der besagten, sich hier einmischenden Macht gestellt
seien. Du als der Herr von Millionen von Moham-
medanern mußt der rechte Richter für diese Angelegen-
heit sein. Wenn Du ruhig der Führung der anderen
Macht in Kreta, wie es bisher geschehen ist, weiter
folgst, so wird der Ausgang für Deine eigenen mo-
hammedanischen Untertanen und für die Türkei ein
beklagenswerter sein, und Du wirst ein sehr wert-
volles Atout Deines ganzen Spieles verlieren. Darum
flehe ich Dich an, widme dieser Angelegenheit noch
einmal Deine ernste Aufmerksamkeit und finde mög-
lichst Mittel und Wege, wodurch Du den Sultan aus
seiner gefährlichen und kompromittierenden Situation
gegenüber seinen Untertanen retten kannst, und löse
die kretische Frage in einer für ihn annehmbaren Form.
Vergiß nicht, daß sein Heer tapfer und siegreich in
Larissa und Domokus für Kreta gekämpft und die
39
Provinz wieder erobert hat. Es würde niemals eine
andere Macht die Austreibung- ihrer bewaffneten Brüder
und ihrer Herren aus einer wiedereroberten Provinz
vergessen und vergeben. Welch glänzende Gelegen-
heit für Dich, hier einzuschreiten und den Sultan aus
Ungnade zu retten, die Welt vom blutigen Krieg zu
behüten und dabei die Dankbarkeit aller Moham-
medaner zu gewinnen. Andernfalls wird die Revolution
kommen und das Blut des Sultans eines Tages vor
Deiner Tür fließen. Bitte, verzeih mir, daß ich mit
solchen Dingen in Deine Zeit und Ruhe eingreife, aber
die Situation ist zu ernsthaft, die Interessen, die auf
dem Spiele stehen, so mannigfach, und ich möchte
nicht wünschen, daß Rußland seine glänzende Posi-
tion, die es bisher noch behauptet hat, verlöre. Alle
Augen richten sich hoffnungsvoll auf den großen Kaiser
des Ostens, wird er die erhoffte Lösung bringen?
Meine vielleicht zu rauhe Offenheit mag Dir zeigen,
wie groß und stark meine Liebe für Dich ist. Grüße
bitte Alix.
Dein wohlgesinnter Vetter und Freund
Willy.
Damaskus, 9. IL 1898.
Mein liebster Niki!
Durch das freundliche Telegramm, das Du mir nach
Jerusalem sandtest, zeigst Du mir, daß Du unsere
Reise mit Interesse verfolgst. Dies ermutigt mich. Dir
einige Zeilen jetzt gegen das Ende unserer Reise mit
einigen meiner Eindrücke zu senden. Sie sind so man-
nigfach, daß es ziemlich schwer ist, sie festzuhalten.
An erster Stelle hat natürlich Jerusalem unsere Auf-
merksamkeit beschäftigt, da so zahlreiche Stellen voll
40
von Erinnerungen an unseren Heiland sind. Der Ge-
danke, daß seine Augen auf demselben Hügel ruhten,
daß sein Fuß denselben Boden betrat, bewegt einem
tief das Herz und läßt es schneller und stürmischer
schlagen. Aber ich muß offen bekennen, daß nicht
alles, was man zum christlichen Glauben gehörend
sieht, tatsächhch zur Förderung des Gefühles dient.
Die mannigfachen und verschiedenen Konfessionen und
Sekten unseres gemeinsamen christlichen Glaubens be-
schäftigen sich zu sehr mit der Art von Kirchenbauten,
Errichtung von Klöstern und Kapellen auf sogenannten
überlieferten heiligen Stellen. Dies hat zu einer Art
von Wettkampf oder Wettlaufen um die höchsten Türme
oder größten Kirchen geführt, die im ganzen nicht zu
den Stätten passen, an denen sie errichtet sind. Tat-
sächlich könnte man es eine Ausstellung von Kirchen-
modellen nennen. Dies hat auf die Geistlichkeit der
verschiedenen Kirchen gewirkt, die sich an Intrigen
und politischen Anschlägen vergnügen, die nur Haß
an Stelle von Liebe nähren müssen und zu offenen
Kämpfen und Schlachten in den Kirchen führen, an
Stelle der Psalmen und freundlichen Reden. Aber was
noch schlimmer ist, man hat einen Gottesdienst von
Steinen und Holz geschaffen, der am Ende der zehn
Gebote verboten ist, anstatt die Gottheit selbst zu
ehren. Ein Franzose sagte zu mir sehr bezeichnend,
„das ist die Anbetung des Steines an sogenannten
heiligen Stätten, deren Heiligkeit nicht garantiert wer-
den kann, wogegen die Gottheit hier nichts gilt".
Sehr wahr, aber sehr niederdrückend für unseren christ-
lichen Glauben. Ganz natürhch, verzeih mir dies Wort,
hat die Anbetung des Fetischs eine tiefe Verachtung
der Christen bei den Mohammedanern hervorgerufen.
41
Mein persönliches Gefühl beim Verlassen der heiligen
Stadt war, daß ich tief beschämt vor den Moham-
medanern war und daß, wenn ich hierher ohne Religion
gekommen wäre, ich sicher als Mohammedaner zu-
rückgekommen sein würde. Das, was man in Jerusa-
lem unter Religion versteht, wird niemals zur Bekeh-
rung eines einzigen Mohammedaners oder zum Pflanzen
eines einzigen Baumes oder zum Graben eines ein-
zigen Brunnens führen. Ich bin entsetzt darüber, daß
Religion in Jerusalem so offen von der Geistlichkeit
dazu gebraucht wird, um einen politischen Plan oder
Anschlag zu decken, und das ist sehr schHmm und
fügt dem Christentum sehr großen Schaden zu, da
die Mohammedaner seit langem dies durchschaut haben
und uns demgemäß behandeln. Ich kehre mit dem
Gefühl einer großen Enttäuschung heim und mit der
festen Überzeugung, daß unseres Heilands Grab ganz
sicher nicht unter jener heiligen Grabeskirche
liegt, die in ihrem Aussehen und Schmuck sich nur
schlecht mit der Moschee Omars in ihrer einfachen
und Ehrfurcht erweckenden Größe vergleichen läßt.
Ach! — Die interessanteste und schönste Stadt vom
orientalischen Gesichtspunkte aus ist zweifellos Da-
maskus. Beirut mit seinen lieblichen Villen, Gärten
und freundlichen Lichtungen erinnert einen mehr an
eine Stadt im südlichen Italien oder auf Sizilien. Das
heilige Land wirkt einfach schrecklich in seiner grenzen-
losen Trockenheit und Dürre und seinem äußersten Man-
gel an Wald und Wasser. Aber hier ändert sich alles
wie mit einem Zauberschlag. Der große Fluß Baradar
bringt Leben und Kühlung und nährt eine herrliche
Vegetation. Die Stadt liegt inmitten großer Gärten
und schattiger Parks, die durch kleine Flüßchen be-
42
wässert werden, die ihr, wenn man von weitem kommt,
das Aussehen einer großen Fasanerie im Umkreis von
zwei Quadratmeilen geben. Die Heblichen ruhigen Hof-
räume mit ihrem arabischen Mauerwerk, ihren schat-
tigen Winkeln und murmelnden Quellen mit frischem
Wasser in den Marmorbassins sind einzigartig, gleich-
wie im Märchen. Du würdest ganz entzückt sein,
wenn Du hier wärest, da Du doch auch so viel vom
Orient kennst. Unsere Aufnahme ist hier einfach er-
staunlich, und niemals ist ein christlicher (Giaur)
Monarch iso gefeiert und mit so ungebändigtem Enthu-
siasmus aufgenommen worden. Dies darum, weil
ich ein Freund ihres Sultans und Kalifen bin, und
weil ich immer eine offene und loyale Politik gegen
ihn eingeschlagen habe, dieselbe, die ich so oft vor
Dir verteidigt habe. Der Haß gegen die Engländer
ist so stark und wird immer heftiger, kein Wunder,
während gleichzeitig zusehends die offene Verachtung
Frankreichs wächst, das allen Respekt, den es einst-
mals besaß, verloren hat. Das ist die unvermeidliche
Folge des schrecklichen Sumpfes, in dem die Fran-
zosen in ihren eigenen inneren Angelegenheiten herum-
tappen, wobei sie das Recht mit Schmutz bewerfen
und ganz Europa mit Gestank erfüllen, wobei sie zeigen,
wie tief die Korruption, Lüge und Schmach schon in
der Nation und vor allem in der Armee Boden ge-
wonnen hat. Die Leute hier sehen die Franzosen als
eine sterbende Nation an, besonders seit ihrem letzten
und schmachvollen Rückzug aus Faschoda. Was in aller
Welt hat sich nach einer so schönen und mutig arran-
gierten Expedition des armen, tapferen Marschand^
^ Anspielung auf die Faschoda-Expedition. Ultimatum Englands
an Frankreich, das in Westafrika und im Sudan nachgeben mußte.
43
ihrer bemächtigt? Sie waren in einer erstklassigen
Position und in der Lage, uns allen anderen in Afrika
zu helfen, wo wir so sehr starker Hilfe bedurften. Die
Nachricht traf hier wie ein Donnerschlag die Völker
des Orients, niemand wollte sie glauben. Wenn es
wirklich wahr ist, was die Presse sagt, daß Graf
Murawieff^ Frankreich geraten hat, einen so törichten
Schritt zu tun, so war er einseitig und äußerst schlecht
unterrichtet, da er — Deinem Freunde und Alli-
ierten einen tödlichen Schlag versetzte und sie hier
um ihr altes Prestige gebracht hat, das sie niemals
wieder erringen werden. Die Mohammedaner nennen
es Frankreichs zweites Sedan, und der arme französische
Konsul, den ich sprach, war in Tränen und sagte, daß
alles um. ihn zu Staub versinke. Frankreich wird niemals
diesen Freundschaftsdienst vergessen, noch wird es je-
mals dafür dankbar sein. Dies, mein lieber Niki, sind
meine interessantesten Beobachtungen, welche ich offen
und ohne Hintergedanken Dir erzähle, da ich alles mit
meinen eigenen Augen gesehen und mit meinen eige-
nen Ohren gehört habe. Ich fand meine Vermutungen
und Kombinationen völlig bestätigt. Die Türkei ist
sehr lebendig und nicht ein sterbender Mann. Hüte
Dich vor den Mohammedanern, wenn Du an ihre natio-
nale Ehre oder an ihren Kalifen rührst. Herzliche Grüße
an Alix
Dein immer wohlgesinnter Vetter und Freund
Willy.
Berlin, 6. V. 1900.
Liebster Niki!
In Eile möchte ich Dir diese wenigen Zeilen senden,
' Russischer Minister des Auswärtigen.
44
um Dir aus meinem tiefsten Herzen für Deinen freund-
lichen, lieben Brief zu danken, den Du mir so liebens-
würdigerweise durch Costia ^ sandtest. Ich erinnere
mich wirklich so aller Ereignisse bei Deiner Mündig-
keitserklärung und aller Zeremonien, die sie beglei-
teten. Wie tapfer sprachst Du Deinen Eid und wie
tief wurde Dein Vater gerührt, als er Dich nach-
her umarmte. Wie ist die Zeit vergangen. Jetzt bist
Du noch dazu Herrscher eines großen Reiches und
hast Kinder, und auch ich habe einen erwachsenen
Sohn. Was für ein feiner und lieber Gedanke war
es von Dir, Costia und den lieben alten Richter ^ wie
die übrigen Herren Deines Gefolges zu senden, um
der Mündigkeitserklärung meines Sohnes beizuwoh-
nen. Ich bin dankbar und stolz darüber, daß Du ein
so freundliches Interesse an den Begebenheiten unseres
Hauses nimmst, was mir wiederum einen Beweis der
festen Bande Deiner Freundschaft gibt, die wir von un-
sern Vätern ererbt haben und deren Bestand mit Got-
tes Willen und Hilfe niemals aufhören möge. Die Zere-
monie der Eidesleistung auf die alten Fahnen des ersten
Garderegiments war sehr eindrucksvoll und rührend.
Der Knabe verhielt sich sehr natürlich und sehr tapfer
vor der großen Versammlung der Fürstlichkeiten usw.
Mit tausend Dank und den herzlichsten Grüßen an Alix
und dem Wunsch für einen gesunden Sommer, ver-
bleibe ich
Dein stets wohlgesinnter und ergebener Freund
Willy.
P. S. : Unsere großen diesjährigen Manöver zwischen
dem Gardekorps und dem zweiten Armeekorps werden
^ Großfürst Konstantin Konstantinowitsch.
^ Generaladjutant des Zaren.
45
bei Stettin abgehalten. Falls Du etwas davon sehen
möchtest, könntest Du mit Deiner Jacht nach Swine-
münde kommen, und von hier könnte ich Dich sofort
flußaufwärts bis zur Stadt bringen. W.
Kiel, 13. VI. 1901.
Liebster Niki!
Meinen herzlichsten und wärmsten Dank für Deine
freundliche Nachricht durch Paulis i. Alles soll, wie
Du wünschest, arrangiert werden. Die Flotte soll nach
dem Winde dort vor Anker gehen, wo die Landung den
besten Schutz gewährt. Bojen mit russischen Fahnen
sollen für Deine Schiffe ausgelegt werden. Avisos und
Torpedoboote werden Dich erwarten und Dich an Dei-
nen Landungsplatz führen. Ich werde keinen Diploma-
ten mitbringen, selbst nicht den Kanzler, nur wenn Du
ihn sehen willst. Waldersee wird sich hier selbst mel-
den. Unser lieber alter Schuwaloff ist in Berlin und
die ganze Garnison pilgert zu ihm, in den Straßen
macht jeder Soldat „Front'^ und beim Vorbeiziehen
vor seinem Fenster spielen die Musikbanden Deine
Nationalhymne. Mit großem Vergnügen hoffe ich Dich
zu sehen. Waidmanns Heil für Alix.
Willy.
Swinemünde, 8. VII. 1901.
LiebsterNiki!
Ich sende Dir diese Zeilen durch meinen Sohn Adal-
bert, den ich freundlich Deiner Gnade empfehle. Es ist
das erste fremde Land, das er besucht, und da er erst
^ Großfürst Paul Alexandrowitsch, Onkel Nicolaus' II. '^(Bruder
Alexanders III.).
46
Seekadett ist, bitte ich Dich, ihn nicht allzu offiziell zu
behandeln. Er ist jung und standhaft und ich vertraue
darauf, daß Du freundlich darauf achten wirst, daß er
nicht in schlechte oder leichte Gesellschaft kommt. Mit
herzlichen Wünschen an AHx und ihre Umstände bleibe
ich mit großem Vergnügen, unserer Zusammenkunft auf
See entgegensehend.
Dein immer wohlgesinnter Freund und Vetter
Willy.
Wilhelmshöhe, 22. VIII. 1901.
Liebster Niki!
Dein lieber Brief vom 17. hat mich heute erreicht und
ich beeile mich, Dir für Deine freundliche Gesinnung,
die daraus blickt, zu danken. Ich danke Dir und bin
sehr erfreut, aus Deinem Brief zu ersehen, daß ich tat-
sächlich das große Vergnügen haben werde. Dich bei
Danzigi zu treffen. Um so mehr, als es an der Spitze
meiner Flotte geschehen wird, die stolz darauf sein
wird, ihren Admiral zu begrüßen, und die hoffentHch
seine Zufriedenheit erringen wird, wenn er sie besich-
tigt. Denr die Offiziere und Mannschaften meiner Flotte
wissen wohl, daß Du bei Deinem Interesse und bei
Deiner Kenntnis in Marinedingen auf Deine Stellung
als Admiral mit wirklichem Ernst blicken wirst, und
daß Du sie mit den Augen eines Sachverständigen be-
sichtigst. Daher wird sie sich jeder Anstrengung unter-
ziehen, um zu zeigen, was sie kann. Ich bitte Dich
jedoch, nur nicht zu vergessen, was Du auch durch
unsere Veröffentlichungen weißt, daß sich meine Flotte
gerade im Zustand der Vergrößerung und Umbildung
1 Die Zusammenkunft fand am 11. September IPOl statt.
47
befindet. Dies ist natürlich die Kehrseite ihrer äußeren
Erscheinung. Altes und neues Material und verschie-
dene Schiffstypen werden miteinander gruppiert, wobei
die allgemeine Erscheinung der Flotte einen beklagens-
werten Mangel an Harmonie und Einheitlichkeit zeigt.
Du hast freundlich den Besuch Adalberts genehmigt,
den Du durch Deine große Gastfreundschaft sehr ver-
zogen hast. Dein Lob macht Papa und Mama sehr stolz,
ich hoffe, er wird sich dessen immer wert erweisen.
— Dein Beileid in meinem Schmerz, anläßlich des
Todes meiner lieben Mutter ^, hat mich tief gerührt.
Du kannst ja aus Deiner eigenen traurigen Erfahrung
ermessen, als Dein armer Vater starb, was es bedeutet,
einen von den Eltern zu verlieren, der nach Menschen-
ermessen noch lange Jahre hätte leben können. Aber
in diesem Falle war das Leiden so schrecklich, daß man
das Ende nur als eine Erlösung ansehen konnte, als
Gott sie zu sich rief, und ihre letzten Stunden waren,
wofür ich ihm dankbar bin, sozusagen ganz friedlich
und schmerzlos. Dank der großen Geschwindigkeit
meiner Jacht und ihrer Geleiter, die mich in 28 Stunden
von Bergen nach Kiel brachten, konnte ich Cronberg
noch zur rechten Zeit erreichen, um sie noch ganz bei
Bewußtsein anzutreffen.
Ich habe Deine freundliche Einladung, ihm zu be-
gegnen, dem Kanzler mitgeteilt, der tiefgerührt und sehr
geehrt ist, daß Du ihm solches Vertrauen schenkst.
Er war völlig unvorbereitet. Ich selbst bin sehr glück-
lich darüber, weil er ein guter Kenner russischer Dinge
und Traditionen ist, und ein dankbares Andenken und
eine tiefe Ergebenheit an Eure Familie von seinem
Aufenthalt in Petersburg her zurückbehalten hat. Was
^ Kaiserin Friedrich. '*
48
Graf Lambsdorff angeht, so werde ich ihn gern empfan-
gen, wenn er an Bord Deiner Jacht sein sollte. Sollte
das nicht der Fall sein, da wir nicht bei jeder Gelegen-
heit an Land gehen, so beunruhige nicht den armen
Minister, eine so lange Reise nach Danzig zu machen.
Die Hitze, die wir in Norwegen ausstanden, war furcht-
bar, bis zu 33 Grad R. im Schatten, ganz wie in Syrien.
Mein Gefolge von einigen 20 Mann hat an einem Tage
167 Flaschen Apollinaris ausgetrunken. Möge das Wet-
ter günstig sein und ohne obige Folgen, wenn Du
kommst. Die Einzelheiten des Programms wirst Du
durch PauHs erhalten. Herzlichen Dank für die China-
medaille, die ich Soeben empfangen habe, die mich
erfreut und mir Vergnügen bereitet. Herzliche Grüße
an AHx
Dein ergebener und wohlgesinnter Freund
Willy.
Neues Palais, 17. XII. 1901.
Liebster Niki!
Der Besuch Deines lieben Bruders Michael geht sei-
nem Ende zu, und mit großem Bedauern sehen wir ihn
abfahren. Er ist ein reizender und einnehmender jun-
ger Mann, der jeden hier gefesselt hat, selbst meine
Tochter. Er schießt sehr gut und hat sich all der klei-
nen Arbeiten eines offiziellen Diners mit Repräsenta-
tion und Cercle tapfer unterzogen, obgleich er aus-
drücklich hervorhob, daß er kein Wortdrechsler sei.
Alle Leute, die mit ihm zusammenkamen, fesselte er
durch seine offenmännliche Haltung und freie Aus-
drucksweise. Er war ein Erfolg! — Ich danke Dir
herzlich für Deine freundlichen Worte für Danzig,
die mich ungewöhnlich stolz machen. Ich hoffe, daß
4 49
bei meinem Besuch im nächsten Sommer ich Dir ein
homogeneres Geschwader und einen der neuen ge-
schützten Kreuzer zeigen kann. Ich sehe unserem
Zusammensein mit Vergnügen entgegen. Oberst Kes-
nakow ist hier unter den Offizieren meiner Drago-
ner und scheint ein sehr netter Offizier zu sein. Ich
bin sehr erfreut, sie alle hier zu haben. Nimm bitte
als Andenken an meine liebe Mutter diese Nadel von
mir und ein Medaillon für Alix. Micha wird es Euch
überbringen. Mit aufrichtigem Wunsch für ein glück-
Hches neues Jahr und fröhliche Weihnacht, bleibe ich
Dein Dich liebender Vetter und Freund
Willy.
Neues Palais, 3. I. 1902.
Liebster Niki!
Diese Zeilen sollen Dir fröhliche Weihnacht und ein
glückliches neues Jahr wünschen. Möge Gott Dich
und Dein Hebes Weib und Deine Kinder segnen und
schützen und Euch alle insgesamt an Leib und Seele
gesund erhalten. Möge Deine Arbeit für den Frieden
der Welt und die Pläne, die Du für die Wohlfahrt
Deines Landes reifen läßt, erfolgreich sein.
Ich sende Dir als Weihnachtsgeschenk einen Offiziers-
dolch, der dem Modell entspricht, das ich kürzlich
in meine Marine durch Order vom „Wariag" einge-
führt habe. Ich bitte Dich, ihn als ein Andenken an
den freundlichen Besuch, den Du mir in Danzig ab-
stattetest und an die glücklichen Stunden, die wir dort
miteinander verbrachten, anzunehmen. Dies neue Seiten-
gewehr ist so populär unter unseren Offizieren, daß
ich glaube, daß sie damit zu Bett gehen möchten.
50
■ Meine Flotte, Heinrich und ich erwarten schon den
Tag, wo wir Deinen Besuch in diesem Jahre erwidern
können, und ich würde sehr froh sein, zu wissen, wann
und wo Du uns erwarten wirst.
Da Du ein so großes Interesse für unsere Marine
bekundest, wird es Dich interessieren, zu hören, daß
der neue bewaffnete Kreuzer „Prinz Heinrich" schon
nahe seiner Vollendung ist und bereits seine Maschinen
mit sehr zufriedenstellendem Resultat erprobt hat. Er
wird nach Abschluß der Probezeit voraussichtlich Aus-
gang Winter in die Flotte eingereiht. Das neue Linien-
schiff „Karl der Große", das fünfte der Kaiserklasse,
wird hoffentlich bald zu Versuchsfahrten auf See Ende
nächster Woche fertiggestellt sein, und Heinrich hofft,
es in einem Monat in die Flotte aufzunehmen.
Die Wittelsbachklasse ist in aller Eile weiter vor-
wärts gediehen, und man hofft, daß sie nach den
Manövern unter Heinrichs Flagge gestellt werden kann.
Dies bedeutet einen Zuwachs von fünf Linienschiffen,
was ihn in den Stand setzt, über eine ganz homogene
Flotte von ,, Friedensstiftern" zu verfügen, was zweifel-
los ein angenehmes Gefühl schafft und auch nützlich
ist. Dich darin zu unterstützen, der Welt den Frieden
zu erhalten. Die fünf neuen Linienschiffe sind schon
in Bau gegeben, und ihr Bau hat begonnen ; sie stellen
die erste Division des zweiten Geschwaders dar. Ich
ersehe aus den Zeitungen, daß der historische „Wariag"
in „Koweit"! angekommen ist. Es ist ein sehr weiser
Gedanke, daß Deine Flotte auch dort erschien, denn
es ist nicht unmöglich, daß eine andere Macht das
erfolgreiche Experiment, das sie auf der Insel Kreta
* Die Mündung'des Schatt-el-Arab beherrschender Hafenplatz
im" Persischen" Golf.
4* 51
unternahm, die Flagge des Sultans herabzuholen, Ma-
trosen und Kanonen (zu landen und ihre Flagge oder
eine andere unter einem Vorwand zu hissen und dann
zu sagen: ,,J^y suis, j'y reste^^ auch hier wiederholen}
wird. In vorliegendem Falle würde dies die oberste
Regelung aller Handelsstraßen Persiens i, die zum Golf
führenj, 'durch Persien selbst bedeuten und die Dir
mittels jenes „Tata'^ vorgeschlagene Regelung des
russischen Handels, die mit dem Abschluß eines Zoll-
vereins mit Persien durch Dich sehr glücklich ein-
geleitet worden ist. Das Auftreten der ausländischen
Macht in Koweit hebt in starkem Kontrast den außer-
ordentlichen Vorteil einer überragenden Flotte hervor,
welche die Angriffe zur See auf Plätze beherrscht,
die keinerlei Verbindung über Land haben, und an
die wir anderen nicht heran können, weil unsere Flotten
zu schwach sind, und ohne sie unser Handelsverkehr
der Gnade des Feindes ausgeliefert ist. Dies zeigt
noch mehr, wie äußerst nötig die Bagdadbahn ^ ist,
welche nach meiner Absicht deutsches Kapital bauen
soll. Wenn unser ausgezeichneter Sultan nicht jahre-
lang mit dieser Frage die Zeit vertrödelt hätte, so wäre
der Bahnbau schon vor Jahren begonnen worden und
hätte Dir die Gelegenheit gegeben, einige Regimenter
schnurstracks aus Odessa nach Koweit zu senden und
der anderen Macht den Stuhl vor die Tür zu setzen,
weil dann die russischen Truppen das Kommando der
inneren Linie an der Küste hätten, gegen welche selbst
* Rußland hat etwa seit der Jahrhundertwende den englischen
Einfluß in Persien immer mehr zu seinen Gunsten verringert.
Es gewährte sogar Persien eine Anleihe unter der Bedingung, daß
eine frühere englische Anleihe zurückgezahlt werde.
' Die Konzession, die bereits 1899 erteilt wurde, war die
Frucht der Jerusalemreise in jenem Jahre.
52
die größte Flotte ^us vielen Gründen machtlos ist.
Der Hauptpunkt in Anlehnung an den Komman-
danten von Kronstadt, der Peter dem Großen auf die
Frage, warum er ihn nicht begrüßte, antwortete:
„erstens weil die Schiffe nicht auf dem Lande mar-
schieren können"; Du weißt, das genügt. Die eigent-
liche Antwort des wackeren Admirals, ,, zuerst weil
ich kein Pulver mehr habe", wurde einen Tag vor
Weihnachten Heinrich vom Kapitän des Askold erteilt.
Mein Geschwader hatte den Befehl erhalten. Deinen
Geburtstag durch eine reiche Entfaltung des Flaggen-
schmuckes und königlichen Salut zu feiern. Als aber
Heinrich den Kapitän von Reizenstein fragte, zu wel-
cher Stunde die Zeremonie stattfinden sollte, erklärte
dieser, er würde nichts Derartiges tun, und selbst als
Sergius ihn aufgefordert hatte, weigerte er sich un-
bedingt, seine Flagge zu hissen und seinen Kaiser zu
grüßen, trotzdem das Schiff den Auftrag hatte und
die ganze Mannschaft an Bord war. Mein Geschwader
war sehr enttäuscht und wie ich sagen muß, von dem
Betragen dieses Mannes sehr abgestoßen! — Ich sende
Dir außer dem Dolch noch ein sehr interessantes Buch
über den südafrikanischen Krieg, das von einem Eng-
länder geschrieben ist, der ganz und gar den Weg, der
eingeschlagen wurde, und den Zweck, zu dem dieser
Krieg begonnen wurde, verurteilt. Es ist sehr klar
in dieser Hinsicht und zeigt, daß der Autor seine Un-
parteilichkeit bis zu dem letzten Augenblick beibehalten
hat, eine sehr dankenswerte Ausnahme für die Regel,
die jetzt in England herrscht. Die Parallele, die er
zwischen diesem Kriege und dem Kriege gegen die
amerikanischen Kolonien vom Jahre 1775—1783 zieht,
ist äußerst überraschend und schlagend. Der Über-
53
bringer meiner Gabe, mein Adjutant, war Kommandant
der „Hertha*^ während der Chinaaffäre ^ und rettete
die Expedition Seymours und brachte sie sicher nach
Tientsin zurück. Er war tatsächHch der Admiralstabs-
chef, und ihm wurde der jetzt historische Befehl ge-
geben, auf den meine Blaujacken so stolz sind: „Ger-
mans to the Front", als die britischen Matrosen sich
weigerten, auch nur noch einen Zoll vorwärts zu gehen.
Er war nicht in Danzig anwesend, da er sich sein
Bein durch einen Sturz vom Pferde verletzt hatte, sonst
hättest Du aus seinem eigenen Munde den Bericht
hören können, aus welchen Leuten sich die wenig
glänzende Expedition zusammensetzte. Nun, mein
liebster Niki, lebe wohl, grüße Ahx, Micha und Deine
Mutter von
Deinem stets wohlgesinnten und ergebenen Freund
und Vetter
Willy.
Berlin, 30. I. 1902.
Liebster Niki!
Laß mich Dir noch einmal schriftlich danken für den
glücklichen Gedanken, Deinen Lieblingsadjutanten Obo-
lensky mit den Geschenken zu meinem Geburtstag
hierher zu entsenden. Der Mantel ist sehr praktisch
und wird in jedem Wind und Wetter gute Dienste
leisten, notabene bei dem Gang zum Stapellauf und
beim Gang vom „Standard" nach der „Hohenzollern"
in Reval. Dann sind die Vasen ganz reizend, die eine
blaue mit der Patina ist ein Prachtstück und eine schöne
Zierde in meinem Salon. Obolensky begleitete mich
^ Boxeraufstand 1900.
54
bei all den verschiedenen Funktionen anläßlich meines
Geburtstages und wird Dir erzählen, was so ein armer
überarbeiteter Landesvater alles zu tun hat, ehe er sich
für einen AugenbUck ruhig zu einem Bissen oder einer
Zigarre setzen kann. Dennoch waren wir sehr lustig,
da alle meine Geschwister hier waren und Heinrich ^
die Familie munter antreffen konnte, mit der Aussicht,
den Amerikanern und ihren schönen Damen eine Stipp-
visite abzustatten, die zu unserem größten Vergnügen
große Zahnschmerzen an der jenseitigen Küste des
Kanals hervorruft.
Aber ich möchte Deine kostbare Zeit nicht länger
in Anspruch nehmen. Obolensky überbringt Dir die
Tafeln der russischen, amerikanischen und japanischen
Marine, die nach den neuesten Berichten aufgestellt
sind, ferner Photographien aus Danzig, worauf ich
immer mit Dank und Vergnügen zurückblicke.
Dein immer wohlgesinnter Vetter und Freund
Herzliche Grüße an Älix.
Willy.
Generalkommando Posen,
2. IX. 1902.
Mein liebster Niki!
Seit meiner Rückkehr aus Reval war ich sehr in
Anspruch genommen, wie Du aus den Zeitungen er-
sehen haben magst. Jetzt, wo mich mein erlauchter
Gast, der König, nach einem erfolgreichen Besuch
verlassen hat, spare ich mir in den Unruhen der Ma-
növer einige Minuten ab, die ich einem Brief an Dich
^ Es handelt sich um den Besuch des Prinzen Heinrich in
den Vereinigten Staaten.
55
widmen möchte. Ich brauche es nicht zu sagen, die
Erinnerung von Reval steht noch lebhaft vor meinen
Augen, mit all der Liebenswürdigkeit und Freundlich-
keit, die Du mir damals bewiesest, mit dem pracht-
vollen militärischen Schauspiel, der Tüchtigkeit Deiner
Flotte bei ihren Geschützübungen und ihren Evo-
lutionen und nicht zuletzt die vielen Stunden liebens-
würdiger ungestörter Kameradschaft mit der freund-
lichen Unterhaltung, die ich mit Dir pflegen konnte.
Alles das lebt noch weiter in meinen Gedanken und
begleitet mich auf meinen Wegen, und ich fühle, es
wäre ein entschiedener Mangel an Takt und Erziehung,
wenn ich Dir nicht noch einmal in diesem Brief von
ganzem Herzen danken würde. Die ganze Reise war
für mich ein dauernder Hochgenuß, aber sie war mehr.
Die Marineartillerieschule, die mir auf Deinen Befehl
gezeigt wurde, ist der wichtigste Teil in der Ent-
wicklung der Flotte und ihrer Vorbereitung fürs „Ge-
schäft^^ Durch diese Erlaubnis hast Du mir -^inen
besonderen Grad Deines Vertrauens bewiesen, eine
Revanche für das, was ich Dir in Danzig zeigte, etwas,
>vas den Besucher mit vollstem Vertrauen erfüllt, das
nur zwischen Männern denkbar ist, welche dieselben
Ideen und Prinzipien vertreten, und was zwischen zwei
Monarchen vereinte Arbeit in der gemeinsamen An-
gelegenheit, den Frieden ihren Ländern zu erhalten,
bedeutet. Dieses Vertrauen und dieser Glauben, den
Du in mich gesetzt hast, bedeutet, wie ich Dir wohl
versichern kann, daß ich mich nicht ins Unrecht setzen
werde, denn ich werde mich voll revanchieren. Dies
möge Dir die Tatsache beweisen, daß die geheimen
Pläne meiner neuesten Schiffe, die sonst für den Frem-
den nicht bestimmt sind, Dir eingehändigt und der
56
Diskretion Deiner Marinebehörden anvertraut werden.
Hierzu bemerke ich, daß wir beide das gleiche Interesse
an der Entwicklung unserer Flotten haben, daß die
Liebe zur See uns angeboren ist. Es wird genügen,
zu zeigen, daß wir auf unsere beiden Marinen wie auf
eine große Organisation bUcken müssen, die dem
einen großen Kontinent gehört, dessen Interesse es
sein muß, an seinen Küsten und auf dem ausgedehnten
weiten Meere Wache zu halten. Dies bedeutet tat-
sächlich den Frieden der Welt.
Denn als Lenker zweier leitender Mächte der beiden
großen Kontinentalverbände vermögen wir unsere An-
sichten über eine allgemeine Frage, die ihre Inter-
essen berührt, auszutauschen, und sobald wir über-
eingekommen sind, wie wir diese Frage behandeln
wollen, können wir auch unsere Alliierten dazu brin-
gen, dieselbe Anschauung anzunehmen, so daß die bei-
den AlHanzen, d.h. die fünf Mächte, wenn sie entschlos-
sen sind, den Frieden zu erhalten, die Welt friedlich
bleiben und die Segnungen des Friedens genießen las-
sen werden. Es ist eine lebhafte Erklärung der Tat-
sache, daß die beiden Allianzen das Gleichgewicht von
Europa und der Welt aufrechterhalten, wenn sie durch
die jährlichen Zusammenkünfte ihrer beiden Leiter,
die ihre Ansichten austauschen, in enger Verbindung
miteinander stehen.
i>
Dies ist um so notwendiger, als gewisse Anzeichen
im Osten darauf hinzudeuten scheinen, daß Japan ^
wieder ein unruhiger Kunde wird, und daß die Situation
aller Kühle und Entschiedenheit der Friedensmächte be-
nötigt. Die Nachricht von der Ernennung des japa-
' Japan hatte Ende Januar 1902 mit England seinen ersten
Bündnisvertrag geschlossen.
57
nischen Generals Yamai, des früheren Führers der
japanischen Truppen in China, zur Gesandtschaft in
Peking, um dort die Reorganisation des chinesischen
Heeres in Angriff zu nehmen, mit dem uneingestande-
nen Zweck, alle Fremden aus China zu vertreiben, ist
eine sehr ernste Tatsache. 20 — 30 Millionen waffenge-
übter Chinesen, die durch ein halbes Dutzend japani-
scher Divisionen unterstützt und von unerschrockenen,
die Christen hassenden japanischen Offizieren geführt
werden, das ist ein Zukunftsbild, das man nicht ohne
Besorgnis betrachten sollte und das keineswegs un-
möglich ist. Das ist wirklich die zur Realität gewordene
„gelbe Gefahr^^ die ich vor einigen Jahren zeichnete,
wegen welches Bildes ich von dem größten Teil der
Menschen ausgelacht worden bin.
Da es Dich interessiert, wie die Verteilung der See-
streitkräfte sich, im Falle Komplikationen im Osten
eintreten sollten, gestaltet, habe ich eine rohe und
ungefähre Schätzung aufgestellt, welche die Form einer
Tabelle angenommen hat, die ich Dir unterbreite. Die
Zahlen sind nicht genau, da der Schiffsstand ständig
wechselt, aber sie können so als ein allgemeiner Leit-
faden dienen. Die vor der Vollendung stehenden Schiffe
sind mitgezählt, einige der ältesten und einige kleinere
sind beiseite gelassen.
Die Manöver sind sehr gut ausgefallen, und das
fünfte Korps hielt sich so gut, wie Du es bei Görlitz
gesehen hast. Jeder war erfreut. Deine Offiziere und
den Gouverneur General Tschertkoff zu begrüßen. Ich
danke Dir sehr dafür, daß Du ihr Kommen gestattetest,
und ich bin ganz entzückt über die Haltung des präch-
tigen alten Soldaten, der sich genau so gab, wie Du
ihn beschrieben hast. Ich habe ihm den Schwarzen
58
Adler verliehen, um zu zeigen, wie ich seinen Besuch
schätzte. Er, wie alle Deine übrigen Offiziere, die
einen ausgezeichneten Eindruck auf mich machten,
waren sehr bekümmert und natürhch auch wir alle,
einschließlich meiner Frau, über den Unfall, den AHx
erlitten hat. Gott gebe ihr bald wieder die Genesung;
möge es ohne üble Folgen bleiben. Mit herzlichem
Gruß von Viktoria und meinerseits an Euch beide
verbleibe ich
Dein wohlgesinnter Freund und Vetter
Willy.
Admiral des Atlantischen Ozeans.
Berlin, 14. I. 1903.
Mein liebster Niki!
Diese Zeilen werden Dir von meinem Jungen über-
bracht werden. Meine Schwester nennt ihn stets Billy
Nummer zwei oder den kleinen Billy, um ihn von
seinem Vater zu unterscheiden. Ich empfehle ihn
Deinem freundlichen Schutz und hoffe, daß Du mit
seinem Betragen zufrieden sein wirst. Er ist noch sehr
jung und beginnt sich erst selbst zu formen, so daß,
falls er irgendwelche Böcke schießen sollte. Du sie
freundlich übersehen mögest. Außer diesem Schreiben
bringt er Dir eine Anzahl von Geschenken, die ich
Dir nicht früher senden konnte. Erstens ein großes
Modell unserer neuen H-Klasse von Schlachtschiffen,
von dem Du in Reval sagtest, daß Du es gern an-
nehmen wirst. Schimmelmann kann es Dir gelegent-
lich erklären. Zweitens ein Aquarellalbum, das die
Geschichte der Formen und Farben unserer Regiments-
fahnen und Standarten seit dem Großen Kurfürst bis
59
auf meine Zeit darstellt. Die erste Hälfte reicht von
der Zeit des Großen Kurfürst bis 1806, die zweite bis
1900. Drittens sämtliche Uniformen, Waffen, Kürasse
und Abzeichen, die zu Deinem neuen Kürassierregiment
gehören, von denen ich hoffe, daß sie Dir passen.
Sie werden Dir von meinem alten Kammerdiener, den
Du in Reval gesehen hast, „Vater Schultz", über-
bracht. Er soll Deinen „Mann" darüber unterrichten,
wie man diese verschiedenen Dinge anlegt. Viertens
einige Broschüren und Magazine, für die Du vielleicht
in Deinen Mußestunden Interesse hast.
Was die Farben unserer Armee betrifft, so habe ich
eine Bitte an Dich. Auf der ersten Tafel, welche die
Abzeichen aus der Zeit des Großen Kurfürsten dar-
stellt, befinden sich die ersten Abzeichen, die dem
Garderegiment des ersten Königs gehören und von
ihm nach seiner Krönung als Friedrich I. verliehen
wurden, blau mit goldenen Flammen, Kronen und
Adlern und weiß mit schwarzen Adlern und goldenen
Kronen. Die Standarten wurden in unserem Arsenal
bis zum Siebenjährigen Krieg aufbewahrt, in welchem
sie von den russischen Truppen, die damals Berlin
besetzten, mit manch anderen Dingen aus dem Arsenal
tbrtgenommen wurden. Wir haben jetzt große Mühen
und Schwierigkeiten, die Geschichte unserer Stan-
darten wieder zu schreiben, und ich würde Dir dank-
bar sein, wenn Du die Güte hättest, zu gestatten, daß
sie in Aquarell oder Öl nach den Originalen kopiert
werden, so daß wir eine wahrheitsgetreue Wiedergabe
der Originale, wie sie in Petersburg aufbewahrt werden,
hätten. Hoffentlich geht alles gut und hat mein Sohn
das Vergnügen, Dich zu sehen. Ich verbleibe immer
Dein wohlgesinnter Freund und Vetter
Billy Nr. 1.
60
Neues Palais, 19. XL 1903.
Liebster Niki!
Ich kann unmöglich den plötzlichen und traurigen
Tod des süßen kleinen Sonnenscheins übergehen, ohne
Dir ein Wort zu senden und Dir zu sagen, wie tief
ich mit Euch allen in diesem traurigen Falle fühle. Es
ist sehr schwer, die Tatsache zu begreifen, daß dieses
Hebliche Kind nicht mehr unter uns weilt. Wie freudig
und lustig war sie damals in Wolfsgarten, als ich dort
war, so ganz Leben, Scherz und Gesundheit, und nun
zu denken, daß man sie niemals wieder auf dieser Welt
sehen soll. Was für ein schrecklicher, herzzerreißender
Schlag für den armen Erni, der so vernarrt in sie war
und jene kleine Zauberin so anbetete. Möge der
Himmel ihm die Kraft verleihen, solch einen Schlag
zu ertragen! — Ich stehe noch ganz unter dem Ein-
druck der reizenden beiden Tage, die ich mit Dir ver-
bringen konnte. Sie bleiben mir ein liebes Andenken.
Du erinnerst Dich an unsere Unterhaltung über den
Balkan und die Türkei und an mein letztes Telegramm
mit Anweisungen an meinen Botschafter, dem Sultan
eine energische Lektion zu erteilen, daß es höchste
Zeit für ihn sei, sich endlich nach dem Mürzsteg!-
programm^ zu richten? Nun, diese Instruktionen haben
* Das Mürzstegprogramm über die Balkanfragen wurde im
Oktober 1903 zwischen Österreich und Rußland anläßlich eines
Besuches des Zaren mit seinem Minister des Äußern Lambsdorff
bei Kaiser Franz Joseph in Anwesenheit des österreichischen
Ministerpräsidenten Goluchowski abgeschlossen. Es wurde die
Souveränität des Sultans anerkannt, dem Generalgouverneur von
Mazedonien (Hilmi Pascha) aber zwecks Herbeiführung von Re-
formen für die Christen ein österreichischer und russischer Zivil-
agent an die Seite gesetzt. Die Pforte verschleppte aber die Re-
formen, leistete passiven Widerstand und baute nur langsam die
zerstörten Häuser der Christen wieder auf, die kleinen Balkanstaaten
waren mit dem Mürzstegprogramm ebenfalls unzufrieden, da ihr
Einfluß in Mazedonien durch die Großmächte lahmgelegt wurde.
61
zu einer Unterhaltung zwischen meinem Botschafter
und dem Sultan vor einigen Tagen geführt, die \^k
Stunden dauerte. Der Sultan war sehr zähe und blieb
sehr fest bei seiner Idee, daß eine Weigerung, die
Wünsche Rußlands und Österreichs zu erfüllen, die von
mir unterstützt waren, ihm keinen großen Schaden
bringen würden. Der Botschafter mußte jeden Kraft-
ausdruck, der ihm gegenüber einem Monarchen nur
erlaubt war, anwenden, um die Schwere der Situation
seiner Majestät beizubringen und verließ ihn als seinen
niedergeschlagenen, aber weiseren Mann, nachdem er
ihm völlig klar gemacht hatte, daß er auf keinen Fall,
wo immer ich meine Hand zu seiner Unterstützung
erheben oder ein Wort für ihn sprechen würde, sich
und sein Land in schwere Folgen stürzen dürfe, da-
durch, daß er sich weigere, die Wünsche des russi-
schen und österreichischen Kaisers zu erfüllen, die eine
geradezu engelhafte Geduld und Nachsicht mit seinem
Betragen gehabt hätten, und die in striktester Weise
sich an das Februar- und Mürzstegprogramm, das von
mir unterstützt würde, hielten. Der Botschafter steht
unter dem Eindruck, daß sehr lebhafte Palastintriguen
unter einer Bande von Werkzeugen schlimmster Natur
umgingen, die den Sultan umgeben, und die mit un-
glaublichen Lügen seine Gutgläubigkeit mißbrauchen
und den Großvezier, dessen Einfluß von ihnen ge-
fürchtet wird, der tatsächlich in vollster Harmonie und
in Übereinstimmung mit unseren drei Botschaftern
steht, entfernen möchten.
Eine weitere interessante Nachricht erreichte mich
aus Sofia. Der Fürst der Erzverschwörer gab in einer
Unterhaltung nach dem Diner seiner und seines Landes
stärksten Unzufriedenheit über das Mürzstegprogramm
62
Ausdruck. Dies wäre nicht genug für sie, sie müßten
darauf drängen, noch mehr zu erhalten. Aber da er
ganz gut weiß, daß die kaiserHchen Mächte nicht
mehr gewähren, haben sich alle in Bulgarien an Italien,
England und Frankreich gewandt! Von diesen Ländern
allein hofft man für die Zukunft Bulgariens und Maze-
doniens. Sie allein würden Freiheit, d. h. Parlament
und Republik, den unterdrückten Balkanvölkern bringen.
Dies zeigt Dir, worauf ich in unserer Unterhaltung an-
spielte, daß die „Krimkombination^^ ^ in Bildung be-
griffen ist und gegen die russischen Interessen im Osten
arbeitet. Die demokratischen Länder, die durch Parla-
mentsmajoritäten regiert werden, gegen die kaiser-
lichen Monarchien, die Weltgeschichte rollt sich ab,
um sich selbst zu wiederholen. Mit herzlichen Grüßen
an Alix und in der Hoffnung auf ihre baldige Wieder-
herstellung verbleibe ich immer
Dein stets ergebener Freund und Vetter
Willy.
Neues Palais, 4. XII. 1903.
Mein liebster Niki!
Beigeschlossen sende ich Dir einiges interessantes
Material zu Deiner Zerstreuung, Artikel über Poliük,
über Marinefragen, eine Beschreibung der Überschwem-
mungen in Petersburg, von der ich nicht weiß, ob sie
richtig ist, und eine illustrierte Zeitschrift über die
letzten Manöver. Vielleicht wirst Du ein Thema finden,
das Dich an unsere letzte Unterhaltung erinnert und
das Dir zeigt, wie die Entwicklung der Ereignisse auf
Europa wirkt, vielleicht etwas verschieden von dem
^ Der engere Zusammenschluß Englands, Frankreichs und
Italiens in Anspielung auf den Krimkrieg (1854).
63
Standpunkt, den man in St. Petersburg hat. Wenn es
alte Nachrichten sind, verzeih mir bitte, aber wie Du
in Wolfsgarten sagtest, es komme nicht darauf an,
vorausgesetzt, daß es Nachrichten sind, die sich auf
unsere gemeinsamen Interessen und auf die Sicher-
heit unserer beiden Nationen beziehen, so wage ich
es doch, sie Dir zu schicken. Sie stammen aus Aus-
schnitten ganz verschiedener Nachrichtenbureaus und
Zeitungen. Wie bin ich froh darüber, daß Alix wieder
ganz auf dem Posten ist und frei von jenen furchtbaren
Schmerzen! Die Schußergebnisse waren sehr gut, und
ich wünsche Dir von ganzem Herzen Waidmanns Heil.
Ich sende Generaladjutant von Löwenfeld nach Lon-
don, um das große Verdienstkreuz (25 Jahre) Onkel
Arthuri zu überbringen und um gleichzeitig die Stim-
mung und die öffentliche Meinung hinsichtlich der
Orientfrage kennen zu lernen. Seine Mutter ist eine
Engländerin, und auch er spricht die Sprache sehr gut.
Was er sah und hörte, werde ich Dich wissen lassen.
Die kommandierenden Offiziere meiner Truppe in
China sind schon seit langer Zeit angewiesen, in aller
Stille die Auseinandersetzungen zwischen japanischem
und chinesischem Militär und den wachsenden Ein-
fluß Japans auf die chinesische Armee zu überwachen.
Vor zwei Tagen erhielt ich einen Bericht, daß die
Japs heimlich mit den Chinesen hinter Deinem und
meinem Rücken gemeinsame Sache gegen uns machen,
daß sie ein geheimes Abkommen mit China geschlossen
haben, um die chinesische Armee mit 20 000 neuen
Repetiergewehren, Munition, 48 Feldkanonen und 12
Schnellfeuer-Gebirgsgeschützen und Munition dafür bis
' Prinz Arthur Herzog von Connaught, Bruder der Kaiserin
Friedrich.
64
zum nächsten Sommer versorgen wollen. Die chine-
sischen Truppen exerzieren Tag und Nacht und, wie
die Leute, welche sie z. B. in Pao-ting-fu beobachten,
sagen, auffallend gut, unter dem Kommando von japani-
schen Instruktionsoffizieren, deren Zahl ständig wächst.
Nette Sachen! Ich denke, den Chinesen sei es nicht
gestattet, Japaner in ihrer Armee zu haben. Letztere
erwecken sicherlich in den Chinesen Hoffnungen und
flößen ihnen allgemeinen Haß gegen die weiße Rasse
ein. Sie bedeuten eine schwere Gefahr in Deinem
Rücken, falls Du einen japanischen Angriff von der
Seeseite vor Dir hast. Verzeih meine Freimütigkeit,
die ich mir genommen habe, ich hoffe, daß der Ad-
miral des Stillen Ozeans nicht böse sein wird auf die
Warnzeichen des Admirals des Atlantic, der immer
auf der Wacht ist. Ta! Ta!
Herzlichen Gruß an Alix von
Deinem ergebenen Freund und Vetter
toujours en vedette
Willy.
Neues Palais, 9. I. 1Q04.
Liebster Niki!
Nur eine Zeile, um Dir zu sagen, wie meine Ge-
danken mit Dir in dieser schweren Zeit beschäftigt
sind. Möge Gott geben, daß alles milde ausläuft und
daß die Japs^ zur Vernunft kommen, trotz der wahn-
^ Japan hatte seit Jahrhundertbeginn gegen Rußland gerüstet.
Dieses lenkte 1902 in der Mandschureifrage ein und schloß mit
China einen Vertrag, demzufolge es seine Truppen in 1 '/» Jahren
aus der Mandschurei zurückziehen sollte, ohne dies indessen
zu tun, was Japan, das anfangs mit dem Losschlagen noch war-
ten wollte, jetzt zur Beschleunigung seiner Rüstungen veranlaßte.
Rußland richtete eine Statthalterschaft (Alexejew) im fernen Osten
ein. Japan forderte die Räumung der Mandschurei.
5 65
sinnigen Hetze der feilen Presse eines gewissen Landes,
das auch Geld gegeben hat, um es in den japanischen
Mobilisationsabgrund zu schmeißen. Ich danke Dir
für den Bericht, den Du mir offiziell durch Osten-
Sacken gesandt hast. Er ist sehr klar und wird ohne
Zweifel zu einer Festigung des Friedens führen. Ich
hoffe, er wird die Gefühle der unverschämten Kriegs-
partei in Japan beruhigen, wie er sicherlich auch die
übrigen Mächte befriedigen wird, die für ihren Handel
besorgt sind, dem einstmals offene Tür versprochen
war.
Ich sende Dir ein Exemplar der Marinerundschau
mit einem Artikel über gepanzerte Kreuzer, der von
L. geschrieben ist, ein Pseudonym, unter dem ich
selbst mich verberge, denn ich schrieb ihn, aber nie-
mand hat eine blasse Ahnung davon außer Tirpitz. Als
Material für meinen Artikel, der im November ge-
schrieben wurde, habe ich sehr interessante Einzel-
heiten über „Rivadavia*^ und „Moreno*^ erhalten, das
jetzt Japan von England angeboten wird, das damals
für Argentinien Schiffe baute. Diese Pläne, welche
ganz vertraulicher Natur sind und mir mit aus-
drücklicher Erlaubnis des Präsidenten der argentini-
schen Republik überlassen w^urden, wurden mir von
Amalde übersandt. Da Dich die Schiffe vermutlich
interessieren, so sende ich Dir den Atlas zu Deinem
persönlichen Gebrauch. Ich denke, die Schiffe
sind ein vollkommener Typ der Stahlpanzerkreuzer,
da sie große Tragkraft bei geringer Tonnage besitzen.
(Multum in parvo.) Sie kosten pro Stück 15 Millionen
Francs, was nicht zu viel ist. Mögen Deine Leute nicht
gegen sie zu käm.pfen haben. Es ist wirklich sehr
schade, daß Du sie nicht gekauft hast. Der Zeitungs-
66
ausschnitt zeigt, was gewisse Leute Neutralität nennen.
Mit den besten Wünschen für ein glückliches neues
Jahr und den Frieden, in der Hoffnung, daß ich Dich
demnächst treffe und mit den wärmsten Grüßen an
Alix
Dein immer wohlgesinnter Vetter und Freund
Willy.
P. S. Verzeih mir, wenn ich Dich so oft mit Tele-
grammen belästigt habe, aber Du sagtest mir in Wolfs-
garten, daß Du mir für jede Nachricht dankbar wärst,
die wert sei, daß ich mich ihrethalben mit Dir in
Verbindung setze. Ich vertraue selbstverständ-
lich auf Deine Diskretion, da diese Tele-
gramme lediglich für Dich bestimmt sind.
Admiral des Atlantischen Ozeans.
Berlin, 11. II. 1904.
Liebster Niki!
Die Antwort auf Deine freundliche Gratulation zu
meinem Geburtstag, die mich so glücklich machte, hatte
ich schon begonnen, als die Ereignisse eintraten, die
zum Kriege zwischen Dir und Japan ^ führten. Ich
hielt es daher für besser, auf eine Art Nachricht vom
Dir zu warten, in welchem Falle ich Dir hätte ant-
worten können. Der Ausbruch der Feindseligkeiten
hat schlimme Folgen für Deine tapfere Marine gehabt,
die mich tief bewegten. Wie könnte es anders der
Fall sein, da ich nun einmal russischer Admiral und
nur allzu stolz auf diesen Rang bin. Die schweren Er-
eignisse haben offenbar gezeigt, daß die warnenden
» Ausbruch des Krieges 9. 2. 1904. Überfall der Japaner auf
die Russische Flotte in Port Arthur, Vernichtung des „Zesare-
witsch und Rehysan", zweier großer russischer Schlachtschiffe.
£♦ 67
Nachrichten, die ich Dir durch meine Chiffredepeschen
senden konnte, absolut richtig waren, und daß seit
langer Zeit die japanische Regierung Ernst machte,
und sich für den Krieg entschloß. Einen Teil der
Schiffe in Port Arthur kenne ich durch meine Besich-
tigung und ebenso ihre Offiziere und Mannschaften.
Mein Herz ist voll von Mitleid für die armen Familien,
die durch den Verlust so zahlreicher Männer getrof-
fen sind.
Ich kann mir wohl denken, wie schwer Du in Deinem
Herzen fühlen mußt, daß alle Deine Mühen, den Frie-
den zu sichern, nichts genützt haben. Aber andererseits
gibt Dir dies ein gutes Gewissen, ein reines Bewußt-
sein, das einen Mann, ich habe es oft gesagt, ohne
Tornister und Gepäck ins Gefecht gehen läßt. Es
scheint, als ob der Himmel, auf dessen Hilfe wir beide
vertrauen, gewollt hat, daß es so sein sollte, dann
mußt Du die Ereignisse im Lichte einer Prüfung'
für Dich und Dein Land ansehen, das Dich und das
Volk befähigen wird, die größten Fähigkeiten, die in
den Russen schlummern, zu zeigen und zu entwickeln,
die sie schon einmal in den großen Zeiten der ersten
Jahre des 19. Jahrhunderts bewiesen haben.
Es ist mein Wunsch, Deine gütige Genehmigung vor-
ausgesetzt, daß, wenn irgend möglich ein Prinz meines
Hauses Deine Truppen begleiten soll, um als Zu-
schauer die Kriegskunst zu erlernen. Ich möchte Prinz
Friedrich Leopold, meinen Schwager, wählen, der dar-
auf brennt, zu gehen, und auch russisch spricht. Viel-
leicht läßr Du mich freundlich wissen, ob meine Bitte
gewährt werden kann.
Sei versichert, daß meine Gedanken Tag und Nacht
bei Euch weilen. Ich sende Dir diesen Brief durch
68
Schenk, Deinen Oberst, der Dir Helm und Mütze
überbringen wird, die das Alexanderregiment Dich
anzunehmen bittet. Ich flehe, daß der Himmel Dich
und Deine gesamte FamiHe in den kommenden Zeiten
schirmen und schützen möge. Wärmsten Gruß an Alix
und an Deine Mutter von
Deinem immer ergebenen Freund und Vetter
Willy.
P. S. Die Nachrichten, die ich Dir vor einem Monat
übermittelte, betreffs des Waffenverkaufs Japans an
China (Juan-shi-kai) haben sich bestätigt. Ich habe es
fertig bekommen, eine Kopie des Vertrages, der im letz-
ten Oktober mit der Firma Okwa und Co. unterzeich-
net wurde, zu erhalten. Es handelt sich um 1.) 14000
neue japanische Infanteriegevvehre (Meyji) mit Patro-
nentaschen usw. und 22 Maschinengewehre nebst
7 Millionen Patronen zu liefern in Tientsin nächsten
April. 2.) 48Arisaka Feldkanonen 7,5 cm pro Stück 5668
Yen, 12 Arisaka Gebirgskanonen 7,5 cm 1710 Yen
pro Stück, 48 Munitionswagen, 5 Schmieden, 200 Gra-
naten, 200 Schrapnells pro Kanone je 10 bzw. 8 Yen.
Das Rohmaterial wird in Frankreich (Creuzot) bei
Deinem Verbündeten hergestellt und soll in Japan
weiter verarbeitet werden. Die Lieferung war für Mai
nächsten Jahres in Tientsin angesetzt. Der Vizekönig
von Nanking hat bei der gleichen Firma im September
1903 200 000 Munitionskasten und Tornister für 70 000
Mann bestellt.
Gaeta, 29. III. 1904.
Liebster Niki!
Du wirst Dich sicherHch für meine Fahrt ins Mittel-
meer sehr interessieren. Unsere Reise auf dem mäch-
69
tigen Lloyddampfer „König Albert" war ganz pracht-
voll. Wir hatten immer glatte See, selbst die Bay von
Biskaja gnch dem See in Peterhof. Wenn wir etwas
Brise oder Seegang hatten, erhielten wir sie von hin-
ten. Das mächtige Schiff, es hatte einen Tonnengehalt
von 15 — 16 000 t, war sehr behaglich, ohne eine Be-
wegung, keine Erschütterung von den Maschinen, hielt
sich gut und wurde von seinem erstklassigen Kapitän
glänzend geführt. Die Küche war ausgezeichnet, die
Gesellschaft sehr lustig. Wie schade, daß Du nicht
hier sein konntest, wie würdest Du Dich über alles
gefreut haben. Die spanische Küste ist sehr schön, aber
ohne Vegetation; Vigo ein großer Hafen, der Platz
für alle Motten der Welt hat. Britische Flotten kom-
men hier jeden Monat zu Besuch her, Heinrich war
hier im letzten Jahr mit unserm Geschwader. Die
Meerenge ist imponierend, aber Gibraltar ist einfach
überwältigend. Das ist wohl das Großartigste, was ich
jemals sah; Worte sind einfach unmöglich, um die
leiseste Idee davon zu geben. Großartig in seiner
Natur und durch die militärischen Befestigungen, die
hier auf und um den Felsen errichtet sind, in militä-
rischen Kreisen fand ich \äel Interesse an dem Krieg,
aber keine Vorbereitung dafür und keine (Stimmung)
gegen Rußland. Port Mahon ist eine ruhige und sehr
reinliche spanische Stadt mit einem hübschen, land-
einwärts gelegenen Hafen, so etwa wie Malta im klei-
nen. Neapel ist zu lieblich und entzückend. Sommer-
klima, Blumengärten, namentlich Orangenbäume, voll
von Orangen. Der König war munter und sehr an
dem Krieg interessiert, den er genau studiert. Er
erwähnte, daß er Nachrichten über die Mobilisation
der Truppen aus Turkestan und dem Kaukasus habe.
die sich bereits in Bewegung setzten. Ich hielt dies
für ganz unwahrscheinhch und sagte, daß ich niemals
etwas davon gehört habe. Ich sprach mit ihm über den
Balkan, der scheinbar wie stets auf ihn eine große An-
ziehungskraft besitzt, und sagte, daß sich hier nichts
ereignen würde, da die Großmächte entschlossen
seien, nicht irgendeinen Unsinn von irgendeiner
Seite zuzulassen. — So nebenbei sehe ich aus den
Zeitungen, daß unser Handelsvertrag auf einen toten
Punkt gekommen zu sein scheint. Ich denke, daß
die Geheimräte und Tschinowniks in süßen Schlum-
mer gefallen sind, nachdem sie eine Menge Tinte ver-
schmiert haben, mehr, als tatsächhch gut ist. Ich würde
etwas darum geben, den Spaß zu sehen, wenn Du
plötzUch mit Deiner kaiserlichen Faust auf den grünen
Tisch schlagen und Deinen Faulpelzen einen Puff geben
würdest. Schheßhch kann einer doch nicht ewig war-
ten, wenn man denkt, daß sie schon so viele Monate
mit dieser Angelegenheit vertrödelt haben. Die Aussich-
ten auf einen niedlichen Picknick in Sibirien würden
sicherlich Wunder tun. Vielleicht würde es den Gang
der Angelegenheit beschleunigen, wenn Du ein gro-
ßes Tier nach Berhn stracks zu Bülow schicken wür-
dest und das ganze Spiel mit ihm persönHch beenden
Heßest, und zwar einen Mann von großen Fähigkeiten
und sehr gewandt in solchen Dingen, das würde gut sein.
Morgen fahren wir nach Sizilien und Messina ab, wo
wir die Osterwoche zu verleben gedenken. Lebe wohl,
mein liebster Niki, Gott behüte Dich und sei mit Dir
in all dieser schweren Zeit. Du weißt, daß meine Ge-
danken jetzt bei Dir sind. Herzlichsten Gruß an Alix.
Dein wohlgesinnter Vetter und Freund
Willy.
71
Berlin, 6. VI. 1904.
Liebster Niki!
Dein lieber Brief, den Krupensky^ mir vor zwei
Tagen überbrachte, hat mich tief gerührt. In diesen
Tagen, die für Dich, Dein Heer und Dein Land eine
Prüfung bedeuten, ist es doppelt freundlich von Dir,
mir so viel Zeit zu gönnen. Aber da es andererseits
so ist, so fühle ich mich sehr stolz, da ich aus die-
ser Tatsache entnehme, daß Du auf mich als Deinen
wirklichen Freund zählst, wie Du es recht aus-
drückst. So ist es! und Jean kann Dir versichern, daß
niemand all den Phasen des Krieges mit größerem
Interesse und mit größerem Eifer folgt, als ich. Deine
Bemerkung über Kuropatkin - war eine vollkommene
Offenbarung für mich. Ich bin sehr erstaunt über seine
Kurzsichtigkeit, daß er nicht unbedingt Deinen Be-
fehlen gehorcht. Er hätte Deine Ratschläge um so
mehr befolgen müssen, da Du doch selbst in Japan
gewesen und daher doch ein viel kompetenterer Be-
urteiler der Japs bist, als er. Deine Warnungen w^aren
völlig richtig und sind durch die Tatsachen voll be-
stätigt worden. Ich hoffe zum Himmel, daß der General
nicht den endlichen Erfolg Deiner Streitkräfte aufs
Spiel setzt, indem er sie einem „ ?? ^^ ausHefert,
bevor seine gesamten Reserven sich mit ihm vereinigt
haben, die, wie ich glaube, zum Teil noch unterwegs
sind. Das alte Sprichwort Napoleons I. bewahrheitet
sich noch, daß der Sieg nur bei den stärksten Batail-
lonen ist. Man kann niemals zu stark für die Schlacht
gerüstet sein, namentlich was die Artillerie anbetrifft.
^ Russischer Diplomat, zeitweise Gesandter in Tokio.
2 1903 Kriegsminister, 1904 bei Ausbruch des Krieges Ober-
befehlshaber, jedoch dem Statthalter Alexejew untergeordnet.
72
Eine absolute Überlegenheit muß zweifellos vorhanden
sein, um den Sieg zu sichern.
Ich hatte über den Krieg eine interessante Unter-
haltung mit dem französischen Militärattache, der auf
meine Bemerkung, daß ich es sehr erstaunlich finde, daß
die Franzosen, Deine AUiierten, nicht ihre Flotte her-
untersandten, um Port Arthur offen zu halten, bis
Deine baltische Flotte angekommen sei, nur erwiderte,
das sei wahr, aber man habe mit andern Mächten zu
rechnen. Nach mancherlei Winken und Anspielungen
fand ich das heraus, was ich immer befürchtet hatte,
nämhch, daß das enghsch-französische Übereinkommen
den einen Hauptzweck habe, nämlich, die Franzosen
abzuhalten, Dir zu helfen. Es erübrigt sich, zu be-
merken, daß wenn Frankreich die Verpflichtung ge-
habt hätte. Dich mit seiner Flotte oder seinem Heer
zu unterstützen, ich natürlich nicht einen Finger ge-
rührt haben würde, um es zu verletzen, denn das
würde ganz unlogisch für den Autor des Gemäldes
„Gelbe Gefahr^^ gewesen sein.
England wird zur rechten Zeit sicherHch seine Be-
mühungen erneuern, um Dir Vermittlungsvorschläge zu
machen. Es ist tatsächlich die besondere Mission Har-
dinges \ wie ich weiß, obgleich Du schon so schroff
diese Vorschläge abgewiesen hast. England ist um
sein Geld bange und möchte Tibet billig bekommen.
Ich werde sicher versuchen, Onkel Bertie-, sobald ich
ihn treffe, abzuraten, Dich mit irgend solchen Vor-
schlägen w^eiter zu belästigen. Sollte im Laufe der
Ereignisse eine Ermittlung Dir angezeigt sein, so ist
es klar, daß der erste Wunsch dafür von Dir aus^
* Britischer Botschafter in Petersburg.
' König Eduard VII. von England.
73
gehen müßte, und Du kannst sicher sein, daß ich
immer zu Deiner Verfügung stehe. Ich beglückwünsche
Dich zu der Tapferkeit und zu der Tüchtigkeit Deiner
Soldaten und Deiner Matrosen, die alles Lob verdienen
und die sehr gut gefochten haben. Ich habe über
Deinen Einfall betreffs des Handelsvertrages nachge-
dacht und darüber mit dem Kanzler gesprochen. Wir
haben kein besonderes Interesse an dem Platze, wo
die Unterhandlungen abgeschlossen werden sollen, aber
da Du so freundlich angeboten hast, Witte hinüber zu
senden, werden wir seine Ankunft sehr begrüßen, und
je früher Du ihn ermächtigst zu unterhandeln, desto
besser für unsere beiden Länder. Ich habe Major Graf
Lambsdorff, meinenpersönlichenAdjutanten, zumMilitär-
attache ausgewählt. Er ist durch mich unterrichtet,
sich als ausschließlich Dir attachiert zu betrachten, wie
es in den Tagen Nikolaus I. und Alexander II. ge-
handhabt wurde. Er ist für seine Berichte mir allein
verantwortlich, und es ist ihm ein für allemal verboten,
sich mit irgendeinem, sei es Generalstab, Auswärtiges
Amt oder Kanzler in Verbindung zu setzen. So kannst
Du ihn mit einer Botschaft, Anfrage, Brief usw. für mich
beauftragen und ihn in jeder Weise als ein direktes
GHed zwischen uns beiden betrachten. Solltest Du
mir einen Herrn Deines Gefolges senden, der Dein
vollstes Vertrauen besitzt, so werde ich ihn mit Ver-
gnügen aufnehmen, denn ich denke, es ist während
dieser schweren Ereignisse sehr notwendig, daß Du
Dich rasch mit mir „le cas echeant^^ in Verbindung
setzt, ohne den schleppenden und indiskreten Appa-
rat der Reichskanzlei, Gesandtschaft usw. Ich wun-
dere mich, was ich von Onkel Bertie in Kiel hören
werde. Auf alle Fälle werde ich Dich auf dem lau-
74
fenden halten. Nun lebe wohl, liebster Niki, herzlichen
Gruß an Alix und Deine Mutter und Gott schütze
Euch alle. Dies ist der aufrichtigste Wunsch
Deines immer wohlgesinnten Freund und Vetters
Willy.
Schloß Wilhelmshöhe, 19. VIII. 1904.
Liebster Niki!
Was für ein reizender Gedanke war es von Dir,
mich zu fragen, ob ich Pate Deines kleinen Jungen
werden wolle. Du kannst Dir denken, wie groß unsere
Freude war, als wir Euer Telegramm, das uns seine
Geburt anzeigte, lasen. Was lange währt, w^ährt gut,
sagt ein altes deutsches Sprichwort. So mag es auch
bei diesem kleinen Kerl sein. Möge er ein tapferer
Soldat und ein weiser und mächtiger Staatsmann wer-
den, möge Gottes Segen immer auf ihm ruhen und ihn
vor allem körperlichen und seehschen Leid schützen.
Möge er Dir zeitlebens ein Sonnenschein, wie er es jetzt
in der Zeit der Prüfung ist, sein. Heinrich bringt diese
Zeilen und meine aufrichtigsten Wünsche für Dich, Alix
und den Jungen. Als Gabe liegt ein Becher für mein
kleines Patenkind bei, den er hoffentlich bald gebraucht,
w^enn er denkt, daß der Durst eines Mannes nicht immer
nur allein mit Milch gestillt werden kann. Vielleicht
wird er dann auch für sich eines Tages herausfinden,
daß „ein gut Glas Branntewein soll Mitternacht nicht
schädlich sein'^, nicht lediglich ein Gemeinplatz ist,
wie auch das oft zitierte Wort „im Wein ist Wahrheit
nur allein^S wie der Kellermeister in „Undine^^ singt,
und uns schließlich das klassische Wort unseres gro-
ßen Reformators Dr. Martin Luthers: „Wer nicht liebt
73
Wein und Gesang, der bleibt ein Narr sein Leben,
lang/' Dies würden die Grundsätze sein, zu denen
ich mein Patenkind aufgezogen sehen möchte. Es liegt
ein tiefer Sinn in diesen Worten und nichts kann
gegen sie eingewendet werden! —
Der Verlauf des Krieges ist für Deine Armee und
Flotte eine große Prüfung gewesen, und ich be-
klage tief den Verlust so vieler tapferer Offiziere und
Mannschaften, die gefallen sind, oder in Ausübung ihrer
Pflicht ertranken, wobei sie den Eid, dem sie ihrem
Kaiser leisteten, in Ergebenheit erfüllten. Mögen die
Verstärkungen, die jetzt ausgesandt sind, die Menge
und Kraft Deiner Armee in solchem Maße und in sol-
chem Grade stärken, daß die absolute Überlegenheit
auch zahlenmäßig her\^ortritt. Soweit wie ich ausrech-
nen konnte, hat Kuropatkin 180 000 Mann im Felde,
während die Japs ungefähr 250—280 000 Mann auf-
gebracht haben. Das scheint noch ein völlig ungleiches
Verhältnis und macht den Angriff Deines tapferen
Generals äußerst schwierig. Sollten Deine Schlacht-
schiffe bei ihrem letzten Ausfall aus Port Arthur in-
folge der Beschädigungen, die sie im Gefecht erlitten
haben, Wladiwostok zu erreichen, nicht imstande sein,
so ist ihre beste Chance, zu versuchen, noch nach
Tsingtau zu gelangen, wo sie dann bis Ende des Krie-
ges gut aufgenommen sein werden, anstatt daß sie
in die Luft gehen oder in Grund und Boden gebohrt
werden, geradeso, wie wir es bei dem ,,Zesarewitsch''
und den Torpedobooten leider erleben mußten. Möge
das nächste Jahr bessere Aussichten bringen, wenn die
Armee vorbereitet und in voller Stärke formiert ihren
Feind mit besseren Chancen als im. Augenblick angrei-
fen kann. Denn es scheint mir, daß Kuropatkin noch in
76
Gefahr ist, auf seinem Rückzug von allem abgeschnitten
zu werden, wobei er sich in der Richtung Mukden vor-
kämpfen muß. Gott möge ihn unversehrt hindurchkom-
men lassen. Der alte Spruch Napoleons I. behält noch
seine Wahrheit: „Der Sieg ist bei den großen Batail-
lonen.**
Es besteht kein Zweifel für mich, daß Du auf die
Dauer den Krieg gewinnen wirst und mußt, aber es
wird zweierlei kosten, nämlich: viel Geld und viele
Menschen, da der Feind tapfer und gut geführt ist,
und nur durch überragende Zahl und durch die Länge
der Zeit und mit Geduld geschlagen werden kann.
|Die Operationen der Feldarmee werden leichter sein
und bessere Resultate ergeben, sobald die baltische
Flotte auf der Bildfläche erscheinen und die japa-
nische Flotte in ihre Häfen zurückgezwungen haben
wird, so daß alsdann die Herrschaft zur See Dir
wieder zufällt, die Du jetzt durch die Unzulänglichkeit
des obersten Admirals der Seestreitkräfte in Port Arthur
verloren hast. Die Herrschaft zur See ist absolut
notwendiges Äquivalent für den schließlichen Ausgang
des Landkampfes, da sie den Feind seiner Hilfsquel-
len, Stützpunkte und Verstärkungen usw. beraubt, die
er jetzt unbehindert für die Ausbreitung seiner Reser-
ven, Herbeischaffung von Munition, Fortschaffung der
Verwundeten usw. gebrauchen kann.
Als der Krieg im Februar ausbrach, arbeitete ich
einen Mobilisationsplan auf Grund meiner eigenen Be-
rechnungen aus, die auf der Zahl der japanischen
Divisionen der ersten Linie basiert waren. Da diese
nun 10 bis 12 beträgt, so ergeben sich 20 russische!
Divisionen, um die absolute Überlegenheit über sie
zu erlangen zu suchen, oder 10 Armeekorps. Von die-
77
sen sollen vier sibirische Armeekorps in Abzug gebracht
werden, welche jetzt an Ort und Stelle die mandschu-
rische Armee bilden. Es verbleiben sechs Korps, die
aus Rußland dorthin geschickt werden müssen. Sie
könnten in zwei Armeen zu je drei Armeekorps for-
miert werden, die von einem Kavalleriekorps von acht
Brigaden mit vier berittenen Batterien pro Armee unter-
stützt werden. Diese Heeresmengen müßten, wie ich
erwartete, dorthin gesandt werden und dürften ge-
nügen, um den Krieg zu gewinnen. Man würde dann
die mandschurische Armee als eine Art Avantgarde
bestehen lassen, um die Ankunft der russischen Armee-
korps an der Stelle ihrer Operationsbasis zu maskieren
und ihre Formation und Dislokation zu einer Armee
durchzuführen. Ich wagte Dir nicht diese meine Ideen
zu schreiben, da es nicht meine Art ist, mich in Deine
Angelegenheiten zu mischen, und ich mich fürchte, daß
Du mir sagst, ich möchte mich um meine Angelegen-
heiten kümmern, da Du ja besser weißt, was Rußland
nötig hat. Aber in diesem Augenblick, wo das erste
Stadium des Feldzuges tatsächlich vorbei ist, dachte
ich, es könnte für Dich Interesse haben. Mit herzlichem
Gruß an Alix und den Sonnenstrahl,
Dein immer ergebener und wohlgesinnter Vetter und
Freund
Willy.
Berlin, 3. X. 1904i.
Liebster Niki!
Diese Zeilen sollen Dich an Euerm Weihnachtsabend
erreichen und ich hoffe, daß sie Dich gesund und glück-
^ Dieser Brief muß falsch datiert sein, da in ihm von einem
Briefe des Zaren vom 20. Dezember, vom Weihnachtsabend und
von Neujahrsi<arten die Rede ist.
78
lieh zusammen mit Alix, wieder wohlauf an Deiner
Seite, und mit dem lustigen kleinen Kerl, der um Euch
im Scheine des Weihnachtsbaumes 'herumspringt, an-
treffen. Ich wünsche Dir nochmals allen Segen des
Himmelb auf allen Deinen Wegen; möge Dein kost-
bares Leben uns allen und allen denen, die Dir teuer
und Heb sind, erhalten bleiben. Möge Deinen Plänen
voller Erfolg beschieden sein. Wenn es auf friedlichem
Wege geschehen kann, so ruhig wie ein murmelnder
Bach dahinfließt, wenn es aber nur durch die Ent-
scheidung der Waffen möglich ist, so mögen diese sieg-
reich sein und Deine Standarten sich mit frischen Lor-
beeren schmücken.
Vielen Dank für Deinen lieben Brief vom 20. Dezem-
ber, der ein neues Zeugnis Deines für mich so wert-
vollen Vertrauens ist. Wir sollten nur dafür Sorge tra-
gen, daß die unter so günstigen Zeichen begonnene
Verabredung nicht bei irgendeiner Detailfrage schei-
tert. Als ich zum Könige i von Deinem lieben alten
Großvater 2 sprach, stand ich unter dem Eindruck,
daß diese Angelegenheit auch sein Gemüt eifrig be-
schäftigte, und daß er darüber nachdachte, um für
sie eine den Forderungen seines Landes bestent-
sprechende Form zu finden. Als Grundlage unserer
Unterhaltung brauchte ich einige dänische Zeitungs-
artikel über die dänische Neutralitätsfrage. Da ihre
Kommentare eine große Aufmerksamkeit in Dänemark
erregt zu haben scheinen, so schließe ich einen kurzen
Auszug aus denselben diesem Brief bei, der Dir zur
Hilfe dienen mag, um Dir die Natur der Schwierig-
keiten zu zeigen, die der König vorauszusehen scheint,
^ Eduard VII. anläßlich seiner Anwesenheit in Kiel.
' Friedrich VIII. von Dänemark.
79
und die er von seinem Volke daheim befürchtet. Dar-
aus wird klar ersichtlich, daß der König als die am
meisten an dem Ausgange der Frage interessierte Partei
zweifellos als erster von allen zu einer Äußerung seiner
Ansicht berechtigt ist, und daß diese von denen, die
sein absolutes Vertrauen besitzen, in Worte gefaßt
und schriftlich fixiert werden muß. Darum erschien es
mir, da jetzt der nächste Schritt in dieser Angelegen-
heit unternommen werden muß, am besten, wenn Du
Deinem Großvater schreiben wurdest, uns die Vor-
schläge, sobald als die hier eingetroffenen eine für ihn
brauchbare Form angenommen haben, zu unterbreiten,
und daß wir erwarten, daß er uns das ganze Ziel seiner
Ansichten betreffs der dänischen Neutralitätsfrage mit-
teilen würde. Wenn ich die vergangenen Tage des
Jahres 1864 in Erwägung ziehe, so ist es klar, daß die
Dänen noch mit etwas scheelen Augen auf uns sehen,
und deshalb werden sie einen Vorschlag, der ihr Ge-
schick betrifft, mit mehr Gewogenheit betrachten, wenn
er von Dir kommt, der Du so nahe Beziehungen zu
ihrem König hast, und der Du der Sohn einer Fürstin^
bist, die von ihnen leidenschaftlich angebetet wird. Ich
sende Dir beifolgend einige interessante Artikel, einen
über unsere Marine und die russische Politik im
19. Jahrhundert, einen über unsere Handelsflotte, so-
dann englische Zeitungsausschnitte aus einer Penny-
zeitung, die täglich von Tausenden in den Straßen
Londons und auch sonst in England gelesen wird. Sie
mögen Dir zeigen, mit welchem Stoff und in welchem
Ton diese Presse ihre Leser bereits seit Wochen füt-
tert und wie sie in die Flamme blasen, wo sie es nur
können. Uns auf dem Kontinent ist diese Heuchelei
^ Maria Feodorowna,' geb. Prinzessin.Dagmar][von Dänemark.
80
und dieser Groll äußerst verhaßt und unverständlich.
Jeder versteht hier vollkommen, daß Rußland nach
den Gesetzen der Ausdehnung versuchen muß, einen
eislosen Hafen oder Ausgang zur See für seinen Handel
zu haben. Nach diesem Gesetz ist es berechtigt, einen
Küstenstreifen, wo derartige Häfen gelegen sind, zu
erhalten. (Wladiwostok, Port Arthur.) Ihr Hinterland
muß in Deiner Macht sein, damit Du die Eisenbahnen
bauen kannst, welche die Güter zu diesen Häfen der
Mandschurei führen. Zwischen diesen beiden Häfen
liegt eine Landzunge, die in der Hand eines Gegners
eine neue Art Dardanellen werden müßte. Das kannst
Du unmöglich zugestehen. Diese Dardanellen (Korea)
dürfen nicht Deine Zufuhrstraßen bedrohen und da-
durch Deinen Handel lähmen. Das ist bereits im
Schwarzen Meer der Fall, und das kannst Du nicht
für den Osten gebrauchen. Darum ist es jedem Un-
befangenen klar, daß Korea russisch sein und bleiben
muß. Wann oder wie, das geht niemanden etwas an
und betrifft lediglich Dich und Dein Land. Das ist die
Ansicht unseres Volkes hier, und darum ist hier
weder eine Erregung oder eine ,,Einbalsamierung^S'on
Kriegsgerüchten oder sonstigen derartigen Dingen
nötig. Sei ganz beruhigt; daß Korea Dir einst ge-
hören wird, ist eine alte Schlußfolgerung, gleich wie
die Besetzung der Mandschurei; seitdem kümmert sich
hier niemand darum. Die Neujahrskarten werden Dich
erfreuen. Sie wurden bei Deiner Ankunft in Wies-
baden aufgenommen. Ein kleines Andenken an glück-
liche Tage. Ein glückliches neues Jahr und Waid-
manns Heil auch für das „große Spiel" von
Deinem ergebenen Vetter und Freund
Willy.
Herzliche Grüße an Alix.
6 81
Hubertus höhe, 10. X. 1904.
Liebster Niki!
Um keine Zeit zu verlieren, telegraphierte ich Dir
gleichzeitig, nachdem ich Schebekow gesehen hatte.
Ich bin sehr gerührt durch alle freundUchen Bot-
schaften, welche Du mir durch ihn sandtest, und ich
ersehe daraus, daß Dein Glaube an meine Loyalität
unerschütterlich ist. Es wird indessen die Angelegen-
heiten wesentlich vereinfachen, daß nunmehr Alexejew
zurückgerufen ^ ist. Ein General, welcher unumschränk-
ten Befehl und die Kontrolle über alle Truppen in
der A\andschurei hat, wird, dessen bin ich sicher, allen
Anforderungen, die der Krieg an ihn stellt, entspre-
chen. Kuropatkin scheint bei seinen Truppen populär
zu sein, und sie setzen v^olles Vertrauen auf ihn; das
ist der wichtigste Punkt für einen glücklichen Ausgang.
Schebekow benachrichtigte mich von Deiner Ab-
sicht, die Seh warze-Meer- Flotte gleichzeitig zusammen
mit der baltischen Flotte auszusenden und bat mich,
ihm meine Meinung über diesen Plan zu sagen. Ich
gestehe, daß ich seit langem die Ausführung dieses
Planes erwartet habe. Es ist eine gesunde militärische
Idee und wird den Sieg sichern. Um am besten vor-
wärts zu kommen, bin ich nach reichlicher Überlegung
der Frage und nachdem ich mir die notwendigen In-
formationen beschafft habe, zu folgendem Entschluß
gekommen: Der beste Rat würde sein, stillschweigend
und ruhig die Flotte über ihre Bestimmung vorzu-
bereiten und kein Wort über ihre Absicht irgend-
einem oder irgendeiner Macht zu verraten, dann in
" '^''Von seinem'Posten als Statthalter des fernen Ostens, der
bisher fcmeU unter Alexejew stehende Kuropatkin wurde damit
unbeschränkter Oberbefehlshaber.
82
dem gegebenen Augenblick ruhig und stolz durch die
Dardanellen zu fahren. Der Sultan, wie wir beide es
sicher wissen, wird keinen Schatten eines Widerstandes
leisten, und sobald Du einmal heraus bist, werden wir
uns alle vis-ä-vis einem „fait accompli" befinden, das
wir alle ruhig entgegennehmen werden. Ich habe nicht
den leisesten Zweifel, daß auch England dies annehmen
wird, obwohl seine Presse rauchen und rasen wird
und seine Geschwader ein wenig, wie sie es oft im
Mittelmeer getan haben, dampfen werden. Aber sie
werden nicht sich ernstlich aufregen, wenn sie sehen,
daß die übrigen Mächte ruhig bleiben. Die Haupt-
sache ist, daß es ganz plötzlich und unerwartet kommt
und daß es die ganze Welt überrascht, ohne daß dies
Geheimnis vorzeitig ausgeplaudert wird. Hier wird
jeder absolut stumm bleiben. Mit Deiner gütigen Ge-
nehmigung werde ich eine Ordre zeichnen, die Lambs-
dorff zu Deinem Generaladjutanten ernennt, und Du
wirst das gleiche Deinerseits freundlich mit Schebe-
kow tun.
Dein immer wohlgesinnter
Willy.
HerzHchen Gruß an AHx.
Neues Palais, 30. X. 1904.
Liebster Niki!
Dein liebes Telegramm bereitet mir das Vergnügen,
zu fühlen, daß ich Dir in einem schwierigen Moment
gedient habe. Ich habe mich mit dem Kanzler in
Verbindung gesetzt, und wir beide haben geheim, ohne
irgend jemanden davon zu benachrichtigen, die drei
Artikel des Vertrages, wie Du es wünschtest, entworfen.
Möge es so sein, wie Du es sagst, laß uns zusammen-
6* 83
stehen, dann könnte unser Bündnis ein rein defensive«
sein, das sich ausschHeßlich gegen einen europäischen
Angreifer oder mehrere Angreifer in der Form einer
wechselseitigen Feuer\'ersicherung gegen eine Feuers-
brunst richtet. Es ist sehr wesentHch, daß Amerika
sich nicht durch unser Bündnis bedroht fühlt. Roose-
velt, wie ich weiß, hat infolge der äußersten Abneigung
der Amerikaner gegen alle farbigen Rassen keine be-
sondere Zuneigung zu Japan, obgleich England sein
Äußerstes tut, um auf Amerikas Stimmung zugunsten
Japans zu wirken. Außerdem haben die Amerikaner
eine klare Auffassung der unbestreitbaren Tatsache,
daß ein mächtiges japanisches Reich eine drohende
Gefahr für die amerikanischen Philippinen ist. Was
Frankreich betrifft, so wissen wir beide, daß die Radi-
kalen und die antichristlichen Parteien im Augenblick
die Oberhand haben und England zuneigen. Alte
Traditionen aus dem Krimkrieg, aber beide dem Krieg
abgeneigt, da ein siegreicher General sicherlich eine
Vernichtimg dieser Republik elender Bürgerlicher be-
deuten würde. Die nationalistische oder klerikale Partei
hat keine Neigung für England und immer Sympathie
für Rußland, aber sie denkt im Traum nicht daran,
ihr Geschick mit demjenigen Rußlands im gegen-
wärtigen Kriege zu vereinigen. Zwischen diesen beiden
Parteien wird die republikanische Regierung neutral
bleiben und nichts tun. Ens^land rechnet auf diese
Neutralität und auf die darauffolgende Isolierung Ruß-
lands. Ich weiß ganz genau, daß im Dezember letzten
Jahreb der französische Finanzminister Rouvier nach
seiner eigenen Versicherung dem Finanzagenten einer
anderen Macht sagte, daß auf keinen Fall, was immer
sich auch ereignen würde, Frankreich sich einem
84
russisch-japanischen Kriege anschHeßen würde, selbst
wenn England auf Seiten Japans stehen würde. Um
diese Republikaner doppelt sicher zu machen, hat Eng-
land Frankreich Marokko übergeben i. Die absolute
Sicherheit, daß Frankreich neutral zu bleiben und selbst
seinen diplomatischen Beistand England zu leihen
beabsichtigt, ist die Ursache, die der englischen Politik
im Augenblick ihre ungewohnte brutale Sicherheit leiht.
Dieser unerhörte Zustand der Dinge wird sich zum
Besseren wenden, sobald Frankreich sich der Not-
wendigkeit gegenüber sieht, Partei zu ergreifen und
sich offen zu erklären, entweder für Petersburg oder
für London. Wie ich vorher gesagt habe, sind die Radi-
kalen, welche England zuneigen, dem Kriege und dem
Militarismus abgeneigt, während die Nationalisten,
wenn sie auch den Krieg an sich nicht verwerfen, doch
nicht für England und auch nicht gegen Rußland
fechten werden. So liegt es offenbar im Interesse
beider Parteien, einen Druck auszuüben und England
zu raten, den Frieden zu erhalten. Wenn Du und
ich Schulter an Schulter beieinander stehen, wird das
Hauptergebnis sein, daß Frankreich offen und
formell uns beiden sich anschließen muß, indem es
schließlich Vertragsverpflichtungen gegen Rußland er-
füllt, was von höchstem Wert für uns ist, namentlich
mit Rücksicht auf seine schönen Häfen und gute Flotte,
die dann ganz zu unserer Verfügung wäre. Dies wird,
dessen magst Du versichert sein, den Befürchtungen
betreffs eines sogenannten Neutralitätsbruches ein Ende
bereiten. Ist dieses Ziel erst einmal erreicht, so er-
warte ich, den Frieden aufrechterhalten zu können,
und Du wirst freie und ungestörte Hand haben, mit
^ Französisch-englischer Marokkovertrag.
85
den Japanern abzurechnen. Laß mich offen hinzufügen,
daß ich Deinen meisterhaften politischen Instinkt be-
wundere, der Dich veranlaßt hat, den Nordseezwischen-
fall ^ an den Haager Schiedsgerichtshof zu verweisen.
Denn gerade dieser systematisch verdrehte Zwischen-
fall ist von den französischen Radikalen, Clemenceau
und all dem übrigen Lumpenpack und Pöbel als ein
weiteres Argument gegen die Notwendigkeit, daß
Frankreich seine Vertragsverpflichtungen gegen Ruß-
land zu erfüllen habe, ausgenutzt worden. Bevor wir
daher irgendwelche Schritte in dieser Frage ergreifen
können und uns Frankreich nähern, muß dieser ver-
drießliche Nordseezwischenfall erst zu einem Ende ge-
bracht sein. Denn wie ich unterrichtet bin, haben
Delcasse und Cambon bereits die britische Ansicht
über diesen Zwischenfall sich zu eigen gemacht und
demgemäß die Haltung der französischen Regie-
rung in einer England freundlichen Weise fest-
gelegt. Sollten wir daher bezüglich dieser Frage
einen Druck auf Frankreich ausüben, so würde es ohne
Zweifel für England Partei ergreifen, gerade was
wir nicht wünschen, daß es tun möge. „Erst muß
der Zwischenfall beigelegt sein^', danach allein kann
unsere Aktion iDcginnen.
Ich lege Dir hier beigeschlossen einen Entwurf der
Vertragsartikel, wie -Du sie wünschtest, bei, möge er
Deine Billigung finden. Niemand weiß etwas davon,
selbst nicht mein Auswärtiges Amt. Die Arbeit wurde
von Bülow und mir allein gemacht. „Möge Gottes
Segen auf dem Vorhaben der beiden hohen Herrscher
ruhen und die mächtige dreifache Gruppe Rußland,
* Es handelt sich um den Angriff russischer Kriegsschiffe auf
englische Fischereischiffe an der Dogger-Bank in der Nordsee.
8^
Deutschland und Frankreich für immer Europa den
Frieden bewahren helfen/^ Das waren seine Worte
(Bülows), als 'wir damit fertig waren. Ich sende, um
Dich bei Deiner Ankunft an unserer Grenze zu be-
grüßen, General der Infanterie von der Goltz und den
Oberpräsidenten von Ostpreußen von Moltke nach
Suwalki. Ersterer kommandiert das erste Armeekorps,
nachdem er Führer unserer Geniekorps gewesen, wel-
chen Posten er nach seiner Rückkehr aus der Türkei
ausgefüllt hat, wo er viele Jahre mit fruchtlosen Be-
mühungen um die dortige Heeresreorganisation ver-
bracht hatte. Letzterer ist Oberpräsident von Ost-
preußen, ein Neffe des alten Generalfeldmarschalls und
ein Bruder meines Generaladjutanten, der Deine Grena-
diere befehligte und oft von Dir freundlich empfangen
wurde, wenn er in besonderer Mission dorthin kam.
Mit herzlichem Gruß an Ahx verbleibe ich
Dein immer wohlgesinnter Vetter und Freund
Willy.
Projekt. Ihre Majestäten die Kaiser aller Reußen
und von Deutschland haben, um die Aufrechterhaltung
des Friedens sicherzustellen, folgende Artikel eines
Defensivbündnisvertrages festgesetzt: Artikel I. Im
Falle, daß eins der beiden Reiche von einer europäi-
schen Macht angegriffen wird, wird der Verbündete
dasselbe mit allen seinen Streitkräften zu Wasser und
zu Lande unterstützen. Seine Majestät der Kaiser aller
Reußen wird die notwendigen Schritte ergreifen, um
demgemäß Frankreich aufzufordern und es verpflichten,
als Alliierter diesem Bündnis beizutreten. Artikel IL
Die hohen Vertragsparteien verpflichten sich, keinen
Separatfrieden mit irgendeinem gemeinsamen Gegner
zu schUeßen. Artikel IIL Der gegenwärtige Vertrag
87
wird mit einjähriger Kündigungsfrist in Kraft bleiben.
Geheimartikel. Die hohen vertragschHeßenden
Parteien sind übereingekommen, gemeinsame Sache
für den Fall zu machen, daß Taten, die von einer dritten
Macht während des gegenwärtigen Krieges, wie z. B.
Lieferung von Kohle an eine der kriegführenden Par-
teien, begangen sind, Grund zu Berufungen gegen die
dritte Macht geben, daß es sich um angebliche Ver-
letzung des Neutralitätsrechtes handelt. Es ergibt sich
aus dem Schluß von Alinea I des ersten Artikels, daß
Deutschland sich mit keiner Handlung verbindet, die
wie auch immer feindliche Tendenzen gegen Rußland
in sich schließen könnte.
Vertragsentwurf. Ihre Majestäten Kaiser aller
Reußen und Kaiser von Deutschland haben, um, soweit
es sich ermöglichen läßt, den russisch-japanischen Krieg
zu lokalisieren, folgende Bestimmungen eines Defensiv-
bündnisvertrages abgeschlossen. Artikel 1 : Für den
Fall, daß eins der beiden Reiche von einer europäischen
Macht angegriffen wird, gewährt der Verbündete mit
allen seinen Streitkräften zu Wasser und zu Lande Un-
terstützung. Die beiden AUiierten werden im vorHegen-
den Fall gemeinsam handeln, um Frankreich an seine
Verpflichtungen zu erinnern, die es nach den Be-
stimmungen des französisch-russischen Allianzvertra-
ges auf sich genommen hat. Artikel 2: Die beiden,
hohen vertragschließenden Parteien verpfüchten sich,
keinen Sonderfrieden mit irgendeinem gemeinsamen
Gegner abzuschließen. Artikel 3: Die Verpflichtung,
einander gegenseitig zu helfen, gut in gleicher Weise
für den Fall, in welchem Handlungen von einer der
beiden hohen vertragschließenden Parteien während
des Krieges, wie zum Beispiel Kohlenlieferungen an
88
einen der Kriegführenden begangen sind, die zu Be-
rufungen gegen eine dritte Macht Anlaß geben, wenn
es sich um angebHche Verletzung des Neutralitäts-
rechtes handelt.
Neues Palais, 17. XI. 1904.
Liebster Niki!
Dein Heber Brief zeigt mir noch einmal, daß die
Lokalisation des gegenwärtigen Krieges und die Ver-
meidung eines europäischen Krieges die Hauptgrund-
sätze unserer beiderseitigen Anstrengungen sind. Ich
bin so frei. Deine freundliche Erlaubnis zu mißbrauchen,
um in unserem gegenseitigen Interesse Dir zwei Ver-
änderungen vorzuschlagen. Die eine dient dazu, meinen
Vorschlag zu modifizieren, die andere betrifft die End-
klausel Deines Vorschlages. Es dürfte möglich sein,
daß der Ausdruck „um den russisch-japanischen Krieg
zu lokalisieren", falls durch offizielle Publikation oder
durch Indiskretion der geheime Inhalt des Vertrages
bekannt wird, von anderen Mächten dahin ausgelegt
werden könnte, als ob es sich darum handelt, daß der
Vertrag nur Gültigkeit habe, im Falle England zum
Krieg als Verbündeter Japans schreitet, d. h. sich als
provokatorische Drohung lediglich allein gegen
dieses richtet. In Wahrheit und Wirklichkeit hegt es
so, aber es ist nicht gut, die ganze Wahrheit zu sagen.
Wir sehen jetzt, daß die englische öffentliche Meinung
sich in einem Zustande der Nervosität befindet, der
fast an Wahnsinn grenzt, wofür uns allen kürzlich
einige ergötzliche Beweise geliefert worden sind. Es
würde in dieser Stimmung den Vertrag als direkte
Provokation und ein direktes Hindrängen zu einer
89
Schlußkatastrophe erbhcken, die wir beide zu vermeiden
suchen, oder wenigstens verschieben möchten. Darum
denke ich, daß der von mir gebrauchte Ausdruck „um
die Aufrechterhaltung des europäischen Friedens"
sicher zu erhalten, völlig unserer Absicht entsprechen
würde und in keinem Fall als Provokation
ausgelegt werden könnte. Wir denken allein an uns
selbst und vermeiden, mit den Fingern auf irgend
jemand zu zeigen (was außerdem als ein Mangel von
gesellschaftlichem Takt angesehen werden könnte).
Niemand, der ein reines Gewissen hat, besitzt
nota bene irgendein Recht, sich durch einen derartigen
Vertrag beunruhigt zu fühlen, und es wird den er-
zürnten Jingos in England sehr schwer fallen, diesen
Entschluß zu einem ,, Casus belli" zu verkehren. Diese
Abänderung in dem Wortlaut des Vertrages benötigt,
wie ich glaube, eine gewisse Zeitbegrenzung. Ent-
weder eine kurze Frist mit einer Aufhebung zu irgend-
einem Jahrestermin, oder, wenn Du es lieber willst,
eine längere Vertragsdauer. Die Verlängerung würde
im Falle, wie ich inbrünstig hoffe, der Vertrag Deinen
Wünschen entspricht und sich als Wohltat für die
beiden Nationen erweist, sich ganz von selbst auto-
matisch vollziehen. Dies kann genau festgelegt werden,
wie Du willst. Die nächste Abänderung bezieht sich
auf die kürzlich hinzugesetzte Endklausel des Vertrages.
Mar. muß daran denken, daß, wenn Du z. B. wünschst,
daß der Vertrag unveröffentlicht bleibt, Indiskretionen
möglich sind — Mauern haben Ohren und Diplomaten
Zungen, die schwatzen werden — , unter diesen Um-
ständen die auf diesen Wortlaut sich gründende Mei-
nung die sein könnte, daß ich mich ausdrücklich ver-
pflichtet hätte. Dir Hilfe zu leisten, um die Erobe-
rung Rußlands abzuwehren, was dahin zielen würde,
90
unmittelbar Artikel I in ein rein aggressives Licht
zu setzen. Dies würde die gesamte politische Welt
dahin führen, zu folgern, daß wir an Stelle eines De-
fensivbündnisses eine Art gemeinsame Gesellschaft mit
beschränkter Haftung für Annexionszwecke gegründet
hätten, die möglicherweise Geheimklauseln für private
Wohltaten an Deutschland enthielten. Das allgemeine
Mißtrauen, welches sich daraus ergibt, würde schwer
unsere beiderseitige Lage gefährden, da Amerika sich
unverzüglich mit England verbinden würde, was unter
keinen Umständen geschehen darf, indem es in dem
Mißtrauen handelt, daß Rußland und Deutschland auf
dem Wege sind, aggressive Tätigkeit zu weiteren selbst-
süchtigen Zwecken zu entfalten. Aber es wird gerade
die Hauptaufgabe der russischen und deutschen Diplo-
maten darin bestehen, Amerika davon abzuhalten, sich
mit England zu vereinigen. Sollte der Vertrag, sei es
durch offizielle Veröffentlichung oder durch Indiskretion
bekannt werden, so müßte Bülow bei Beantwortung
von Fragen im Reichstage imstande sein, zu erklären,
daß keine Geheimklauseln existieren, welche die
defensive Natur des Vertrages verletzen können, oder
Deutschland auf Kosten der anderen zu etwas an-
derem als zur Unterstützung zur Aufrechterhaltung des
europäischen Friedens, wenn dieser von irgend jeman-
den bedroht sein sollte, verpflichten. Aus diesem Grunde
schlage ich Dir einen anderen Wortlaut vor. Die
leitende Idee dabei ist die unaufhörliche Polemik der
russischen Presse in den letzten Monaten gegen einen
Friedensvermittlungskongreß, gleich jenem im Jahre
18781, dessen möglichen Zusammentritt eure Zeitungen
' Berliner Kongreß, auf dem Rußland genötigt wurde, einen
großen Teil dessen wieder preiszugeben, was ihm die besiegte
Türkei im Vorfrieden von San Stefano zugestanden hatte.
91
befürchten — und es liegen Anzeichen vor, daß einige
Mächte bereits in dieser Richtung tätig sind, vor allem
Paris und London — , ein Friedenskongreß, der, was
irgend in seiner Macht steht, tun würde, um die Sieger
und Besiegten auf ein und dieselbe Grundlage zu
stellen und zu versuchen, dem ersteren seine Erobe-
rungen und Vorteile wie im Jahre 1878 zu rauben.
Außerdem schließt dieser Wortlaut in seiner neuen
Form alle Möglichkeiten ein für allemal für Deutsch-
land aus, auf solchem Friedenskongreß Partei zu sein,
und gleichzeitig raubt es allen Übelwollenden und
Kritikern die Gelegenheit, zu denken, daß wir irgend-
ein anderes Ziel im Auge haben, als den Frieden ohne
irgendeine Provokation zu bewahren. Dies sind meine
beiden Vorschläge, die ich Deiner freundhchen Zu-
stimmung unterbreite und hoffe, daß Du mit ihnen
Hand in Hand gehst, wobei die Absicht ist, dadurch
zu vermeiden, daß England tätigen Anteil an diesem
Kriege nimmt, und, wenn möglich, auch Amerika daran
zu hindern, sich mit England zu verbinden.
Ich weiß nicht, ob Du es für nötig hältst, die Ge-
heimklausel 3 Frankreich mitzuteilen. Handle wie Du
willst, aber ich glaube, daß die anderen Vertragsartikel
es zurückhalten werden, beiseite zu stehen. Delcasse
wird, dessen bin ich sicher, die Antikongreßtendenz
aus dem Sinne herausfinden, und in der Erwägung,
daß er bereits Unterhandlungen mit London und mit
anderen Mächten eröffnet hat, um einen Friedens-
vermittlungskongreß herbeizuführen, in gewisse Schwie-
rigkeiten geraten, daß er zu plötzUch die bereits be-
gonnenen Verhandlungen abbrechen muß. Zweifellos
würde Frankreich viel eher eine andere Gruppierung
der Mächte vorziehen, als die des Dreibundes, wie
92
im Jahre 1896, aber der russisch-deutsche Vertrag, erst
einmal zur Tatsache geworden, wird unsere ver-
einten Mächte zu einem starken Druck auf Frankreich
veranlassen, was Du bereits in Deinem Telegramm
vom 29. Oktober vorausgesehen hast, indem Du sag-
test: „Wenn das Arrangement von uns angenommen
ist, muß Frankreich sich uns anschließen." Es wird
natürlich die Arbeit Deiner Diplomatie sein, die not-
wendigen Verabredungen mit Frankreich zu treffen.
Deutschland bleibt inzwischen schweigend hinter Dir.
Die diplomatischen, bürgerlichen und freimaurerischen
Männer wie Delcasse, Combes usw. haben ebensoviel
von dem Siege als auch von der Niederlage zu fürchten,
und im Augenblick wissen sie, daß Frankreich un-
möglich neutral bleiben kann, und in der Notwendig-
keit, Partei zu ergreifen, wird man mit aller seiner
Macht, die man besitzt, es bewirken, England zurück-
zuhalten, in den Krieg zu ziehen. Last not least eine
ausgezeichnete Gelegenheit, um die britische Frech-
heit und Anmaßung abzukühlen, würde es sein, einige
militärische Demonstrationen an der Grenze von Per-
sien und Afghanistan zu veranstalten, wo die Engländer
glauben, daß Du zu machtlos seiest, um während dieses
Krieges mit Truppen zu erscheinen; sollten selbst die
zu Deiner Verfügung stehenden Streitkräfte nicht zu
einem wirklichen Angriff auf Indien genügen, so wür-
den sie für Persien ausreichen, das keine Armee hat,
und ein Druck auf die indische Grenze von Persien
her würde in England Erstaunen hervorrufen und einen
bemerkenswert beruhigenden Einfluß auf die erhitzten,
haßerfüllten Jingos in London ausüben. Denn ich weiß
und bin darüber unterrichtet, daß dies das einzige ist,
wovor sie Angst haben, und daß die Furcht vor Deinem
Einbruch in Indien von Turkestan aus und in Afghani-
01
stan von Persien aus der wirkliche und alleinige Grund
war, daß die Kanonen von Gibraltar und der briti-
schen Flotte seit drei Wochen still geblieben sind.
Die indische Grenze und Afghanistan sind der einzige
Teil der Erdkugel, wo die Gesamtheit seiner Kriegs-
flotte England nicht zur Verfügung steht, und wo ihre
Kanonen machtlos sind, um dem Eindringling zu be-
gegnen. Indiens Verlust ist der Todesstoß für Eng-
land. So wird unser Vertrag seine Aufgabe, den
Frieden von Europa zu erhalten, voll erfüllen. Sollte
der revidierte Entwurf und die vorgelegten Motive
mit Deinen Vorschlägen sich begegnen, so kann die
Unterzeichnung sofort vonstatten gehen. Ich erwarte,
daß Lambsdorff Deine Befehle erhält, um die Forma-
litäten abzufassen. Gott gebe, daß wir den richtigen
Weg gefunden haben, um die Kriegsschrecken zu
hemmen, und gebe unseren Plänen seinen Segen. Ver-
traue auf mich, mein liebster Niki, mit herzlichem
Gruß an Alix
Dein stets wohlgesinnter Freund und Vetter
Willy.
Berlin, 7. XII. 1904.
Liebster Niki!
Die englische Regierung scheint, wie Du aus der
englischen Presse ersehen haben wirst, zu denken,
daß der gegenwärtige Augenblick zu einer Aktion gegen
die Versorgung Deiner baltischen Flotte mit Kohle
günstig ist. Unter dem Vorwande, daß es ihre Pflicht
sei, die strikteste Neutralität aufrechtzuerhalten, hat
sie verboten, daß deutsche Schiffe, die der Ham-
burg-Amerika-Linie gehören oder von ihr gechartert
94
sind, die britischen Häfen verlassen. Meine Befürch-
tung — ich schrieb Dir vor längerer Zeit — , daß
sich dies schließlich ereignen würde, ist wahr ge-
worden, und es liegt jetzt auf mir, rechtzeitige Schritte
zu ergreifen, um die Haltung, welche Deutschland
diesen Maßnahmen gegenüber zu ergreifen hat, fest-
zulegen. Es liegt mir die Absicht fern, Dich mit Deiner
Antwort auf meine letzten Bemerkungen über Deine
Vorschläge unseres Defensivbündnisses zu beeilen.
Aber Du wirst, dessen bin ich sicher, völlig auf die
Tatsache achten, daß ich jetzt absolut positive Garan-
tien von Dir haben muß, ob Du beabsichtigst, mich
ohne Hilfe zu lassen oder nicht, für den Fall, daß
England und Japan mir den Krieg erklären, wenn
Deutschland der russischen Flotte Kohlen liefert.
Solltest Du nicht in der Lage sein, mir eine absolute
Garantie zu gewähren, daß Du in einem solchen,
Kriege loyal Schulter an Schulter mit mir kämpfen
willst, so bedaure ich die Notwendigkeit des unmittel-
baren Verbots, daß deutsche Dampfer Deiner Flotte
weiter Kohlen liefern sollen.
Alvensleben ^ hat den Befehl, noch einmal die Kohlen-
frage mit Lambsdorff- aufzuklären. Herzliche Grüße
an Alix
Dein immer wohlgesinnter Vetter und Freund
Willy.
Neues Palais, 2L XIL 1904.
Liebster Niki!
Aufrichtigen Dank für Deinen freundlichen Brief
und die beiden Telegramme, wie auch für Deinen
^ Deutscher Botschafter in Petersburg.
' Russischer Minister des Auswärtigen.
95
freundlichen Befehl, die Kohlenfrage zu regeln. Wir
können natürlich nicht voraussehen, ob die von Deiner
Regierung gegebene Erklärung genügen wird, um jeg-
licher Art von Verwicklung, die aus dem Laufe der
gegenwärtigen Dinge entstehen kann, zu begegnen.
Es ist indessen nicht meine Absicht, irgendeinen Druck
zu irgendeiner Lösung, die Dir nicht wünschenswert
erscheint, auf Dich auszuüben. Wir werden unter
allen Umständen wahre und treue Freunde bleiben.
Meine Meinung über den Vertrag ist noch dieselbe,
es ist unmöglich, Frankreich in unser Vertrauen zu
ziehen, bevor es nicht zwischen uns beiden zu einer
endgültigen Vereinbarung gekommen ist. Loubet und
Delcasse sind zweifellos erfahrene Staatsmänner, aber
da sie nicht Fürsten oder Kaiser sind, so kann ich sie
in einer Vertrauenssache wie diese nicht auf
den gleichen Fuß wie Dich, meinen Vetter und Freund,
stellen.
Solltest Du daher denken, daß es die Notwendigkeit
erheischt, die französische Regierung mit unseren
Unterhandlungen bekannt zu machen, bevor wir zu
einer definitiven Lösung gekommen sind, so halte ich
es für alle in Betracht kommenden Parteien besser,
in unserer gegenseitigen Lage wechselseitiger Unab-
hängigkeit und freiwilliger gegenseitiger Förderung,
soweit wie es die Lage erlaubt, weiter zu verbleiben.
Ich vertraue fest und glaube, daß die Hoffnung, uns
gegenseitig nützlich zu sein, nicht nur während des
Krieges verwirklicht wird, sondern auch noch nachher
während der Friedensverhandlungen. Denn unsere
Interessen im fernen Osten sind in mehr als einer
Hinsicht die gleichen.
Ich wünsche Dir und Alix von ganzem Herzen ein
96
frohes Weihnachtsfest und ein glückliches neues Jahr.
Möge der Herr Euch alle segnen und nicht den Jungen
vergessen. Mit aufrichtigstem Gruß an AHx und be-
halte Heb, mein liebster Niki,
Deinen wohlgesinnten und ergebenen Vetter und Freund
Willy.
Berlin, 2. I. 1905.
Liebster Niki!
Herzlichen Dank für Deinen lieben Brief und Deine
Neujahrskarten, die sehr gut ausgeführt sind. Der
Kosakenangriff ist das Wirkungsvollste, und ich kann
mir nicht helfen, wenn ich denke, was gekommen wäre,
wenn General Samsonoff in Liao Nang eine gleiche
Attacke wie die mit den 17 000 Säbeln und Lanzen
gegen den japanischen linken Flügel geritten hätte.
Die Nachricht von dem Fall von Port Arthur, die hier
gestern abend eintraf, hat sehr großes Aufsehen er-
regt. Wir alle haben die größte Sympathie mit den
tapferen Generälen ^ und den tapferen zusammen-
schmelzenden Reiterverbänden unter ihrem Befehl,
welche bis zum äußersten ausharrten, um bis zum letz-
ten ihre Pflicht gegen ihren Kaiser und ihr Land zu er-
füllen. Ihre Verteidigung von Port Arthur wird für alle
Zeiten sprichwörtlich sein, und ein Beispiel, dem nach-
geeifert werden wird, solange ein Soldat existiert.
Ehre ihnen für ewig! Der drohende Fall der zum Fall
verdammten Festung, hat schon seit einiger Zeit die
diplomatischen Zungen, die in den verschiedensten
Hauptstädten der Welt schwatzen, in Bewegung ge-
* General Stössel, der Port Arthur übergab, wurde bekanntlich
wie der japanische General Nogi von Wilhelm II. mit dem
Schwarzen Adler ausgezeichnet.
97
setzt, mancherlei verschiedene Gerüchte und Nachrichten
von einem Waffenstillstände und selbst von Friedens-
verhandlungen, sind mir von überall her zu Ohren ge-
kommen. Da es ziemlich schwierig ist, Wahrheit von
Eingebungen der Phantasie zu trennen, so hoffe ich,
Du wirst nicht glauben, daß ich in Deine Privatdinge
eindringe, wenn ich mich selbst ermuntere. Dich zu
bitten, mir zu erzählen, was Deine Pläne für die Zukunft
sind, so daß ich Dir, wenn möglich, mich nützlich er-
weisen könnte und imstande wäre, Dir den Gang mei-
ner Politik vorzulegen. Dies um so mehr, als Lambs-
dorff Alvensleben gestern erzählte, daß Frankreich
schon unsere Bedingungen kenne. Nun, ich möchte
Heber von Dir selbst informiert sein, anstatt ringsher-
um durch andere Agenturen, da ich fest zu Deinem
Lande und Dir vom ersten Tage an als treuer Freund
gestanden habe!
Nach einem längere Zeit andauernden, ungewöhn-
lich warmen und nebligen Wetter, das beinahe bis
Weihnachten das Ausreiten ermöglichte, ist plötzlich
ein sehr starker Sturm ausgebrochen, der von schar-
fem Frost und Schneefall begleitet war. Der Winter
scheint damit sehr ernstHch eingezogen zu sein. Dies
läßt mich an die Lebensbedingungen denken, denen die
Heere in der Mandschurei jetzt ausgesetzt sind, die dort
schon so lange Monate stehen. Ich bin froh, daß Ehi
die Tapferkeit meines Regiments, das sich so sehr am
Schaho ausgezeichnet hat, durch so zahlreiche Deko-
rationen belohnt hast. Ich hoffe, daß sie auch eine
große Anzahl St. Georgskreuze erhalten haben.
Jetzt, wo das Programm zur Erneuerung Deiner
Flotte veröffentlicht ist, wirst Du hoffentlich nicht ver-
gessen, Deine Behörden an unsere großen Firmen in
98
Stettin und Kiel usw. zu erinnern. Sie werden, des-
sen bin ich sicher, Dir schöne Typen von Schlacht-
schiffen liefern. Ich bin so froh, daß Erni wieder enga-
giert ist, und ich will zu seiner Hochzeit, Anfang näch-
sten Monats, gehen. Ich hoffe, Du wirst die beiden
Vasen für das Christfest, die aus unserer Königlichen
Porzellanmanufaktur stammen, freundhchst annehmen.
Sie sind ein Symbol meiner wärmsten Wünsche für
Dich, Deine Familie und Dein Land im kommenden
Jahr, in w^elchem Gott Euch bewahren möge. Lebe
wohl.
Dein immer wohlgesinnter und ergebener Freund und
Vetter
Willy.
Berlin, 15. I. 1905.
Liebst er Niki!
Die Witwe des alten Fürsten Anton Radziwill, Fürstin
Marie, steht im Begriff, nach Petersburg zu reisen und
Deine Zustimmung zum Testament ihres verstorbenen
Gatten zu erbitten. Fürst Anton war nicht nur ein lieb-
gewordener und vertrauter Diener meines verstorbenen
Großvaters als sein Adjutant und Generaladjutant, son-
dern auch sein aufrichtiger und geliebter persönlicher
Freund, wie auch meines verstorbenen geliebten Vaters,
und auch mein Freund. Seine gewinnende Art und
seine frohe Natur, wie sein ritterlicher Charakter, ge-
wannen ihm treue Freunde, und Dein Großvater und
Vater haben ihn beide stets gern gehabt. Seine Frau
war die langjährige Freundin meiner verstorbenen Mut-
ter und wurde von ihrem Gatten als Testamentsvoll-
streckerin für seine letzten Verfügungen ernannt. Die
7* 99
ganze Zukunft ihrer Kinder und Familie hängt tatsäch-
lich von Deiner freundlichen Zustimmung zu diesem
Testament ab, und ich wage, Dir ihre Angelegenheit zu
unterbreiten und Dich zu bitten, daß Du Deine Freund-
lichkeit ihr zuteil werden lassen mögest, da sie sehr
traurig und niedergebrochen durch ihren Verlust ist.
Sie fühlt ihn um so mehr, als ihr ältester Sohn, ein
hoffnungsloser Idiot, in einer Anstalt sich befindet, so
daß sie auch für ihre Enkel sorgen muß. — Dein Ge-
sandter, Osten-Sacken 1, ist in großer Sorge um seine
arme alte Frau. Sie hat an sich eine sehr schwere
Operation im Rücken vornehmen lassen müssen, ohne
daß Chloroform angewendet werden durfte, und sie
kann nicht liegen, sondern muß ilire Nächte sitzend in
einem Stuhl verbringen und leidet schreckhche Schmer-
zen, so daß man im Hinblick auf ihre 84 Jahre um ihr
Leben sehr besorgt ist. Armer alter Mann. Die Un-
gewißheit lastet sehr auf ihm, und ich fürchte, daß,
wenn sie sterben sollte, er nicht mehr fähig ist, so zu
arbeiten wie früher, und er vielleicht auch an seinen.
Rücktritt denkt. Sollte einmal ein Wechsel Deiner
Gesandtschaft eintreten, so möchte ich Dich ganz
privat bitten, Iswolsky^ hierher zu senden. Er ist
einer der besten Männer in Deinem Auswärtigen Amt,
seit langer Zeit ein intimer Freund des Grafen Bülow,
der überglücklich sein würde, ihn hier zu haben, da
sie früher als Diplomaten zusammen arbeiteten, und
da er Iswolsky sehr gern hat. — Schließlich möchte
ich Dich noch einmal an Dein gütiges Versprechen, das
Du mir zweimal gegeben hast und zweimal verschobst,
* Russischer Botschafter in Berlin.
' Iswolsky war einer der deutschfeindlichsten russischen
Staatsmänner, der sich um das Zusiandekommen der Triple-
Entente Rußland-Frankreich-England besonders bemühte.
100
daß mein Schwager Friedrich Leopold in Deine Armee
aufgenommen werden könnte, erinnern. Zum letzten
Male war im Juli alles bereits fix und fertig, als er
übergangen wurde, was ihn in eine sehr schwierige
Lage Deiner Armee und Deinen Offizieren gegenüber
brachte, da er, wie wir sagen, besonders „blamiert"
ist, nachdem Karl von Hohenzollern ^ nach Japan ab-
gereist ist, was geschah, da wir dachten, daß auch
Friedrich Leopold nach Mukden abfahren würde. Nun
zeigen die Leute auf Friedrich Leopold mit den Fin-
gern, und der arme Kerl ist ganz mutlos, da er sich
einen ganzen Stapel von Kleidern gekauft hat und
jederlei Vorbereitungen traf, selbst Deine Sprache
lernte. Er wird in keinem Punkte für Eure Generäle
ein Hindernis bieten, da er ein ruhiger Mann ist. Da
das Heer groß und mächtig ist, denke ich, es schadet
nicht, daß er kommt. So wage ich wiederum, Dich zu
fragen, ob Du ihm das Dorthinreisen gestatten kannst.
Entschuldige, bitte, daß ich Dich mit dieser Angelegen-
heit belästige, aber sie ist besser zwischen uns ge-
ordnet. Mit herzlichem Gruß an Alix verbleibe ich
Dein wohlgesinnter Freund und Vetter
Willy.
Berlin, 6. IL 1905.
Liebster Niki!
Dein freundlicher Brief hat mich am Morgen meines
Geburtstages so früh erreicht, daß Deine Wünsche
die ersten waren, die ich empfing. Nimm, bitte, meinen
wärmsten Dank dafür. Gott möge geben, daß sie sich
' Prinz Karl von Hohenzollern, späterer Fürst Karl von
Hohenzollern.
101
erfüllen. Dein letzter Brief traf mich in dem Augen-
blick schrecklicher Sorge, denn gerade war mein armer
Junge schwer erkrankt, es handelte sich um Leben und
Tod. Die ganze folgende Woche war eine schreckliche
Prüfung, und meine arme Frau fiel in Ohnmächten,
da sie am Bett des Patienten wachte. Dank sei Gott,
daß er unser Gebet erhörte und das Leben unseres
Knaben rettete.
Mein Schwager ^ ist sehr dankbar für Deine gütige
Erlaubnis, daß Du ihm gestattest, nach der Front auf-
zubrechen. Auf seiner Ausreise soll er Dir selbst Be-
richt erstatten und Dir diese Zeilen übergeben. Seine
Reise ist begrenzt worden, wie Du wünschest, und er
ist darüber instruiert, sich ganz ruhig im Hintergrund
zu halten, so daß er in keiner Weise dem Höchstkom-
mandierenden zur Last fällt. Er bittet, daß der letztere
keine unnötige Notiz von ihm nimmt und nicht ver-
gessen möge, daß er ein einfacher Zuschauer ist, der
ernstlich die Kriegskunst zu erlernen wünscht. Du bist
durch ernste Unruhe '-, die infolge der Aufreizung und
Agitation unter den niederen Klassen entstanden, hin-
durchgegangen. Ich bin froh, daß Deine Soldaten sich
verläßlich zeigten, und vertraue ihrem Eid, den sie
ihrem Kaiser geleistet haben. Die Aufnahme der Depu-
tation von Arbeitern, welche schlecht unterrichtet schei-
nen und zum Teil von den Agitatoren zum Streik auf-
gewiegelt wurden, machte überall einen guten Eindruck,
da sie ihnen zeigte, daß sie in das Antlitz ihres Väter-
chens blicken konnten, welche Ehre sie in angemessener
Form erbaten. Es existieren viele und meist vage
Reformpläne in Deinem Lande, soweit ich beurteilen
* Prinz Friedrich Leopold.
' Russische Januar-Revolution 1905.
102
kann, aber der wirksamste und best angepaßte für das
Volk und seine Charakterart scheint mir die Bildung
einer Körperschaft von Männern, die aus den besten
und fähigsten Köpfen in den verschiedensten Semst-
vvos^ erwählt sind. Diese Körperschaft könnte dem
kaiserlichen Rat angeschlossen werden, und ihr könnte
jede wichtige Frage übergeben werden, deren Bearbei-
tung und Vorbereitung für den Rat ein lebendiges
Interesse für ganz Rußland hat. Auch könnten mit
den speziellen, zur Diskussion stehenden Problemen
wohlvertraute Männer, die aus allen Teilen des Volkes
ad hoc ausgewählt sind, um ihre Meinung angegangen
werden. Und am besten würde es sein, wenn Du von
Zeit zu Zeit das Präsidium übernimmst, um so viele
verschiedene Menschen als mögHch zu hören und Dir
ein klares Urteil über die vodiegenden Fragen zu bilden.
Gerade so wie ich es 18Q0 tat, als ich das große
Komitee zur Ausarbeitung der „sozialen Gesetze" für
die arbeitenden Klassen nach dem großen Streik zu-
sammenberief, in welchem Komitee ich auch wochen-
lang den Vorsitz führte. Auf diese Weise könnte diese
Körperschaft dem kaiseriichen Rat mit jeglicher In-
formation, die er wünscht, dienen und Dich gleich-
zeitig befähigen, mit der großen Menge der arbeiten-
den Klassen in Verbindung zu bleiben und dadurch
der letzteren jedes Mittel zu sichern, daß sie in An-
gelegenheiten, die sich auf ihre Wohlfahrt beziehen,
einen direkten Verbindungskanal zwischen dem ein-
fachen Volk und seinem Kaiser und Vater haben.
Außerdem würdest Ehi auf Grund Deiner eigenen In-
formation imstande sein, eine gute Wache und Kon-
trolle über Deinen kaiserlichen Rat auszuüben und über
^ Selbstverwaltungskörperschaften der russischen Gouver-
nements.
103
die Ministerkomitees und darauf zu achten, daß sie so
arbeiten, wie Du es wünschest und Dein Volk es
begehrt. Dieser Weg sichert die Exekutive ein
für allemal dem autokratischen Zaren und nicht einem
leitenden Minister mit einem Stab von hilflosen
Kollegen, die ihrem Leiter blindlings folgen.
An meinem Geburtstage wurde mein Dir wohl-
bekannter größter Adjutant, Herr von Plüskow — in
Paris nennen ihn die Damen „Plus que haut** — , zum
Oberst Deiner Alexandergrenadiere ernannt. Sie stell-
ten die Ehrenwache zu meinem Geburtstags-„Razwod**
und schauten mächtig aus, wie Du aus den beihegen-
den Photos ersehen kannst. Zur rechten Zeit, wenn
die Lage sich beruhigt hat und es Dir angenehm ist,
wird der neue Oberst Dir seine Aufwartung machen.
Da ich gehört habe, daß Sergius^ erwähnte, daß
Deine Behörden auf Krupp ärgerlich wären, da er
nicht die Lieferzeit für die von Rußland in Auftrag
gegebenen Batterien einhielt, so habe ich eine Unter-
suchung in seinen Betrieben befohlen und sende Dir
die Kopie des Berichtes, den ich empfing, der zeigt,
daß kein Grund für die oben erwähnten Klagen vor-
liegt. Die in den Betrieben der Hamburg-Amerika-Linie
vorgenommenen Untersuchungen zeigen in gleicher
Weise, daß die Gerüchte, wonach sie Kanonen und
Munition auf ihren Schiffen für Japan mitgenommen
hätten, völlig unbegründet sind. Sie haben keine Waf-
fen oder Kriegsgerät irgendeiner Art nach oder für
Japan mitgenommen. Es scheint, daß Wolken französi-
scher und englischer Agenten, welche die AdmiraHtät
* Großfürst Sergius, Onkel des Zaren, Bruder Alexanders III.,
vermählt mit der Schwester der Zarin Elisabeth von Hessen.
Sergius wurde am 17. 2. 1905 ermordet.
1.04
und das Kriegsamt belagern, ärgerlich darüber, daß
unsere Firmen Deiner Regierung so gut und besser
als es die ihrigen vermögen, liefern, jetzt Zeitungs-
enten ohne Ende zum Schaden der Deutschen auf-
flattern lassen. Ich vertraue, daß sie weniger Glauben
finden und in die Newa geschmissen werden.
Die Japs haben vor kurzem vier Schlachtschiffe in
England in Auftrag gegeben. Sie sollen Abbilder der
neuesten englischen Typs zwischen 13 000 und 19 000
Tonnen mit 25-cm-Kanonen mittlerer Artillerie und
30 cm schwere Artillerie darstellen. — Mit besten
Wünschen für bessere Aussichten für Dich und Dein
Land und viele Grüße an Alix verbleibe ich
Dein immer wohlgesinnter und ergebener Freund
und Vetter
Willy.
P.S. Ende nächsten Monats werden wir unseren
Jungen nach dem Mittelmeer und Sizilien mitnehmen.
Berlin, 21. II. 1905.
Liebster Niki!
Friedrich Leopold ist kürzHch mit Deinen freund-
lichen Wünschen und Grüßen zurückgekehrt. Er war
tief gerührt über Deine äußerst freundliche Leutselig-
keit, wie auch über die großmütige Aufnahme, die Du
ihm gewährtest. Wie freue ich mich, von ihm zu hören,
daß Du wohl, ruhig, gesammelt und fleißig bei der
Arbeit bist, und daß die liebe Alix und die Kinder
alle wohlauf sind. Man kann so viel leichter an einem
schwierigen Werk schaffen, wenn man weiß, daß unsere
Lieben wohl sind. Ich war froh, daß ich Deinem
Wunsche entsprach, indem ich Friedrich Leopold nach
105
Asien zur See schickte. Deine Eisenbahnen sind da-
durch unbelästigt gebHeben. Welche schreckHchen
Nachrichten kommen aus Moskau ^ Diese Bestien von
Anarchisten haben eine schwarze und feige Tat be-
gangen. Arme Ella 2, ein wie furchtbarer Schlag muß
es für sie gewesen sein. Möge Gott ihr Kraft und
Ergebenheit verleihen, es zu ertragen. Es ist sehr
schlimm für die schöne alte Hauptstadt Rußlands, daß
ihre Mauern mit so schweren Verbrechen besudelt
sind, aber sicherlich beherbergt sie keine wahren Bür-
ger, die einen Atemzug mehr tun können, wenn sie
so etwas billigen. Ich kann nicht glauben, daß diese
Dämonen aus den Reihen Deiner moskowitischen Un-
tertanen entstammen. Es waren wahrscheinlich Fremde
aus Genua. Denn der größte Teil des Volkes setzt
noch seinen Glauben in sein „Väterchen", den Zaren,
und betet für seine geheiligte Person. Ich habe diese
Überzeugung aus meiner genauen Beobachtung der
verschiedenen Phasen der Bewegung in Rußland ent-
nommen, soweit ich imstande war, aus den Nachrich-
ten, die von dort kamen, und aus den Meinungen, die
von den Beobachtern, bisweilen von Russen selbst, in
der europäischen Presse zum Ausdruck kamen.
Die russische Revolutionsbewegung ist, wie Du Dir
wohl denken kannst, erster Gegenstand aller Unter-
haltungen und Korrespondenzen nicht nur in Rußland,
sondern auch außerhalb. Die ganze europäische Presse
ist mit Artikeln über Rußland überflutet. Ihre Mei-
nungen hängen von dem Parteistand ab, zu dem sie
gehören. In diesem Sinne hat sich ein sozusagen
europäischer Gesichtspunkt herauskristallisiert, der
* Ermordung des Großfürsten Sergius.
• Elisabeth.
106
ziemlich genau die öffentliche Meinung unse-
res Kontinents wiedergibt. Nun, ich dachte, daß
es vielleicht einiges Interesse hätte, in Deiner Einsam-
keit in Tsarske eine Idee von dieser europäischen Mei-
nung zu haben und zu hören, wie die Ereignisse in
Deinem Lande, von der, was man so gemeinhin nennt,
„zivilisierten Weif' beurteilt werden. Ich werde deshalb
in den folgenden Zeilen eine kleine Skizze für Dich zu
zeichnen versuchen, wie sich das russische Gemälde, von
außerhalb gesehen, widerspiegelt. Da die Leute außer-
halb Deines Landes natürlich nicht in die Details der
verwickelten Fragen eingeweiht sind, so kombinieren
sie oft, oder tragen in das Bild etwas von einem Er-
eignis, das sie sehen, ohne seine Ursachen zu kennen,
hinein. Deshalb vermag oft eine falsche Kombina-
tion sie zu einer falschen Schlußfolgerung zu führen,
weil ihre Unkenntnis der wirklichen Tatsache sie Schiff-
bruch erleiden läßt. Die auswärtigen Betrachter der
Dinge sind oft gezwungen, in Schlußfolgerungen zu
verfallen, aber wir müssen hinzufügen, „wo Begriffe
fehlen, stellt oft ein Wort zur rechten Zeit sich ein''.
Darum muß ich Dich vor allem bitten, mir zu ver-
zeihen, wenn ich Dir Dinge schreibe, die Du \ielleicht
aus den Berichten und Winken Deiner Diplomaten
längst kennen gelernt hast. Sei so gut und verzeih,
wenn ich als Dein loyaler und treu ergebener Freund
gezwungen bin, so zu handeln — auch Ansichten
äußern muß, die Dir ?? , nicht edelmütig,
falsch erscheinen mögen oder selbst Deine Gefühle
verletzen. Aber Rußland befindet sich in einem Sta-
dium, zu einem neuen Blatt seiner Geschichte über-
zugehen, und die Entwicklung zeigt eine Tendenz,
daß man sich auf eine gewisse Modernisierung vorbe-
reitet
107
Solch ein Prozeß, das wirst Du zugestehen, in einer
so mächtigen Nation wie der Deinigen, muß notwen-
digerweise auch die weit verbreiteten Interessen in
Europa beherrschen und selbstverständlich vor allem
in dem Nachbarlande. Die Methoden, die angenom-
men werden sollen, die Mittel, die angewandt wer-
den müssen, und die Leute, die das Werk zu voll-
enden haben, haben einen direkten Einfluß über Deine
Grenzen hinweg auf andere Nationen. Wenn ich sagte,
daß die „Meinung" eine „europäische" ist, so darf ich
nicht die Tatsache vergessen, daß manche Russen, die
hier in den letzten Monaten hindurchgekommen sind,
daß alle, die in ganz Europa leben, namentlich in Paris
und Frankreich, ebenfalls dazu beigetragen haben, dem
Gemälde Farben zu verleihen, so daß die Tatsachen,
welche die Grundlage für die „europäische Meinung"
bilden, hauptsächlich von Frankreich geliefert werden,
das als Freund und Bundesgenosse immer am besten
über Rußland orientiert ist. Das Ergebnis ist folgendes:
Einem „on dit" zur Folge hat die Regierung Mirski
zu plötzlich der Presse eine größere Freiheit als vor-
her zugestanden und die Zügel zu schnell gelockert,
welche so eng von Plehwe angezogen waren. Infolge-
dessen ergoß sich eine Flut von bisher nicht erlebten
Artikeln und offenen Briefen an die Adresse des Herr-
schers, etwas, was bis dahin in Rußland für völlig un-
möglich gehalten wurde. Einige der frechsten von ihnen
waren darauf berechnet, das Ansehen des autokrati-
schen Regimes zu mindern. Diese günstige Gelegen-
heit wurde von der revolutionären Partei aufgegriffen,
um die keinen Argwohn hegende Arbeiterbevölkerung
zu beherrschen, und um sie in einen Zustand der Gä-
rung zu versetzen und sie zu veranlassen, Dinge zu
108
fordern, für deren Verständnis tele unfähig ist, und
zwar in peremptorischer, respektloser Haltung, die von
einer Sprache und Taten begleitet ist, die fast nach Revo-
lution aussehen. Dies brachte die arbeitenden Klassen,
sicheriich gegen ihren Willen, in direkte Opposition zur
Regierung und in Konflikte mit den Behörden, welche
Gesetz und Ordnung aufrechtzuerhalten haben. Da
diese mißleiteten und schlecht informierten Banden,
die sich namentlich aus Leuten zusammensetzen, die in
dem Zaren ihren „Vater" und „Schützer" sehen, unter
dem Eindrucke standen, daß sie ihre Wünsche vor ihm
zum Ausdruck bringen könnten, wenn sie vor seinem
Palast erscheinen, so dachte man, daß es praktisch für
den Zaren wäre, eine bestimmte Zahl von ihnen zu emp-
fangen, und nachdem sie mitten in einen Truppenkor-
don hineingezogen waren, sie vom Balkon des Winter-
palastes anzureden, wo er vom höchsten Klerus und
dem Kreuz und seinem Gefolge umgeben, wie ein
Vater zu seinen Kindern spricht, bevor das Miütär ein-
gegriffen hätte. So wäre möglicherweise das Blutver-
gießen ganz vermieden oder wenigstens verringert wor-
den.
Das Beispiel Nikolaus I. habe ich oft angeführt, der
eine sehr ernste Rebellion dadurch beschwichtigte, daß
er, sein Kind in den Armen, in ihre Mitte ritt und die
Rebellen in kurzem auf die Knie zwang. Man denkt
auch jetzt noch wie damals, da>ß die Person des Zaren
einen enormen Halt im einfachen Volke hat, und daß man
noch vor seiner geheiligten Erscheinung das Knie beugt
Ein Wort in solcher Stellung und in solch einer Um-
gebung würde die Massen in Ehrfurcht haben erschüt-
tern lassen, und hätte sie beruhigt und würde über
ihre Häupter hinweg bis in die fernsten Winkel des
109
Reiches sicherlich die Agitatoren niedergeworfen haben.
Diese sollen noch mehr oder weniger unter dem Be-
fehl der Massen stehen, da solch ein Wort bisher noch
nicht von dem Herrscher gesprochen ist. Die Agita-
toren setzen ihr Spiel mit der Einbildung des Volkes
fort, indem sie den Gedanken aufrecht halten: „Es ist
Sein Wille, er denkt so, aber Du kannst ihn nicht hören,
weil die Banden von Beamten, welche es regieren, ihn
abhalten und ihn von seinem Volke trennen/^ Diese
betrogenen Massen glauben und folgen diesen Leuten,
bis es zu spät ist und Blut fließen muß.
Manche Reformen haben begonnen, neue Gesetze
werden in den Bevölkerungsschichten erörtert, aber,
merkwürdig genug, die Leute sagen allgemein, „das ist
von Witte ^ dies ist von Murawieff inspiriert und jenes
ist der Gedanke Pobedonozeffs2^^ Der Zar wird aber
niemals genannt, denn sie sind mit seinen wirklichen
Gedanken unvertraut! Obgleich der Ministerrat oder
der Senat die Manifeste im Namen des Zaren veröff ent-
hebt, sind doch diese Körperschaften viel zu schwan-
kend und viel zu geheimnisvoll für den Betrachter, als
daß sie etwas wie Enthusiasmus oder Interesse mit
ihren Handlungen hervorrufen. Unter einem autokra-
tischen Regime, so argumentiert man, muß der Herr-
scher selbst die Losung ausgeben und die program-
matische Aktion selbst in nicht mißzuverstehender offi-
zieller Weise einleiten.
Es scheint, daß jede Körperschaft etwas dieser Art
mittels eines persönlichen Willensaktes des Zaren er-
^ Graf Sergius Witte, russischer Finanzminister und Minister-
präsident bzw. Minister des Äußeren, Unterhändler in Ports-
mouth mit den Japanern.
' Procureur des Heiligen Synods.
110
wartet. So lange sich aber dies nicht ereignet, wird der
Eindruck in weiten Kreisen fortbestehen, daß die an-
gekündigten Reformen und Gesetzesparagraphen nur
Arbeit der Minister sind, die lediglich zum Schein die-
nen und Sand in die Augen des Volkes streuen sollen.
Und die Leute werden weiter ängstlich die starke Hand
am Steuerruder des Landes vermissen, das von einem
Leiter mit klarem Vorsatz geführt werden und nach
einem klar bestimmten Ziele isteuern müßte. Dieser
Stand der Dinge erzeugt ein Gefühl der Unruhe, das
in seinem weiteren Verlauf Unbefriedigtsein hervor-
ruft, eine nörgelnde Kritik erzeugt, ein Her und Hin
in größtem Umfange, und dies gerade dem mildesten
Mann mit den besten Absichten gegenüber, der von den
aufrichtigsten und reinsten Beweggründen geleitet wird.
Der enttäuschte Zuschauer, vielleicht auch der Unter-
tan selbst, wird infolgedessen mehr und mehr darautf
vorbereitet, auf die Schultern des Zaren die Verant-
wortlichkeit für alles, was ihn jetzt nicht befriedigt, zu
legen. In normalen Zeiten bedeutet das sehr wenig,
und bei konstitutionellen Nationen Ist es nicht so ge-
fährlich, da die Minister des Königs auf die Tribüne
steigen müssen, um seine Person zu verteidigen. In
Rußland aber, wo die Minister die geheiligte Person des
Herrschers nicht schützen können, da man weiß, daß
sie nur sein einfaches Werkzeug sind, bilden solche
Erregungen, welche die russischen Gemüter mit Un-
ruhe und Unbefriedigung erfüllen, und die dazu füh-
ren, dem Herrscher mit dem Odium für alles Unan-
genehme, das sich ereignet, zu belasten, eine sehr ernste
Gefahr für den Herrscher und seine Dynastie, weil sie
dazu führen, ihn unpopulär zu machen. Jetzt aber,
so argumentiert man weiter, wenn die Intelligenz und
Hl
die einzelnen Schichten der Gesellschaft bereits unbe-
friedigt sind, müßte- auch der Zar unpopulär bei den
Massen werden, und die Agitatoren könnten dann leicht
einen solchen Sturm der Erregung hervorrufen, daß es
sehr ungewiß ist, ob die Dynastie imstande ist, dem zu
trotzen.
Bezüglich eines Punktes scheint man in ganz Europa
einer Meinung zu sein. Es ist gewissermaßen die still-
schweigende allgemeine Überzeugung, daß der Zar
persönlich allein für den Krieg verantwortlich ist. Der
Ausbruch, die durch den plötzlichen Angriff hervor-
gerufene Überzeugung, der offenbare Mangel an Vor-
bereitung, ist, wie man sagt, sein Fehler. Man sagt,
daß die Tausenden von Familien, die ihre männlichen
Mitglieder durch den Krieg verloren haben, oder sie
seit langen Monaten missen müssen, das Blut und
ihre Klagen an die Stufen des Thrones des Zaren
legen. Es hält sich die Ansicht aufrecht, daß die aufge-
rufenen Reservisten, die ihr Heim verlassen müssen,
widerwillig das Kämpfen in einem Lande verabscheuen,
von dessen Existenz sie noch nie etwas gehört haben,
und für eine Sache, die ihnen selbst unpopulär ist. Sie
sind abgehärmt, wenn sie an ihre Weiber und ihre Kin-
der denken, die sie zurückgelassen haben, und die lang-
sam in Armut und hilfloses Elend versinken. Sie legen
ihre Qualen und ihre Sorgen vor die Tür des Zaren-
palastes nieder und wünschen, daß er sie zu Hause ge-
lassen hätte.
Die Berichte fremder und russischer Korrespondenten
bei der Armee nennen es ein Berganfechten gegen einen
furchtbaren Feind. Man mußte den Krieg unter sehr
schwierigen Umständen beginnen, da man keine Zeit
hatte, sich ordentlich für die Aufgabe vorzubereiten.
112
Unter dem Nachteil einer geringen Zahl, mit der man
sich unmöglich der eintretenden Flut von Mißgeschick
entgegenzustemmen und den furchtbaren Angriffs-
schlachten eines Feindes zu begegnen vermochte, der,
wie man wußte, sich für diesen Kampf während der
letzten fünf Jahre vorbereitet hatte. Für alles dieses
hält man den Zaren für verantwortlich. Auch die
furchtbaren Verluste der Marine werden seinen Schul-
tern aufgebürdet.
Nun ist die Verantwortlichkeit für den Krieg eine sehr
ernste Angelegenheit für einen Herrscher; das weiß ich
aus Erfahrung von dem, was mein verstorbener Groß-
vater mir darüber erzählte. Persönlich ein Mann von
mildester und friedvollster Gesinnung und schon in
hohem Alter, war er dazu berufen, drei Kriege während
seiner Regierungszeit auf sich zu nehmen, und für jeden
einzelnen hatte er die volle Verantworthchkeit. Aber
er hatte das reine Gewissen, und sein Volk unterstützte
ihn aufrichtig und begeistert. Die gesamte Nation er-
hob sich wie ein Mann und beschloß, den Krieg zu
gewinnen oder zu sterben, Sieg oder Niederlage, aber
bis zu Ende fechten. Er und seine Untertanen fühlten,
daß die Vorsehung auf ihrer Seite war, und das ist so
gut, als ob der Sieg schon gewonnen ist. Solche Kriege
sind dann leicht für den Herrscher zu ertragen, weil
das gesamte Volk die Last mit ihm teilt. Aber die Ver-
antwortlichkeit für den unpopulären Krieg ist eine ganz
andere Sache, wenn die Glut des flammenden Patrio-
tismus nicht entzündet ist, und wenn die Nation als
Ganzes keinen willigen Anteil daran nimmt und nur
mürrisch ihre Söhne an die Front schickt, weil der Zar
es so will. Wenn sie seine Angelegenheit nicht zu ihrer
eigenen macht, das ist eine furchtbare und schwere
8 113
L^st, deren Gewicht nicht erleichtert werden kann,
durch die Reinheit der Motive, welche dem Herrscher
die Klarheit des ruhigen Gewissens gibt und ihn erwar-
ten läßt, daß seine Untertanen kämpfen, wenn sie
seine Beweggründe selbst nicht zu verstehen vermögen.
[Fehlerhaftes Manuskript.]
Der Krieg ist sehr unpopulär mit dem Ergebnis, daß
ganz Rußland die Offiziere nicht ausgenommen . . .
Der Eindruck bleibt bei den Offizieren der französi-
schen Armee, Deinen Alliierten, bestehen, daß selbst
das Vertrauen auf Kuropatkin nachzulassen beginnt,
wenn die Einigkeit, die für den Erfolg wesentlich ist,
zwischen den verschiedenen Kommandierenden und
den russischen Streitkräften soviel zu wünschen übrig
läßt. Dieser Stand der Dinge muß die Operationen
hemmen und die Aussichten auf den Sieg aufs Spiel
setzen. Es ist notwendig, daß sobald als möglich hier
eine Abhilfe eintritt, wenn nicht die Armee und ihre
Disziplin leiden sollen. Die Lösung halte ich für äußerst
schwierig.
Es scheint indessen, worüber man allgemein einig
ist, daß Kuropatkin mehr Talent zu einem General-
stabschef unter einem andern General als Führer hat,
als daß er selbst Führer ist, da er etwas langsam ist
und es ihm an dem Element fehlt, was man die „Offen-
sive" nennt. Ein solcher Führer ist schwer zu finden,
da die Generäle, die älter als Kuropatkin sind, meist zu
alt und seit langer Zeit außer Dienst sind. Außerdem
ist es zweifelhaft, ob er einem solchen Wechsel zustim-
men würde. Andererseits ist seine sprichwörtliche
Kenntnis des Landes, des Feindes, seiner Kampfesart,
sein Talent für die Armee, Verpflegung und sonstige
Sorgfalt ganz unschätzbar und kann nicht vom Felde
114
vermißt werden. Das Ergebnis aller dieser Erwägung
ist, daß die Leute darauf anzuspielen beginnen, daß
der Zar vielleicht selbst den Oberbefehl übernehmen
möge und seine tapferen Truppen führe, ihr Vertrauen
wieder herstelle, sie sich gewinnt, indem er Anteil an
ihren Mühen nimmt, sie durch seine Gegenwart elektri-
siert und die Dienste Kuropatkins für seine Truppen,
dabei weiter erhält, so daß er als Generalstabschef
in seinem „unentschiedenen Krieg" mit fungieren kann.
Wie ich oben gezeigt habe, erhebt sich eine langsam
steigende Flut der Mißdeutung, Unruhe, Gehorsamsver-
weigerung, die offenbar verhindert und niedergehalten
werden muß. Die europäische Öffentlichkeit so gut wie
die russische Nation blickt daher instinktiv auf den
Zaren und erwartet von ihm, daß er vorwärts geht und
etwas Großes tut; einen großen persönlichen Akt, in
der Absicht, allen zu zeigen, daß er der Selbstherrscher
seines Volkes ist, und daß er willens ist, seine Ängste
und Schmerzen zu beruhigen, soweit es in seiner Macht
steht. Diese allgemeine Erwartung ist sehr gut von
jemanden kürzHch in Worte gekleidet worden, wel-
cher sagte, „der Kaiser muß einen großen Akt voll-
ziehen, um seine Macht von neuem zu befestigen, um
seine Dynastie, die bedroht ist, zu erhalten, er muß
es mit seiner Person zahlen". Aber wie? Nach dem,
was ich über den Krieg schrieb, hast Du völlig die Frei-
heit, eine andere Frage aufzuwerfen. Warum ist der
Krieg unpopulär, warum hat es den Anschein, daß ich
nicht von meinem ganzen Volke unterstützt werde,
warum ermangeln sie des Enthusiasmus für den Kampf?
Wir wurden angegriffen, und wir hatten für seine Ehre
und für unser Prestige zu kämpfen. Der fremde Beob-
achter denkt, daß es eine befriedigende Antwort dar-
8* 115
auf gibt, hier ist sie: In früheren Zeiten pflegten Deine
Voreltern, bevor sie in den Krieg gingen, sich nach
Moskau zu begeben. Sie beteten in den alten Kirchen,
und dann versammelten sie die Edlen im Kreml und
das Volk außerhalb in den Hofräumen und legten ihnen
unter großer Zeremonie die Notwendigkeit des Krieges
dar und riefen ihre loyalen Untertanen auf, ihnen auf
das Schlachtfeld zu folgen. Solch ein Ruf vom Kreml
in Moskau, das noch die wirkliche Hauptstadt Ruß-
lands ist, würde niemals eine verneinende Antwort von
der russischen Nation finden. Solch ein Akt, solch ein
Ruf zu den Waffen wurde von Moskau und Rußland von
Dir in den Tagen, welche dem 8. Februar des letzten
Jahres folgten, erwartet, und dann wäre man bereit
gewesen, unter den grimmigen Schlägen leidend, die
einen unerwartet trafen, mit Enthusiasmus zu ant-
worten, und die Bürger der großen Hauptstadt hätten
ungestüm auf Dein Kommen gewartet, ein Wink hätte
genügt, daß Deine Beamten Deinen Zug zum Abmarsch
fertiggestellt hätten. Aber der Zar kam nicht, Moskau
wurde allein gelassen, der heilige Krieg, den man un-
gestüm erwartete, wurde nicht proklamiert, man rief
nicht zu den Waffen. Dieses Moskau blickte wie eine
geschmückte Frau und litt darunter. Es wurde miß-
vergnügt und zeigte sein Mißvergnügen offen. Sein
Beispiel wurde von ganz Rußland befolgt. Am andern
Tag wurde die Bemerkung gemacht, der Kaiser muß
seine Hand auf Moskau legen, mit Moskau wird er
die Ordnung in Rußland wieder herstellen, ohne Mos-
kau wird es sehr schwer sein. Nun wohl. Europäische
Beobachter denken, daß dies ausgeführt werden könnte,
daß der Zar den envarteten „großen Akt" vollführen
könnte, wenn er nach Moskau ginge, und dort den Adel
116
und die Notabein in seinem prächtigen Palast ver-
sammelte, zu ihnen sprechen würde, vielleicht mit einem
Tadel beginnt, daß die Briefe und Adressen, die an
ihn gesandt worden sind, veröffentlicht wurden, was
aber eine schlechte Art sei, die nicht wiederholt wer-
den kann, und daß er dann die Reformen proklamiert,
die er für sein Volk vorbereitet hat, so wie er es für
gut hält. Nicht das Versprechen einer allgemeinen ge-
setzgebenden Versammlung, nicht eine Konstituante
oder eine Nationalversammlung, sondern eine Habeas-
Corpus-Akte und eine Erweiterung des Staatsrates.
Keine Versammlungsfreiheit oder Pressefreiheit, wohl
aber strengste Befehle an alle Richter, sich von irgend-
welchen Schikanen fortan fernzuhalten. Und weiter
könnte der Zar seine Hörer wissen lassen, was er über
das Heer beschlossen hätte, falls er es selbst für mög-
lich oder notwendig hält, hinauszugehen, ihnen zu
erzählen, sie zu ermahnen, von allen inneren Streitigkei-
ten abzulassen, bis der Feind niedergeworfen ist. Her-
nach sollte der Zar, umgeben von der Geistlichkeit
mit Bannern und Kreuzen und Weihrauch und heiligen
Kerzen auf den Balkon hinaustreten und dieselbe Rede,
die er vorher hielt, noch einmal als Manifest den unten
im Hofe versammelten Untertanen vorlesen, umgeben
von den dicht gedrängten Reihen der Truppen mit dem
Bajonett auf den Gewehren und dem Säbel in der Faust.
Wenn Du ihnen dann erzählen würdest, daß Du, falls
Du es für nötig hieltest, selbst gehen würdest, um die
Mühsal ihrer Brüder und Verwandten im Felde zu tei-
len, die auf Deinen Befehl ausgezogen sind, und Du
sie ermutigen und zum Siege zu führen versuchen wür-
dest, dann würde das Volk, wie man leicht beweisen
kann, tief gerührt gewesen sein. Dir zugejubelt haben,
auf seine Knie gesunken sein und für Dich gebetet
117
haben. Die Popularität des Zaren würde zurückgewon-
nen sein, und er würde außerdem die Sympathie seines
Volkes gewinnen. Alle Leute, die ein Interesse an den
russischen Ereignissen nehmen, sind einstimmig der
Meinung, cjaß auf die Dauer der Zar nicht in Ewigkeit
in Zarske oder Peterhof bleiben darf, sondern daß
sicherlich sein erstes Auftreten unter oben erwähnten
Umständen erfolgen müßte. Das Aufsehen und der
Eindruck, der dadurch in der ganzen Welt geschaffen
wird, würde ungeheuer sein; mit verhaltenem Atem
würde man auf ihn hören, wenn er sie anredet,
wie es seine Vorväter taten. Von den Zinnen des
Kremls! Dies, mein lieber Niki, ist eine Skizze, die ich
von der öffentlichen Meinung Europas im Hinblick
auf die Ereignisse in Rußland gezeichnet habe. Zu
Beginn derselben habe ich Dir die Gründe dargelegt,
warum ich es für meine Pflicht hielt, Dir diese Zeilen
zu schreiben. Ich bitte nochmals um Verzeihung, daß
ich Deine kostbare Zeit in Anspruch genommen habe
und für den Fall, daß ich bisweilen zu persönlich in
meinem Brief war. Aber als Dein aufrichtiger Freund
bin ich ein eifersüchtiger Wächter Deines ,,Renommees''
in dieser Welt, und ich wünsche, daß Du richtig und
gerecht von ihr beurteilt wirst, und daher ist es nur
zu sehr meine Pflicht, Dich über die Meinung, welche
die Welt über Dich hat, zu informieren, um Dich zu
befähigen, sie durch Deine Regierungsakte zu korri-
gieren, wenn Du Dich dazu geeignet fühlst. Auf alle
Fälle „Honny soit qui mal y pense^^ Mit aufrichtigsten
Wünschen für die Wohlfahrt und Zukunft Deines Lan-
des und Hauses und mit den besten Grüßen an Alix
und dem Wunsche, daß Gott Euch alle segnen und be-
hüten möge, verbleibe ich wie immer mein liebster Niki
Dein wohlgesinnter Vetter und Freund
118 Willy.
Berlin, 5. VI. 1905.
Liebster Niki!
Die freundlichen Zeilen, welche Du Michas ^ Sorge
anvertrautest, und die mir gestern übergeben wur-
den, haben mich tief gerührt. Die denkwürdigen Er-
eignisse, auf die Du anspielst, sind alle klar in mei-
nem Gedächtnis eingegraben und erinnern mich, wie
die Jahre dahingegangen sind, und wie oft wir beide
seit langer Zeit in persönliche Beziehungen gekom-
men sind. Die natürliche Folge hiervon ist ein dauern-
des Gefühl wechselseitiger Freundschaft, die sich zwi-
schen uns entwickelt hat und auf einem vollkom-
menen gegenseitigen Verständnis ruht. Diese Beziehun-
gen haben in all den Jahren für die Wohlfahrt unserer
Länder geblüht, für die Rolle, zu der wir von der Vor-
sehung ausersehen wurden. Sie waren und, wie ich
hoffe, werden sie auch weiter die Gewähr für den
Frieden und die Wohlfahrt der beiden Länder wie auch
der Welt bieten. Ich erinnere mich sehr gut des Augen-
blicks in der Kapelle des Winterpalastes, als Du Deinen
Eid auf die ruhmvollen Fetzen der alten Kosakenfahnen
inmitten der atemlosen Stille einer riesigen Zuhörer-
schaft erlauchter Männer leistetest. Wie wurde Dein
teurer Vater bewegt, als er Dich nach der Zeremonie
küßte. Wie lang ist dies her, wie lange stehst Du an
seiner Stelle und hast Dein Land durch eine der schwer-
sten Phasen seiner Entwicklung zu leiten. Wie ich für
Dich gefühlt und an Dich gedacht habe in all den
Monaten, brauche ich Dir nicht zu sagen. Auch in jedem
AugenbHck der Fortschritte des Admirals Roshestwen-
sky^ Die große Attacke, die er in Deiner Hand reprä-
^ Großfürst Michael.
* Führer der baltischen Flotte, die bei der Insel Tsushima in
der Koreastraße von den Japanern vernichtet wurde.
119
sentiert, ist ausgespielt und auf ehrenvolle Weise ver-»
loren. Er tat alles, was in seiner Macht stand, um
Deinen Wünschen zu entsprechen; aber die Vorsehung
wollte es anders, und er erlitt eine Niederlage, indem
er tapfer seinem Herrn bis zum letzten diente. Meine
volle Sympathie ist mit ihm und mit Dir.
Vom rein militärisch-strategischen Gesichtspunkt
endet die Niederlage in der Straße von Korea die Aus-
sichten auf eine entscheidende Wendung der Dinge zu
Deinen Gunsten. Die Japaner sind jetzt frei, um jede
Menge von Reserven, Rekruten und Munition in die
Mandschurei für die Belagerung von Wladiwostok
hineinzuwerfen, das, wenn nicht eine Flotte zu seiner
Hilfe vorhanden ist, kaum lange Widerstand leisten
kann. Das Heer von Lanewitsch wird wenigstens drei
oder vier frischer Armeekorps bedürfen, um es auf
seine frühere Stärke und Schlagkraft zu bringen, und
selbst dann ist es schwer, vorauszusagen, was die
Folgen sein werden, und ob eine andere große Schlacht
mehr Erfolg als die früheren versprechen wird. Formell
ist es natüriich möglich, selbst unter diesen widrigen
Umständen den Krieg noch für eine Zeit lang fortzu-
setzen. Aber dann muß man andererseits auch die
menschliche Seite der Sache nicht übersehen. Dein
Land hat tausende seiner Söhne an die Front gesandt,
wo sie gefallen sind, wo sie krank oder zu Krüppeln
für den Rest ihres Lebens wurden. Jetzt ist, wie ich
Dir in meinem letzten Briefe vom 6. Februar schrieb,
der Krieg sehr unpopulär, und das Volk sieht seine
Söhne und Väter widerstrebend, ja selbst unwillig Haus
und Hof verlassen, um für eine Sache zu kämpfen,
welche sie nicht nur nicht begeistert, sondern ab-
schreckt. Ist mit der Verantworthchkeit eines Herr-
120
Sehers es vereinbar, eine gesamte Nation weiter zu
zwingen, gegen ihren ausdrückUchen Willen ihre Söhne
in den Massentod zu schicken, ledigHch für seine Sache?
Nur für diese Art Vorstellung nationaler Ehre? Nach-
dem das Volk durch sein Benehmen klar seine Miß-
billigung einer weiteren Fortsetzung des Krieges zum
Ausdruck gebracht hat? Wird nicht mit der Zeit das
Leben und Blut all dieser nutzlos hingeopferten Tau-
sende vor die Tür des Herrschers niedergelegt werden,
und wird er nicht einstmals von ihm, dem Herrscher
und Herrn aller Könige und Menschen, aufgerufen wer-
den, sich für die zu verantworten, die unter seine Obhut
von dem Schöpfer gestellt worden sind, der ihre Wohl-
fahrt ihm anvertraute? Nationale Ehre ist ein seht\
gutes Ding an und für sich, aber nur in dem Fall, daß
die Gesamtheit der Nation selbst bestimmt, sie mit
allen möglichen Mitteln aufrecht "zu halten. Aber wenn
die Wege einer Nation 'dahin weisen, daß sie genug hat,
und daß „alles verloren, nur nicht die Ehre^^ ihre
Denkrichtung ist, ist es dann nicht vernünftig, daß auch
ihr Herrscher, zweifellos mit "schwerem Herzen, die
Folgerung zieht und Frieden schließt? Selbst wenn
€S ein bitterer Friede wird? Besser als durch die Ver-
längerung eines so unpopulären Krieges ein so er-
bittertes Gefühl in seinem Lande zu schaffen, daß es
selbst nicht vor ernsthaften Schritten zurückweicht, um
eventuell den Herrscher zu "zwingen, seine Wünsche
zu erfüllen und seine Ansichten anzunehmen? Hier
mußte man natüriich auf die Armee Rücksicht nehmen.
Sie hat gefochten und tapfer gefochten, in Hitze und
Kälte versuchte sie in IV2 Jahren, den Sieg für Dich und
Dein Land zu erstreiten, aber bis jetzt hat ihr die Vor-
sehung den Erfolg vorenthalten. Niederlage, furcht-
121
bare Verluste an Leben und unaussprechlichen Leiden
sind statt dessen Deinem armen Heere gesandt worden
und willig von diesen prachtvollen, tapferen, ruhigen
und sich selbst aufopfernden Menschen, wie es Deine
Soldaten sind, eriitten worden. Daß sie auf Revanche
brennen und bereit. sind, zu jedem möglichen Augen-
blick zu kämpfen, ist ganz natürlich. Aber gibt es hier
irgendeinen neuen Führer oder General unter den
Hauptleuten, der fähig ist, den Erfolg zu garantieren,
so daß es eine neue furchtbare Anstrengung auf Kosten
von Tausenden von Leben von Soldaten rechtfertigen
würde? Ist die Armee tatsächlich absolut davon über-
zeugt, daß es noch möglich sein wird, die Wagschalen
zu wechseln? Auf diese Frage bist Du natürlich allein
imstande, die Antwort zu geben. Sollte die Antwort
indessen im negativen Sinne von Deinen Generälen im
Namen Deiner Soldaten gegeben werden, indem sie
bei ihrer Ehre erklären, daß sie für ihren Kaiser nur
sterben, aber schwerlich einen entscheidenden
Sieg für ihn erringen können, dann denke ich, daß Dein
Gewissen darüber ruhig sein kann, ob Du weiter in
den Kampf gehen solltest oder nicht, und Du könntest
offen die Friedensverhandlungen beginnen, die von allen
Deinen ergebenen Untertanen durch ganz Rußland hin-
durch mit Freude begrüßt werden würden, nach dem
Blutopfer, das sie bereitwillig ihrem Kaiser brachten.
Du kannst dann wie der alte französische Grenadier
Bombardon singen: „Das Glück des Krieges hat wider
uns entschieden, doch die Armee hat ihre Pflicht getan,
die Hälfte fiel, der Rest war Invaliden. Je nun, man
trägt, was man nicht ändern kann.**
Napoleon I. und Friedrich der Große haben auch ihre
Niederlagen erlitten. Man muß es betrachten, als ob
122
es Gottes Wille war, daß die Dinge diesen Lauf ge-
nommen haben. Gott hat diese Bürde auf Dich gelegt,
und sie muß getragen werden, aber vielleicht mit seiner
Absicht und mit seiner Hilfe kann aus alle diesem
schließlich noch etwas Gutes Werden; ein neues Leben,
eine neue Ordnung der Dinge für die Entwickelung
Rußlands kann aus dieser Prüfungszeit hervorgehen,
eine Belohnung, die Deine Untertanen reichlich ver-
dient haben.
Vergib die Länge dieses Briefes, aber ich fühle als
Dein Freund und Kollege toich verpflichtet, Dir zu
sagen, was ich als wahr und richtig erkenne. Du kennst
die Gründe, die mich bewegen, Du kannst mit diesem
Schreiben frei tun, was Ehi zu tun für gut hältst.
Sollten indessen die in diesem Brief vorgeschlagenen
Ideen mit den Deinen zusammenfallen und Du der
Meinung sein, daß ich Dir selbst nur im geringsten von
Nutzen sein könnte, um vorbereitende Schritte für den
Frieden zu unternehmen, dann bitte verfüge über mich
ganz nach Deinem Beheben. Ich kann vielleicht Deine
Aufmerksamkeit auf die Tatsache lenken, daß un-
zweifelhaft die Japaner den höchsten Respekt vor
Amerika vor allen andern Nationen haben, weil diese
mächtig wachsende Macht mit ihrer furchtbaren Flotte
ihnen am nächsten ist. Wenn irgend jemand in der
Welt fähig ist, die Japaner zu beeinflussen und sie zu
veranlassen, in ihren Vorschlägen vernünftig zu sein,
so ist es Präsident Roosevelt K Mit Deiner Genehmi-
gung könnte ich mich leicht zunächst privat mit ihm
in Verbindung setzen, da wir sehr eng befreundet sind,
auch mein Gesandter dort ist sein Freund. Außerdem
* Roosevelt vermittelte den Frieden zu Portsmouth zwischtn
Rußland und Japan.
123
kannst Du Dich an Herrn Meyei^ den ich seit Jahren
kenne, und der mein vollstes Vertrauen besitzt, wenden.
Sprich offen mit ihm. Er ist äußerst verschwiegen und
vertrauenswürdig, ein liebenswürdiger Plauderer mit
angenehmen Manieren. Hier fand der Brauteinzug ^
bei prachtvollem Wetter und mit größter Begeisterung
statt. Herzliche Grüße an Alix
Euer wohlgesinnter Vetter und Freund
Willy.
Schloß Wilhelmshöhe, 22. VIII. 1905.
Mein liebster Niki!
Dein Manifest, das die Bildung der Ehima anordnete,
hat einen ausgezeichneten Eindruck in Europa und
namentlich in meinem Lande gemacht, und ich bitte
Dich, meine wärmsten Glückwünsche entgegenzu-
nehmen. Dies bedeutet einen großen Schritt in der
politischen Entwickelung Deines Landes vorwärts und
gibt dem Volke eine Gelegenheit, wodurch es vor Dir
seine Wünsche und Hoffnungen ausdrücken kann, und
ermöglicht eine gemeinsame Arbeit des Herrschers und
des Landes für die Wohlfahrt der Nation. Du wirst
imstande sein, mit allen Arten und Schichten von Leuten
in Berührung zu kommen und sie selbst direkt in Deinen
Geist und in Deine Ideen einzuweihen, was früher
durch die große mächtige Mauer des Tschin, der
Bureaukratie, die großem Mißtrauen Deiner Unter-
tanen begegnete, verhindert war. Entschuldige mein
Telegramm von gestern, aber ich dachte, es sei eine
gute Idee, das Mittel der Duma zu versuchen und zu
1 Amerikanischer Botschafter in Petersburg.
' Brauteinzug der Kronprinzessin Cäcilie.
124
sehen, ob sie arbeitsfähig ist oder nicht. Gleichzeitig
erhältst Du einen ausgezeichneten Einblick in die Sin-
nesart Deines Volkes und kannst es einen Teil der
Verantwortlichkeit in Zukunft tragen lassen, die sonst
wahrscheinlich auf Dir allein gelastet hätte, und da-
durch eine allgemeine Kritik und Mißstimmung mit den
Handlungen, die von Dir allein ausgeführt sind, un-
möglich machen. *
Ich sende Dir beigeschlossen einige Dich interessie-
rende Artikel, welche die Gedankenrichtung Frank-
reichs zeigen. Die Engländer "haben sich vor Frankreich
und den französischen Matrosen selbst bloßgestellt, in
der Hoffnung, sie von Dir loszulösen und irgendeine
Annäherung zwischen Dir, mir und ihnen zu verhindern.
Die Franzosen fühlten sich sehr geschmeichelt, aber
ich hoffe, das empfindliche Volk bekommt wieder küh-
leren Kopf und sieht Avieder klarer, daß alles „nur mit
weißem Faden genäht" ist und daß England lediglich
wünscht, Frankreich zu seinem Werkzeug gegen uns zu
machen, wie es auch Japan zum Werkzeug gegen Dich
gemacht hat. Der Artikel im „Forum" ist von Maurice
Law, dem Korrespondenten der Moming Post, geschrie-
ben, der nach Amerika gesandt wurde. Er ist geistreich
geschrieben und plaudert sehr viel über die Ausdehnung
des neuen englisch-japanischen Vertrages aus, der bis-
her ganz geheim in London gehalten wurde. Aber er
scheint die Katze aus dem Sack gelassen zu haben.
Der Erzintrigant und Unglücksstifter von Europa, wie
Du richtig den König von England nanntest, ist in den
letzten Monaten eifrig bei der Arbeit gewesen. In
Cowes sagte er zu einem meiner Freunde, einem deut-
schen Herrn, den ich nach England sandte, um die
Entente Cordiale zu beobachten : „Ich kann nicht heraus-
125
finden, was in Björkö^ vor sich gegangen ist. Benken-
dorf* weiß nichts, denn er erzählt mir sonst
alles, Kopenhagen 8 weiß nichts und selbst die Mut-
terdes Kaisers, die mich immeralles wissen
läßt, hat nichts von ihrem Sohn in dieser Zeit gehört
Auch Lambsdorff, der solch ein netterMann ist, und
mich alles wissen läßt, was ich zu wün-
schen höre, weiß nichts, oder wenigstens will es
nicht sagen. Es ist sehr unangenehm." Dies zeigt EHr,
wie weit das Netz geheimer Information reicht, das
er über Europa und Dich ausgeworfen hat. Er selbst
läßt seine Presse die Absicht, mich zu besuchen, lan-
cieren, und wenn alle Zeitungen Europas dies aufneh-
men und darüber schreiben, läßt er plötzlich ein belei-
digendes Dementi veröffentlichen, das erklärt, daß mein
Auswärtiges Amt diese Absicht aufgebracht habe,
die schönste Lüge, die mir jemals in den Weg kam.
Danach geht er und ladet meinen Sohn hinter meinem
Rücken ein, zu kommen und ihn in England zu be-
suchen. Ich habe ihm dies Geschäft natürlich gelegt.
Seine Flotte beabsichtigt, unsere Küsten zu besuchen,
und ich denke, das wird die Augen manches Deutschen
öffnen, die noch immer Geld für die Ausdehnung unse-
rer Flotte weigern. Wir sollten viele mit der Eisenbahn
und per Schiff herunterschicken, daß sie eine objektive
Lektion erhalten. Man wird, wie ich hoffe, die Not-
wendigkeit, eine starke Flotte zu bauen, einsehen lernen.
Die beigeschlossene Broschüre wurde mir aus Amerika
geschickt, ich schicke sie Dir, da ich denke, sie interes-
siert Dich, namentlich vom Gesichtspunkt der zukünfti-
^ Zusammenkunft zwischen Wilhelm II. und Nikolaus II.
- Russischer Botschafter in London.
» Die mit dem englischen Königshaus verschwägerten Ver-
wandten Nikolaus' II.
126
gen Pläne, welche England gegen Rußland in Asien hat,
und was es alles versucht, die Japaner dafür zu ge-
winnen. Sie wirft Licht auf die japanische Expedition
an die Grenze von Turkestan, von der ich Dir bereits
erzählte.
Cronberg, den 24. Vlll. 1905.
Heute vor vier Wochen in „Björkö" die reizenden
Stunden, die wir miteinander verbrachten, und das
dauerhafte Band unserer vereinten Freundschaft, das,
so Gott will, gute Früchte unsern Ländern bringen wird.
Ich habe gerade Dein freundliches langes Telegramm
erhalten ! Herzlichen Dank für Deine große Güte, daß
Du Dir so viel Unruhe machst. Ich verstehe ganz Deine
Lage und Deine Entschlüsse. Sobald Du sicher bist,
daß Dein Volk Dir folgt, und sie weiter kämpfen wollen,
dann ist alles in Ordnung, und ich wünsche des Him-
mels Huld und einen baldigen Sieg. Ich bin auf einem
Besuch bei meinen Schwestern ^ hier, die gerade von
einem, langen Aufenthalt aus England zurückgekehrt
sind. Sie erzählen mir, daß die Nachricht von unserer
Begegnung in Björkö alle Leute dort und die Presse
in einen Zustand wildester Erregung versetzte. Der
König und der Hof vor allem waren „ganz aus dem
Häuschen". Er suchte aus meinen Schwestern heraus-
zuhören, ob sie irgend etwas wüßten, was vor sich
ginge. Sie lachten ihm ins Gesicht und waren sehr
darüber belustigt.
Der Auszug aus dem Brief Bismarcks an Schleinitz
aus Rußland im Jahre 1858 wird Dich interessieren. Er
zeigt, daß die Geschichte sich selbst wiederholt, und
^ Viktoria und Margarete. Viktoria, Prinzessin zu Schaumburg-
Lippe, Margarete, Prinzessin von Hessen,
127
die Zeiten den heutigen sehr ähnlich sind. Ich sah
Großfürst Georg heute mit Minny von Griechenland.
Er erzählte mir, nach seinen Nachrichten aus privater
Quelle habe die Veröffentlichung der Duma große Be-
friedigung in russischen Provinzkreisen hervorgerufen,
und die Sympathie für Deutschland und die Anerken-
nung für unsere Haltung Rußland gegenüber während
des Krieges sei warm und lebhaft. Meine Schwestern
und Tino ^ und die gesamte Familie senden Dir ihre
herzHchsten Grüße. Vergiß, bitte, nicht die Rang-Order,
welche das Avancement der Linie dem der Garde
gleichstellt. Es wird glänzend befriedigen. Ich schließe
einige neue Postkarten der Saalburg ein, die ich heute
besuchte, sie ist fast vollendet und sieht im schönen
Sommerwetter herrlich aus. Nun lebe wohl, mein lieber
Niki, Gott helfe Dir und beschütze Dich und Deine
gesamte Familie. Meine Gebete werden Dir immer
folgen als von
Deinem ganz ergebenen Freund und Vetter
Willy.
25. VIII. 1905.
P. S. Gerade als ich meinen Brief beendet hatte,
erhalte ich eine Botschaft vom Präsidenten Roosevelt.
Da er mein Interesse an der Friedenskonferenz kennt,
benachrichtigte er mich freundlich über die Lage und
über die strittigen Punkte, hinsichtlich deren eine Mei-
nungsverschiedenheit zwischen Japan und Rußland be-
steht, und über seine Vorschläge, um die Wünsche bei-
der Kriegführenden sobald als möglich kennen zu ler-
nen. Ich denke, daß seine Vorschläge sehr vernünftig
und praktisch sind, und hoffe, daß sie Deinen Erwar-
* Konstantin, der spätere König von Griechenland.
128
tungen entsprechen. Soweit ich es ersehen kann, schei-
nen sie Rußland alle Vorteile eines ehrenvollen Friedens
zu sichern. Aber Du hast natürlich allein zu entschei-
den, da Du am besten die Stimmung Deiner Landsleute
beurteilen kannst. Ich bitte Dich noch einmal um Ver-
zeihung, daß ich ein so furchtbar langweiliger Mensch
bin und Dich belästige. Aber Du weißt, daß alles aus
einem freundschaftlich gesinnten Herzen kommt, das
warm für Dich und Deine Wohlfahrt wie auch für die
Deines Landes schlägt. Ich habe meiner Flotte befoh-
len, de.- britischen auf dem Fuße zu folgen, und wenn
sie Anker legt, sich nahe der britischen Flotte zu halten
und ihnen ein Diner zu geben und sie betrunken zu
machen, um soweit als möglich ausfindig zu machen,
um was es sich handelt, und dann wieder schnell weg-
zusegeln. Ich denke, das Erstaunen wird groß sein, da
sowohl die Engländer als auch unser Volk glaubt, daß
unsere Flotte in der Nordsee sein wird. Erzähle es
niemanden, denn das Geheimnis muß gut bewahrt blei-
ben. Ta, Ta! Das ist das richtige Ende meiner Epistel.
Willy.
Bismarcks Briefwechsel mit Minister
Frhr. von Schleinitz 1858—1861. „Für Rußland
verlangt und erwartet jeder," schreibt Bismarck, „der
nicht gerade ausschließlich von einem Amte lebt,
nach Erlaß der Bauerngesetze irgendeine verfassungs-
mäßige Form der Beteiligung des Volkes und nament-
lich der höheren Schichten an der Regierung des Lan-
des, die Gemäßigten in maßvoller Weise; aber man
hört Stimmen, die an den Konvent erinnern und den
Standpunkt der Girondisten schon überwunden haben.
Man spürt die Tätigkeit von Wühlern, welche kein
Mittel vernachlässigen, um Mißstimmung gegen den
9 129
Hof und das Kaiserliche Haus bis in die untersten
Volksschichten zu verbreiten. Die nächste Umgebung
des Kaisers ist leider nicht rein von Elementen,
welche die übelsten Anhaltspunkte für dergleichen ge-
währen, und deren Handlungen sowie die Verantwor-
tung für den ganzen Augiasstall amtlicher Mißbräuche
künsthch dem Kaiser zugeschoben werden, dessen mil-
des Herz für manche ihm bekannte Persönlichkeit zu
nachsichtig ist, dessen ehrliches Streben nach Bes-
serung der Dinge sonst aber selbst von denen aner-
kannt wird, die ihm aus der Erfolglosigkeit desselben
einen Vorwurf machen. Den armen Leuten, selbst den
gemeinen Soldaten, wie man sagt, rechnet man die
Geldausgaben des Hofes, die Beamten für die Groß-
fürsten, die Häuserankäufe für die jüngsten Söhne des
Kaisers, den Verbrauch bei Hofe vor und vergleicht
damit ihre Armut. Leute in hohen Stellungen durch
Amt und Geburt sprechen mit von Revolutionen als
von Dingen, die wohl möglich wären, sie aber eigent-
Hch wenig angingen, sondern nur den Kaiser beträfen,
so daß es keinesfalls scheint, als ob sie in der Vertei-
digung des Thrones ihr Leben einzusetzen gedächten.
Nun hat man sich hier zwar jederzeit durch scharfen
Tadel in der Konversation für die Unterwürfigkeit ent-
schädigt, die man der amtlichen Gewalt im praktischen
Leben erweist, dabei aber war in früheren Zeiten der
gesamte europäische Wind nicht so ungünstig für mon-
archische Autorität wie heutzutage und wie beson-
ders seit vier Jahren in Rußland. Vielleicht geht das
vorüber wie ein Wechselfieber, vielleicht aber reicht
auch ein kleiner und zufälliger Funke hin, hier einenj
großen Brand anzuzünden. Von Offizieren hört man
über Abnahme der Disziplin unter den Soldaten klagen
130
und den Krieg als nötig bezeichnen, wenn nicht schlech-
ter Geist einreißen soll. Bedrohlich sieht es überall
aus in der Welt, und wenn man hier erlebt, daß Edel-
leute von anscheinend ruhigem und friedliebendem
Temperament ganze Ladungen von Revolvern und Mu-
nition aufkaufen, um sich auf den Sommer zu rüsten,
so weiß ich nicht, ob man nicht besser als Christenhund
in Damaskus aufgehoben wäre, wie als Gentleman
im Lande des Kaisers Nikolaus. Die Aussichten der
Deutschen in Nordschleswig sind jedenfalls weniger
unbehaglich als die des russischen Landjunkers, der
gleich einer lebendigen Höllenmaschine mit Revolvern
ausgestopft unter seinen Bauern lustwandelt. Der
Kaiser ist gedrückt von dem Ernst der Situation im
Innern und hat für auswärtige Politik nicht dasselbe
Interesse wie sonst. Gestern sagte er mir mit tiefem
Seufzen, daß die Mittwoche seine einzigen glücklichen
Tage seien, weil die Geschäfte ihm dann 24 Stunden
Ruhe ließen. Er fährt nämhch jeden Dienstag zur Jagd.
Auch bei meiner neulichen Audienz war er niederge^
schlagen ; er schenkte mir seine und der seligen Kaiserin
Photographie und knüpfte daran eine Beschreibung der
Originale aller im Zimmer hängenden Familienporträts.
Wenn Redensarten tödlich wären, so lebte in der Tat
vom ganzen Hause Holstein-Gottorp keine männliche
Seele mehr. Dem edlen Herzen des Kaisers läßt jeder
Gerechtigkeit widerfahren, die „aber", die dann je-
doch folgen, sind von der Art, daß ich in den Fall
komme, fortzugehen oder um eine Änderung des Ge-
spräches zu bitten. Sehr übel ist es, daß der Kaiser für
alle die weitverzweigten und vielfachen Mißbräuche
verantwortHch gemacht wird, die mit dem Namen Minna
Iwanowna, zu deutsch Frau v. Burghof, Freundin des
^ 131
alten Adlerberg, zusammenhängen. Daß Gardeoffiziere
in Gegenwart Fremder die Frage diskutieren würden,
ob sie auf das Volk schießen werden oder nicht, hat
der Kaiser Nikolaus gewiß auch nicht so schnell er-
wartet. Man hat hier eine zu gute Polizei von alters
her, als daß der Kaiser nicht viel von allen diesen Din-
gen erfahren sollte, und der praktische Chef dieses
Institutes, Timascheff, sieht allerdings sehr schwarz in
betreff der nächsten. Zukunft."
Rom inten, 26. IX. 1905.
Liebster Niki!
Wittes Besuch gibt mir die angenehme Gelegenhtit,
Dir einige Worte zu senden. Dies macht mir immer
großes Vergnügen, und ich wünsche nur, daß meine
Zeilen Dich nicht allzusehr langweilen. Ich hatte sehr
interessante Unterhaltungen mit Witte. Er macht auf
mich den Eindruck eines Mannes von ungewöhnlichem
Scharfsinn und Voraussicht, und er besitzt eine seltene
Gabe der Energie. Er hat es fertig gebracht, mit Roose-
velts ebenso energischer wie kluger Hilfe die Konferenz
von Portsmouth zu einem sehr glücklichen Ende zu
führen, und zwar so sehr, daß sie in der übrigen Welt
als ein Signal und tatsächlicher Sieg Rußlands über
Japan angesehen wird. Dies mag Dich interessieren,
da zweifellos seine Feinde und unordentliche Leute in
Rußland ihn von seinem Posten entfernen und glauben
machen möchten, daß er nicht die Interessen seines
Landes so gewahrt hat, wie er es hätte tun müssen.
Große Männer, und er muß, wie ich glaube, zu ihnen
gezählt werden, werden immer einem gewissen Neid
und Lügen zu begegnen haben, welche den Anteil an
Lob, das ihnen von ihren Bewunderern gespendet wird,
132
aufwiegen. Aber die Tatsachen sprechen für solche
Leute, und Portsmouth spricht für sich selbst.
Ich fand zu meiner großen Befriedigung, daß seine
poHtischen Ideen vollständig mit der Grundlage über-
einstimmen, auf der wir nach Austausch unserer An-
sichten in Björkö verblieben sind. Er ist ein sicherer An-
walt eines russisch-deutsch-französischen Bündnisses,
das, wie er mir sagte, glücklich von Amerika cotoyiert
v^ird, um den Frieden und den Status quo in der Welt
aufrecht zu erhalten, dessen Gleichgewicht durch den
englisch-japanischen Bündnisvertrag gestört- worden ist.
Er war infolgedessen sehr angenehm überrascht, als
ich ihm von unserem Werk in Björkö erzählte. Es ist
das sehr natürliche Wachsen der Großmächte — sie
sind die Repräsentanten des Kontinents — , das zur
Folge haben wird, daß sie die übrigen kleinen Mächte
in Europa in den Kreis dieses großen Blockes hinein-
ziehen. Amerika wird auf Seiten dieser „Kombination"
stehen. Zunächst sind entschieden vom „Rassenstand-
punkt" aus die „weißen Mächte" Gegner der gelben
Mächte. Sodann vom politischen Standpunkt aus :
Furcht vor Japan und im Hinblick auf die Philippinen,
auf welche die Japaner sehnsüchtige Augen geworfen
haben. Der Verlust derselben würde die Position der
Amerikaner im Stülen Ozean schwächen. Drittens kommt
der Gesichtspunkt des gefährlichen Wettbewerbs des ja-
panischen Handels in Betracht, der durch sehr billige
Arbeitskräfte unterstützt und nicht durch die Kosten
eines langen Transports mit seinem Frachttarif und mit
dem Weg durch den Suezkanal belastet wird. Die
für eine Durchfuhr zu zahlenden Summen bedeuten
eine schwere Steuer für den ganzen europäischen
Handel. Genau so wie es mit dem Panamakanal der
Fall sein wird.
133
Die kontinentale Vereinigung, die von Amerika flan-
kiert wird, ist das einzige Mittel und die einzige Art,
um wirklich den Weg zur ganzen Welt, welche John
Bulls privates Eigentum wird, zu blockieren, und die
er nach Herzenslust ausbeuten wird, nachdem er durch
Lügen und Intrigen ohne Ende die übrigen zivilisierten
Nationen zu seinem eigenen persönlichen Vorteil ein-
ander in die Haare gebracht hat. Wir sehen dies ver-
derbliche Prinzip jetzt in der Marokkofrage in voller
Tätigkeit, in welcher John Bull gleichzeitig sein Bestes
tat, um die Franzosen gegen uns matt zu setzen, indem
er so endlose Verzögerungen und Unruhe hervorrief.
Aber Deine Alliierten sind von „Cowes^' und ,,Brest''i
und der Entente Cordiale so hypnotisiert, daß sie kaum
etwas in der auswärtigen Politik unternehmen, ohne
erst London zu fragen. Sieh, es würde gut sein, wenn
Du Nelidoff- die Anweisung geben würdest, auf diese
Anglomanie einen Dämpfer zu setzen und die Fran-
zosen daran zu erinnern, daß ihre Zukunft bei Dir und
uns liegt; wie ich höre, ist auch er etwas ,,angloman^^
Witte gab in liebenswürdiger Weise den Franzosen
betr. Marokko den Rat, Vernunft anzunehmen, und ich
habe Radolin^ angewiesen, so ,,conciliant^^ als möglich
zu sein, so daß ich hoffe, daß wir in wenigen Tagen
zu irgendwelchen festen Verabredungen kommen.
Was die englisch-französische ,, Entente Cordiale^^*
betrifft, so kannst Du vielleicht Hinweise in meinen
Briefen, die ich Dir vor zwei Jahren schrieb, finden, #n
1 In Brest und Cowes hatten die englische und die franzö-
sische Flotte Besuche ausgetauscht.
* Russischer Botschafter in Paris.
^ Deutscher Botschafter in Paris.
* Abgeschlossen 8. April 1Q04 zur Verständigung über die
Marokkofrage, Ägypten usw.
134
denen ich Dich warnte, mit „Annäherungen" an die
beiden Regierungen und Länder zu beginnen, da sie
gemeinsam gegen Deine Politik in Mazedonien nach
den Verabredungen in Mürzsteg Widerstand leisteten.
Ich zeigte dann, daß sie ihre frühere alte PoHtik aus
der „Krim" wieder angenommen haben, und nannten
sie die „Krimkombination". Die liberalen West-
mächte haben sich vereinigt, wie ich es vorausgesagt
habe, und stehen Dir nicht nur in der äußeren Po-
litik, sondern noch viel hitziger und offener auf dem
Felde der inneren und russischen Politik entgegen. Die
französische und englische liberale Presse denunziert
ganz offen und gemeinsam alle monarchischen und
energischen Handlungen in Rußland — das „Zarentum",
wie sie es nennen, und unterstützt offen die Angelegen-
heit der Revolutionäre zur Ausdehnung und Aufrecht-
erhaltung des Liberalismus und der „Aufklärung" ge-
gen das „Zarentum" und den „Imperialismus" gewisser
rückständiger Länder. Darunter verstehen sie Dein
und mein Land. Die Phrase, mit der die Franzosen
immer von den Engländern eingefangen werden, lautet:
„Zusammen die Interessen des Liberalismus in der
Welt aufrecht zu halten und sie in anderen Ländern
zu propagieren", d. h. die Revolution in ganz Europa,
namenthch in den Ländern, welche glücklicherweise
noch nicht unter der absoluten Herrschaft dieser hitz-
köpfigen Parlamente sind^ zu befestigen und zu unter-
stützen.
Alvensleben, der sich auf seiner Heimreise befindet,
ist, wie ich leider sagen muß, an seiner Gesundheit
gänzlich gebrochen u;nd hat darum gebeten, auf seinen
Posten verzichten zu dürfen. Mit Deiner freundlichen
Bewilligung schlage ich vor, Dir Herrn von Schön,
135
bisher Botschafter in Kopenhagen, zu senden. Er
war früher eine lange Zeit Botschafter in Paris, ist
mit einer eleganten, reizenden Dame verheiratet, er
begleitete mich auf meiner Reise nach Tanger und
nach dem Mittelmeer in diesem Jahre und ist ein
treuer, ergebener, ruhiger und verschwiegener Mann,
mein persönlicher Freund, der seit vielen Jahren mein
vollstes Vertrauen besitzt. Er ist mit allen englischen
Intrigen in Dänemark wohl vertraut, manchen konnte
er begegnen. Er kennt Italien gut, spricht Französisch,
Englisch, Italienisch ganz wie seine Muttersprache,
ist sehr tätig und ein guter Lawn-Tennisspieler, wenn
Du einen solchen gebrauchen kannst.
Der Besuch der britischen Flotte in Swinemünde^
und Danzig lief ohne Kollision ab, das Publikum war
höflich und gastfrei, aber ohne irgendwelchen Enthu-
siasmus. In Esbjerg- hatte ich einen meiner Freunde
bei mir, der Englisch und Dänisch gut spricht. Er ging
an Bord verkleidet als ein Kohlenhändler und dinierte
oder soupierte oft mit den Offizieren. Sie erzählten
ihm, daß sie nach der Ostsee ausgesandt waren, um
den Kaisern zu zeigen, daß sie keine Macht hätten,
irgend etwas zu beschließen, wie sie wollten, denn
die britische Flotte würde ihnen das niemals ge-
statten!!!
Ein schönes Stück Unverschämtheit! Möge Deine
Flotte bald wieder schöne Schiffe neuen Typs auf
Stapel legen, die von Offizieren tüchtigen Leibes und
klaren Geistes kommandiert und von geübten Män-
nern befehligt werden.
^ Baltische Übungsreise der britischen Flotte 27. — 31. August
1905.
' Dänischer Hafen an der Westküste jütlands.
136
Eine Neuigkeit, die vor wenigen Tagen aus Wien
kam, wird Dich interessieren. Der amerikanische Ge-
sandte Mr. Bellamy Storrer erzählte einem meiner
Freunde, daß er wenige Tage vor Abschluß des Frie-
dens mit dem König von England in Marienbad zu-
sammentraf. Der König erzählte Storrer, daß von
einem Frieden keine Rede sein könne, da Japan nie-
mals zustimmen würde, seine Entschädigungsansprü-
che aufzugeben, die man ihm als Sieger schuldet. Er
sagte dann, daß es äußerst notwendig wäre, daß Ruß-
land, finanziell hilflos, für lange Zeit verkrüppelt sein
und bleiben müsse. Storrer sagte, daiß er in einer sehr
schwierigen Lage war, als der König seine Meinung
ganz laut vor einer großen Menschenmenge, die ihn
begleitete und ihm zuhörte, erbat. Es scheint, als ob
er sich davor fürchte, daß Amerika sich den übrigen
Nationen anschließt, indem es Rußland Geld gibt,
falls eine große internationale Anleihe ausgegeben wird,
was er natürlich verweigern würde.
Würdest Du jetzt, wo der Friede^ unterzeichnet wird,
und die Ratifikationsurkunden gerade ausgetauscht wer-
den sollen, es nicht für praktisch halten, wenn wir
unsere Botschafter an den fremden Höfen identisch
instruieren würden, ohne sie in das Geheimnis der
Existenz eines Vertrages einzuweihen, daß sie in allen
Dingen, die nicht besonders unsere Länder in ihrem
eigenen Interesse berühren, also in allen Fragen der all-
gemeinen Politik zusammenarbeiten und einander von
ihren Instruktionen und Plänen in Kenntnis setzen
sollen? Diese gemeinsame Erklärung einer gemein-
samen Angelegenheit wird nicht ihren Eindruck auf
die Welt verfehlen, daß unsere Beziehungen enger ge-
* Friede von Portsmouth.
137
worden sind, und wird so langsam unsere Alliierten,
die Franzosen, auf die neue Orientierung vorbereiten,
welche ihre Politik zwecks Eintritts in unsern Vertrag
nehmen muß. Die Marokkofrage ^ wird in wenigen
Tagen in dem Dir berichteten Sinne beigelegt sein,
indem beiden Parteien ein guter Rat gegeben wird;
ich habe die Instruktion erteilt, so kulant als möglich
zu sein. Witte hat alle Damen und Herren hier durch
seine amüsanten Erzählungen über Amerika und über
seine Erfahrungen, die auch Dich sehr belustigen wer-
den, entzückt. Nun lebe wohl, liebster Niki, herzliche
Grüße an Alix, einen Kuß dem kleinen Knaben von
Deinem immer wohlgesinnten Freund und Vetter
Willy.
Neues Palais, 28. XI. 1905.
LiebsterNiki!
Der Kanzler, dem ich einige Teile Deines Briefes
vorlas, sagte mir, daß ein ganz reines Defensivbündnis
unmöglich dem von Deinem Vater geschlossenen
Vertrage mit Frankreich widerstreiten könne. Denn
wenn es dies täte, so würde es bedeuten, daß durch
den französischen Vertrag Rußland gebunden sei,
Frankreich zu unterstützen selbst in einem Angriffs-
krieg gegen Deutschland. Aber eine derartige Mög-
Hchkeit, d. h. daß Rußland Frankreich bei einer agres-
siven Politik gegen uns unterstützt, haben wir bis jetzt
niemals auch nur einen Moment in den Bereich der
Erwägung gezogen, da Dein lieber Vater mir oft er-
zählte, er würde zu allen Zeiten sich offen irgendeinem
^ Am 12. April 1905 hatte Deutschland den Mächten die Ein-
berufung einer internationalen Marokkokonferenz vorgeschlagen.
138
Angriffskrieg widersetzen, abgesehen davon, daß er
mit mir auf freundschaftlichstem und vertrautestem
Fuße stand. Dies wird beleuchtet durch die Tatsache,
daß im Jahre 1891 während der Manöver in der Nähe
von Narva er mir offen seine Abneigung gegen das
französisch-republikanische System ausdrückte, wobei
er die Wiederherstellung der Monarchie in Paris ver-
teidigte, für welches Unternehmen er meine Hilfe er-
bat. Wenn Dein französisches Bündnis gleich dem
unsern ein reines Defensivbündnis ist, dann besteht
zwischen diesen beiden keine Unvereinbarkeit. Eins
schließt das andere nicht aus, so daß keine weitere Er-
klärung notwendig ist.
Anderseits kann ich begreifen, daß es für Dich sehr
günstig ist. Dich nicht offen als Verbündeten zu ver-
zeichnen in dem Augenblicke, wo die internationalen
Revolutionäre über die Welt die infame Lüge ver-
breiten, daß ich meinen Einfluß auf Dich zugunsten
einer Reaktion ausgeübt habe.
Mein heißer Wunsch ist, daß Du unversehrt durch
die gegenwärtige Krisis hindurchgehst, und daß Dein
Volk Deine edlen Absichten voll begreifen möge. Jetzt
mußt Du abwarten und sehen, wie die Einrichtungen,
die Du ins Leben gerufen hast, praktisch wirken; nur
danach wird es später möglich sein, zu beurteilen, ob
und welche Abänderungen erforderlich sind.
Was Deine Meinung über Witte betrifft, so kann ich
natürlich nicht behaupten, ihn so gut zu kennen wie
Du, aber sicherHch macht er auf mich einen Eindruck
als ein Mann, der weit über dem Durchschnitt steht.
Gleichzeitig freut es mich, daß Du Deinen Onkel Ni-
kolaus Nikolajewitsch in Dein Vertrauen gezogen hast.
Er scheint mir ein Element der Festigkeit zu verkör-
139
pern, und Festigkeit ist nötig, um Ordnung aufrecht zu
erhalten. Ohne Ordnung kann eine junge Freiheit nicht
leben.
Hinsichtlich Tattenbachs ^ und Marokkos sind Deine
Informationen aus Frankreich unrichtig. Ich beabsich-
tige nichts und habe niemals irgendeinen besonderen
Vorteil für Deutschland beabsichtigt, und Tattenbach
hat niemals irgendeine Politik als die seinige verteidigt.
Das wäre etwas Unerhörtes in meinen Diensten.
Meine Vertreter in fremden Ländern verteidigen nur
eine Politik, und das ist die meinige. Wir wünschen
nur offene Tür zu sichern, d. h. ein Interesse, das wir
mit allen andern seefahrenden und handeltreibenden
Nationen gemeinsam haben. Es liegt kein Grund vor,
warum es nicht zu einem gerechten Abkommen mit
Fsankreich auf dieser Grundlage kommen könnte. Ich
vertraue darauf, daß Du, dessen ständige Absicht es ist,
den Frieden zwischen allen Nationen herbeizuführen
und ein Wohlwollen über die ganze zivilisierte Welt
zu verbreiten, mir Deinen machtvollen Beistand leihen
könntest, um die Konferenz 2 zu einer allgemeinen Ver-
ständigung zu bringen, die auf der Aufrechterhaltung
der offenen Tür begründet ist. Ein Wort in dieser
Richtung an Deinen Vertreter auf der Konferenz würde
sehr vorteilhaft sein, um die Aufgabe meines Gesandten
zu erleichtern. Mit herzlichem Gruß an Alix und an
den Säugling verbleibe ich, mein Heber Niki, immer
Dein Willy.
Neues Palais, 30. XII. 1905.
Liebster Niki!
General Tatischeff hat mir Deinen Brief überbracht,
1 Deutscher Vertreter in Marokko.
2 Konferenz von Algeciras.
140
und sich selbst in seiner neuen Charge^ vorgestellt. Es
ist von höchster Wichtigkeit für mich, zu wissen, daß
er sich Deines vollen Vertrauens erfreut. Ich will im
Ernstfall mit Vergnügen mich seiner Dienste in meinen
privaten Beziehungen zu Dir bedienen. Er ist hier will-
kommen und wird in der Rangordnung meines Haupt-
quartiers, zu dem er jetzt gehört, geführt. Der neue
Gesandte von Schön- reist heute mit General von Ja-
kobi ab. Ich kann für den Charakter des Generals in
jeder Beziehung einstehen. Er war mein erster Adju;^
tant, den ich überhaupt hatte, studierte mit mir in Bonn,
diente im ersten Garderegiment beim 1. Bataillon, war
später zum zweiten Male mein Adjutant, nachdem ich
den Thron bestiegen hatte, verbrachte mehrere Jahre
als Mihtärattache in Rom und wurde später zu Mamas
Regiment in Wiesbaden kommandiert, wo Du ihn sahs^.
Ich bin sicher, daß er Deines Vertrauens wert ist, da
er das meinige besitzt. Ich kenne ihn seit 25 Jahren
genau. Besten Dank für Deine freundlichen Zeilen und
die Wünsche zum neuen Jahr, die ich herzlichst er-
widere. Möge Gott Dich und Deine Familie segnen
und behüten und den Frieden unsern Völkern bewah-
ren. Das ist der ernste Wunsch
Deines stets sehr ergebenen Vetters, Freundes und
Verbündeten
Willy.
Berlin, 29. I. 1906.
Liebster Niki!
General von Jakobi überbrachte mir Deinen Brief
und Deine Wünsche, für die ich herzlich danke. Er
* Vom Zaren als Adjutant Wilhelms II. attachiert.
' Zum Botschafter in Petersburg ernannt.
141
war sehr glücklich über die freundliche Aufnahme, die
er bei Dir wie auch in der Gesellschaft gefunden hat.
Ich freue mich, von ihm zu hören, daß Du wohl und
munter bist, wie auch Alix und die Kinder. Das gute
Aussehen und die gute Haltung der von Dir inspizier-
ten Truppen, welcher Zeremonie er beiwohnen durfte,
machten auf ihn einen großen Eindruck. Aber er war
sehr traurig, welch eine unglückliche Figur er beim
Schießen Ispielte, da er nicht sein eigenes Gewehr führte
und ein untüchtiger Schütze ist.
Der Gedanke eines großprahlerischen ,, Adjutanten*^
unseres Kollegen, des Holzhauers von Fallieres i, der
sich in Deinem Gefolge befindet, verursachte mir eine
unbegrenzte Belustigung. Aber abgesehen davon, daß
es schreckhch komisch wirkt, ist es in einiger Hinsicht
wenigstens auch ein nützlicher Gedanke. Je mehr
Frankreich gänzlich zu Dir herübergezogen wird —
vorausgesetzt, daß es gelingt — desto mehr befreit es
sich von dem „Störenfried*^ Das marokkanische Ge^
schäft wird, soweit ich sehen kann, völlig ohne Krieg
in Ordnung kommen. Der entscheidendste Punkt ist,
daß bisher keine andere Macht irgendeine Neigung ge-
zeigt hat, Frankreich irgendwelche bewaffnete Hilfe
zu leisten, falls es in Marokko einzufallen beabsichtigt.
Ohne die Sicherheit einer bewaffneten Hilfe wird Frank-
reich sicherlich einen solchen Einfall nicht wagen.
Irgendein Abkommen wird schließlich getroffen wer-
den, um den Frieden für alle in Betracht kommenden
Parteien mit Ehren zu sichern, der gleichzeitig für den
Handel der ganzen Welt die Aufrechterhaltung der
offenen Tür in Marokko gewährleisten wird. Daß die
Franzosen sich weigerten, jetzt Rußland eine Anleihe
1 Der französische Präsident.
142
zu gewähren, hat nicht so viel mit der marokkanischen
Angelegenheit zu tun, da diese jetzt seit Eröffnung der
Konferenz von Algeciras ^ sehr beruhigt worden ist,
als vielmehr mit den Berichten der russischen Juden,
welche die Führer der Revolution sind, an ihre Ver-
wandten in Frankreich, welche die ganze Presse unter
ihrem infamen Einfluß haben. Berlin ist ganz voll von
Russen und vornehmen Famihen, die aus den baltischen
Provinzen geflohen sind. Etwa 50 000 Deiner Unter-
tanen sind hier, 20 000 in Königsberg und weitere Tau-
sende in den kleinen Provinzstädten Preußens, Posens,
Schlesiens. Hauptsächlich die Adeligen aus den balti-
schen Provinzen sind in einer schlimmen Verfassung,
da sie alle ihre Gutsitze, die verbrannt, ihr Eigentum,
das geplündert, und ihre Wälder, die zum Teil zerstört
sind, verloren haben. Viele Baroninnen sind als einfache
Haushälterinnen zu andern Familien gegangen, und
viele junge Gräfinnen und Baroninnen mußten in „Wa-
renhäuser^^ als einfache Ladenmädchen gehen, nur um
sich und ihre Mütter vom Verhungern zu retten.
Unsere Großgrundbesitzer haben freiwillig einige Fa-
milien in ihren Landhäusern aufgenommen, und selbst
die Kaiserin hat junge Mädchen in ihr Seminar aufge-
nommen, um die armen Mütter zu entlasten. Du hast
keine Ahnung von den schrecklichen Verlusten und dem
Unglück, das unter den Besten Deines kurländischen
und livländischen Adels herrscht. Da manche meiner
Offiziere, die in der Armee dienen, junge Damen aus
diesen Familien geheiratet haben, und ihre hauptsäch-
lichsten Unterstützungsmittel von ihren Schwiegereltern
empfingen, sind diese armen Burschen auch plötzlich
„vis-ä-vis de rien^^ gestellt, da sie mit ihrer eigenen
' 16. Januar 1906. "
143
Löhnung nicht leben können. Nach meiner Meinung
werden viele Millionen nötig sein, um diese armen Men-
schen wieder auf die Beine zu bringen und ihnen zu
helfen, ihr zerstörtes Heim wieder aufzubauen, welche
Summen, wie ich vertrauensvoll hoffe. Deine Regierung
zu ihrer Verfügung bereitstellen wird. Ein dahin-
gehender Befehl von Deiner Seite würde einen ausge-
zeichneten Eindruck auf ganz Europa machen und die
verzweifelten Gemüter dieser beklagenswerten Men-
schen wieder heben.
Während ich Dir diese Zeilen schreibe, empfange
ich gerade die plötzliche und unerwartete Nachricht
vom Tode Deines heben Großvaters ^ Was für ein
wahrhaft edler und ritterlicher Monarch ist mit ihm
dahingegangen. Geliebt von seiner ganzen Familie und
seinen Untertanen, die auf ihn als ihren Vater blickten.
Ich spreche Dir mein tiefstes Beileid zu diesem schwe-
ren Verlust, den wir Monarchen alle fühlen und be-
klagen, aus, da wir einen der Besten unter uns ver-
loren haben. Deine arme Mutter wird in schwerem
Leide sein, aber dankbar dafür, daß sie zugegen war,
um die letzten Augenblicke mit ihrem angebeteten Vater
zu verbringen. Ich werde selbstverständhch zur Be-
erdigung gehen.
General Saionzkowsky stellte sich mir vor und machte
einen ausgezeichneten Eindruck auf mich. Ich war
erfreut, ihn über die ausgezeichnete Haltung meines
tapferen Wiborgregimentes zu beglückwünschen, das
so tapfer für seinen Kaiser und für sein Land kämpfte.
Nun lebe wohl, Hebster Niki, herzlichen Gruß an Alix
und an die Kinder von
Deinetn immer wohlgesinnten Freund und Vetter
. Willy.
^ König Friedrich VIII. von Dänemark.
144
Berlin, 6. III. 1906.
Mein liebster Niki!
Die Rückkehr des Generals ä la suite von Jakobi nach
Tsarskoe gibt mir die gute Gelegenheit, Dir diese Zei-
len durch ihn zu senden. Sie mögen meinen aufrichtig-
sten und herzHchsten Dank für Deine freundlichen
Wünsche zu unserer silbernen Hochzeit und für das
glänzende Geschenk, welches Du uns freundlich über-
sandtest, ausdrücken. Es ist wahrhaft glänzend, Heb-
Hch an Farbe und ausgesucht in der Arbeit. Die Zif-
fern der Edelsteine machen einen prächtigen Eindruck
auf dem sanften Dunkelgrün des Steins. Sie erregten
große Aufmerksamkeit unter unsern Gästen und wur-
den gebührend bewundert. Es war sehr freundlich von
Dir, an unsere ehemalige Hochzeit zu denken und
an unsere Feier, wie bei dieser Anteil zu nehmen. Ich
war sehr erfreut, alle Deputationen, die Du mir sand-
test, zu begrüßen. Besonders meine tapferen „Wibor-
ger" waren das Zentrum bewundernder Neugier. Sie
machten überall einen sehr guten Eindruck und wurden
so viel wie nur möglich „fetiert". Die Feierlichkeiten
waren sehr anstrengend und aufregend, aber Viktoria
überstand sie glücklicherweise sehr gut, obwohl sie
kurz vorher einen schweren Influenzaanfall gehabt
hatte. Seit drei Tagen haben wir vollkommenen Som-
mer hier, und jeder ist draußen zu Fuß und zu Pferde.
Man kann die Leute in den Gärten sitzen und auf den
Terrassen der Cafes ihren Kaffee oder ihr Bier außer-
halb der vier Wände trinken sehen. Ich glaube, daß
dieses warme Wetter auch bald zu Euch kommen wird.
Mit herzlichen Grüßen an Alix und an die Kinder und
vielen Dank für Deine liebe Gabe verbleibe ich
Dein ergebener und wohlgesinnter Freund und Vetter
Willy.
10 145
Neues Palais, 14. VI. 1906.
Liebster Niki!
Aufrichtigen Dank für Deinen freundlichen Brief,
den mir Tatischeff überbrachte, und den zweiten, den
mir Wladimir heute übergab. Mein volles Mitgefühl
mit Dir in diesen schwierigen Zeiten. Der beste Weg,
über die Sorgen und Kümmernisse, welcRe die Lage
Dir daheim bereitet, hinwegzukommen, ist, wie Du es
tust, sich mit seinen schönen Gardetruppen zu beschäf-
tigen, sie zu inspizieren und mit ihnen zu sprechen. Es
macht Dir Vergnügen und befriedigt die Truppen, die
zweifellos in schwierigen Augenblicken das Interesse,
das Du ihnen entgegenbringst, anerkennen und sich als
eine ergebene, vertrauenswürdige und tapfere Waffe
in der Hand ihres Herrschers bewähren. Es freut mich,
daß Deine Husaren Dich zufriedenstellen, der Du ja
in ihren Reihen dienst. Es geht Dir genau wie mir,
auch ich habe eine Neigung für meine Gardehusaren,
die ich eine Zeitlang kommandierte. Ich sah sie gestern
wieder, bevor die Garde-Kavallerie-Division ins Manö-
ver zog. Es fiel sehr befriedigend aus, aber endete wie
alle Inspektionen in diesem Jahre mit einem schweren
Regenschauer.
Ich bin ganz Deiner Meinung über die anarchistische
Frage. Der Angriff war feige und unfreundlich. Die
Schwierigkeit, mit diesem Abschaum der Menschheit
fertig zu werden, liegt, wie Du richtig bemerkst, darin,
daß in einigen Ländern, vor allem in England, diese
Bestien ungestört leben und hier gegen das Leben
irgendeines Menschen sich verschwören dürfen. Ich
höre, daß der spanische Premierminister den Prinz von
Wales gebeten hat. Seiner Majestät dem König Edu-
ard VII. den Wunsch der spanischen Nation auszu-
146
drücken, daß es notwendig erscheint, seine Regierung
zu veranlassen, sich den kontinentalen Mächten bei der
ernstlichen Unterdrückung dieser Mördersekten anzu-
schHeßen.
Diese Begebenheit zeigt, daß die von unsern beiden
Regierungen über die Kontrolle dieser Burschen ge-
troffenen Vereinbarungen völlig mißlungen sind. Da
sie absolut straflos in London leben können, bringen
sie dort ihre mörderischen Pläne zur Reife. Der richtige
Platz für diese Freunde ist das Schafott, manchmal auch
die Einsperrung auf Lebenszeit in ein Irrenhaus. Alle
Kontinentalmächte sollten eir.e gemeinsame Einladung
nach London schicken, um die englische Regierung zu
bitten, sich ihnen in einer internationalen Verständigung
anzuschheßen, um diese Bestie i zu bekämpfen. Ich
sollte meinen, es wäre durch ei:.e gemeinsame Über-
einkunft möglich, zur Verteidigung des Lebens und
der Kultur durch ein Gesetz die Fabrikation von Spreng-
stoff zur Füllung und zum Gebrauch von Bomben bei
Todesstrafe zu verbieten. — Die Duma schafft sehr
schwierige Situationen für Deine Regierung, und die
Zeitumstände sind sehr kritisch. Aber man muß hoffen,
daß in Bälde beide Mittel und Wege finden werden,
um zu einem vernünftigen Modus vivendi zu kommen,
so da'ß positive Arbeit zur Wohlfahrt des Landes ge-
leistet werden kann. Wie ich erwartete, fiel Deine Wahl
auf Iswolskyi, der Dich sicherlich zufriedenstellen wird,
und der als ein sehr kluger Mann leicht den Gang der
russischen äußeren Politik nach den friedlichen Richt-
linien ganz gemäß' Deinen Wünschen leiten wird. Er
gab Schön eine sehr verständige Antwort in der Bag-
dadbahnfrage, so daß, wie ich hoffe, meine Regierung
* Zum Minister des Äußeren ernannt.
10* 147
imstande sein wird, mit ihm weiter auf der Grundlage
gegenseitigen Vertrauens zu arbeiten, das sich aus der
Gemeinsamkeit der Interessen ergibt. Unsere Interes-
sen an der Bahn sind rein wirtschafthcher und kommer-
zieller Natur für die Wohlfahrt der Menschheit. Es
handelt sich um eine völlig gesetzliche Konzession an
eine deutsche Gesellschaft, welche die Bahn erbaut und
betreibt. Ich kann mir wohl denken, daß die Engländer,
wie Du sagst, um Dich in Asien herumwedeln, aber da
Du Dich entschlossen hast, ruhig ihre Vorschläge abzu-
warten, bin ich sicher, daß, wenn ihre Angebote be-
treffs Zentralasiens Dir annehmbar erscheinen, eine Ver-
ständigung mit ihnen manche Reibungs- und Konflikts-
stoffe beseitigen würde, was auch mir eine Genug-
tuung wäre.
Zweifellos wird jeder verstehen, daß der von der
englischen Flotte gewählte Augenblick, um ihren selbst
angebotenen Besuch abzustatten, äußerst störend und
ungelegen für Dich und Dein Land kommt. Ich bin
überzeugt, wie empört Du darüber bist, genau wie ich
es im vergangenen Jahre über den uns abgestatteten
Besuch war. Man will sicher damit versuchen, das
Rückgrat Deiner ultraliberalen Partei zu stärken. Die
Flotte hat bei ihrer Rückreise ihren Besuch in Pillau
und Travemünde angezeigt. Ich werde sehr wachsam
auf sie sein.
Ganz wie Du, sehe auch ich mit großer Freude un-
serer Begegnung Ende Sommer entgegen. Ich werde
in den ersten Tagen des August ^neuen Stiles nach der
Ostsee zurückkehren, wenn das Wetter gut ist, nach der
Reede von Heringsdorf auf der Höhe von Swinemünde.
Die Stelle ist sehr günstig und die Verbindung mit der
Küste für An-Land-Gehen viel leichter als in Heia.
148
Der liebe alte Kaiser Franz Joseph, den ich vor
kurzem besuchte, war noch verhältnism^äßig rüstig, ob-
wohl das Alter ihn etwas gebeugt hat. Er war auch
sehr unwillig über die Haltung seines Parlaments. Die
Stunden, die ich mit ihm verbrachte, waren bei seiner
warmherzigen Freundlichkeit und Ritterlichkeit sehr
angenehm. Ich besuchte ein sehr interessantes, altes,
wiederhergestelltes Schloß, Franzenstein, das dem be-
rühmten Forscher Graf Wilczeck gehört. Es ist ein
Wunder gotischer Architektur, und seine Einrichtung
aus dem 13. bis 15. Jahrhundert ist sehr harmonisch
und lehrreich.
Tatischeff wird Dir von meiner Truppeninspektion
während des FrühHngs und den Manövern meiner zwei-
ten Brigade berichten, welche das neue „Regiment^'
zum ersten Male zeigte, wie auch von den Evolutionen
der Garde-Kavallerie-Division unter meinem Komman-
do, was alles ausgezeichnet auslief. Wladimir war hier
und gab mir Deine freundUchen Zeilen, die mich als
den Oberst des Wiborgregiments sehr stolz gemacht
haben. Ich danke Dir nochmals für Deine große
Freundlichkeit, die Du ihnen bewiesest, und die Ehre,
die Du ihnen durch Deine Besichtigung gabst. Sie
haben es wohl verdient, da sie sich tapfer benommen
haben. Wladimir begleitete uns zu einer großen Vieh-
schau in der Nähe von Berlin und schien sehr belustigt
über die Produktion der preisgekrönten Kühe, Bullen,
Schweine, Pferde, die einen großen Spektakel machten.
Tausende von Bauern und kleinen Eigentümern jubel-
ten uns in loyaler Ergebenheit zu. Der erstaunlichste
Fortschritt zeigte sich in den Gruppen Elektrizitäts-
und Spiritusgasmotoren für landwirtschaftliche Zwecke.
Nun lebe wohl, Hebster Niki, Gott schütze und behüte
149
Dich. Herzliche Grüße an Alix, auf Wiedersehen in
Swinemünde, wo wir eine lustige Gesellschaft sein
wollen.
Dein immer wohlgesinnter Freund und Vetter
Willy.
Pillau, 27. VII. 1906.
Liebster Niki!
In dem Augenblick, wo ich die Küste meines Landes
erreiche, ergreife ich die erste Gelegenheit, Dir eine
Zeile zu senden und Dir nochmals für die liebens-
würdige Aufnahme zu danken und für die Freundlich-
keit, die Du mir bewiesen hast. Die Stunden, die ich
in Deiner Gesellschaft verbringen durfte, sind immer
meinem Gedächtnis eingeprägt. Du warst zu mir wie
ein lieber Bruder, ich werde immer mit der gleichen
Wärme und gleichen Stärke Dein Gefühl erwidern, und
Du kannst auf mich als einen sicheren Freund rechnen,
der nur den einzigen Wunsch und die Hoffnung hat,
Dich glücklich bei Deiner schweren Arbeit zu sehen,
und der möchte, daß Dein Land sich bald wieder erholt.
Das Bündnis zur gegenseitigen Hilfe im Falle der Not,
das wir geschlossen haben, wird für Rußland sehr
vorteilhaft sein, da es sich ruhig unter den Augen der
Völker und im Vertrauen auf die Aufrechterhaltung
des europäischen Friedens wieder herstellen wird und
die Finanzkreise in fremden Ländern ermutigen kann,
in Unternehmungen, die Rußland und seine weiten
Wohlstandsquellen, die noch unberührt sind, erschlie-
ßen sollen, Kapital zu investieren. In kommenden
Zeiten wird vielleicht möglicherweise selbst Japan ge-
neigt sein, sich dabei zu beteiligen. Dies würde das
150
englische Selbstgefühl und seine Frechheit wesentlich
abkühlen, da es nur allzu sehr sein Alliierter ist. Der
24. JuH 1905^ ist ein Markstein in der europäischen Po-
litik und schlägt ein neues Blatt in der Geschichte der
Welt auf, das ein Kapitel des Friedens und des Einver-
ständnisses unter den Großmächten des europäischen
Kontinents sein möge, die sich untereinander in Freund-
schaft, Vertrauen und in der Befolgung der allgemeinen
Politik auf den Bahnen einer Gemeinsamkeit der Inter-
essen bewegen mögen. Im Augenblick werden die
Nachrichten der neuen Gruppierung der Welt bekannt
geworden sein. Die kleineren Nationen Holland, Bel-
gien, Dänemark, Schweden, Norwegen werden alle zu
diesem einen Schwerkraftzentrum hingezogen werden,
ganz nach dem Naturgesetz von der Anziehung klei-
nerer Körper durch die größeren und kompakteren.
Sie werden sich im Kreis um den großen Block der
Mächte Rußland, Deutschland, Frankreich, Österreich,
Italien drehen und das Vertrauen zu dieser Anlehnung
haben. Die Doppelallianz, verbunden mit der Tripel-
alhanz ergibt eine Quintupelallianz, die wohl imstande
sein wird, alle unbotmäßigen Nachbarn in Ruhe zu
halten und selbst mit Gewalt ihnen den Frieden auf-
erlegen, wenn eine Macht so hirnverbrannt sein sollte,
ihn zu stören. In der Unterhaltung mit dem ausge-
zeichneten Birilew- — Du hast wirklich eine Kapitalwahl
mit ihm getroffen — erwähnte ich, daß, wenn Du ein-
mal Dich für Deine Schiffstypen entschieden hast. Du
soviel wie möglich gleichzeitig von ihnen bauen und
nicht dabei die deutschen Privatwerften neben den
1 Zusammenkunft des Kaisers mit dem Zaren in den finni-
schen Gewässern bei Björkö.
^ Russischer Marineminister.
151
französischen vergessen solltest, da die deutschen
Werften für ihr eigenes Land arbeiten würden, wäh-
rend andere Mächte von den Geheimnissen Deiner
Baumeister und Ingenieure gegen Dich selbst und Dein
Land Gebrauch machen würden. — Zwischen Björkö
und Hochland begegnete ich meinem Kreuzer, der aus
Schweden ungeschoren und ungewaschen und beinahe
schwarz wie ein Schornstein kam, ein trauriges Bild
des Leides, das ihm der Rauch des Torpedoboots auf-
tat. Ich erhielt einige französische Zeitungen, in denen
ich einen Rückblick auf die Festlichkeiten in Brest ge-
lesen habe. Es sind nun schon zwölf Jahre her, daß wir
Toulon und Kronstadt^ hatten. Es war eine Ehe . . .
wie bei allen Liebesehen ist eine allgemeine Enttäu-
schung, namentlich seit dem Kriege 1904/05, einge-
treten. Jetzt haben wir Brest und Cowes, das ist eine
Geschäftsehe, und wie bei allen Geschäftsehen wird
daraus eine „Vernunftehe^^ Ich denke wirklich kühl,
für einen Verbündeten, über seine „Freundin und Alli-
ierte". Es würde den Franzosen gut tun, wenn Du die
Zügel ein wenig fester ziehen würdest. Ihre 10 Mil-
liarden Francs, die sie in Rußland investiert haben,
hindern sie natürlich, ganz abzufallen, aber die Sprache
zeigt, bis zu welchem Grad die engUschen Schmei-
cheleien schon die Franzosen gebracht haben. Hoffent-
lich werden sie nicht ganz aus ihrem Häuschen in
Cowes gehen. Um die Metapher „Mariage" gegen
„Marianne" (Frankreich) zu gebrauchen, muß man
doch daran denken, daß sie mit Dir verheiratet ist,
1 Zustandekommen der formulierten Entente zwischen Frank-
reich und Rußland. Bei dem Besuch des Admirals Gervais in Kron-
stadt 1891 hört der Zar stehend die Marseillaise an, trinkt aut
das Wohl des französischen Präsidenten. Depeschenaustausch
zwischen Alexander III. und Carnot.
152
und daß sie mit Dir im Bett liegen muß, um gelegent-
lich eine Umarmung oder dann und wann einen Kuß
mir zu geben, aber nicht in das Schlafzimmer des ewig
intrigierenden Touche-ä-tout auf der Insel schleichen
darf. Nun lebe wohl, mein liebster Niki! Vergiß
nicht die Magna Charta (Habeas-Corpus-Akte) und
die Belohnung für Dein prachtvolles Frontheer, d^s Du
auf eine gleiche Stufe mit der Garde stellen mußt.
Du versprachst es mir. Denke nicht an den Galgen-
humor von Wladiwostok, oder an die Meuterei der
Garde, erinnere Dich an die 10 Armeekorps auf dem
Felde, die für Dich bluten, und an alle in den Pro-
vinzen daheim, die täglich für Dich gegen die Revo-
lution kämpfen. Herzlichen Gruß an Alix
Dein sehr ergebener Freund
Willy.
P. S. : Wie Du mir erzählst, hat Boulygine bereits
einen Gesetzentwurf nach Deiner Direktive ausgearbei-
tet, der den Ansichten entspricht, von denen ich Dir
sprach. Es würde meiner Meinung nach dringend sein,
daß ergleichaufeinmalveröffentlichtwird,
und daß die Mitglieder sobald als möglich er-
wählt werden, damit, wenn die Friedensbedingungen
Dir unterbreitet werden. Du sie dem russischen
Volk mitteilen kannst, das die Verantwortlichkeit ihrer
Annahme oder Ablehnung tragen müßte. Dies würde
Dich vor einem allgemeinen Angriff auf Deine Politik
schützen, der von allen Seiten her kommen würde,
wenn Du es allein tätest.
153
7. XI. 1907.
Liebster Niki!
Hintzei ist im Begriff, abzureisen, und dies gibt mir
die günstige Gelegenheit, Dir diese Zeilen zu senden.
Meine Wünsche begleiten Dich in das neue Jahr. Möge
Deine stetige Arbeit für Dein Land und die Wohlfahrt
Deines Volkes Erfolg haben und die durch die Diskus-
sion erhitzten und durch unverantwortliche Aktionl
mißleiteten Gemüter zu beruhigen. Ich hoffe weiter,
daß, wenn weisere Ratgeber unter Deinen Untertanen
die Oberhand gewinnen und sie sich selbst im Zaum
halten, wir uns auf der See irgendwo treffen können,
und daß Heinrich dann glücklich sein wird. Dir die
Flotte, die unter Deiner Flagge steht, zu zeigen. Ich
denke. Du wirst sicher in ihrer Entwicklung seit dem
Jahre IQOl bei Danzig einen Fortschritt herausfinden,
nachdem die alten Schiffstypen sich verringert haben
und neue hinzugekommen sind, so daß die ganze Flotte
einen einheitlicheren Charakter trägt. Mit herzlichem
Gruß an Alix und die Kinder, deren Bilder mich unge-
heuer gefreut haben, namentlich das des Knaben, und
mit dem Wunsch, daß Gott Dich segnen möge, ver-
bleibe ich
Dein wohlgesinnter Vetter und Freund
Willy.
28. XII. 1907.
Liebster Niki!
Meine herzlichsten und wärmsten Wünsche für das
Jahr 1908. Gott segne und beschütze Dich, Alix und die
^ Damals deutscher Marine-Attache in Petersburg, später Ge-
sandter in Christiania, seit Juli 1918 Staatssekretär des Auswärtigen.
154
Kinder und bewahre mir die Hoffnung, das V^ergniigen
zu haben, Dich wieder einmal zu sehen. Durch meinen
Besuch in England denke ich, eine Reihe von Mißver-
ständnissen und Mißtrauen behoben zu haben, so daß
die Luft gereinigt ist und der Druck auf dem Sicher-
heitsventil sich verringert hat. Eine ganz ^private
und vertrauliche Nachricht für Dich
allein. Ich fand das englische Volk sehr nervös be-
zügHch der Japaner^, vor denen man Furcht und Miß-
trauen zu bekommen beginnt. Die Fahrt der amerika-
nischen Stillen-Ozean-Flotte hat in London größten
Ärger hervorgerufen, da man alles nur Erdenkliche ver-
suchte, um es zu verhindern. London ist vor einem
Übereinkommen zwischen Amerika und Japan bange,
da man sich auf eine Partei von beiden stellen muß,
und da es eine Frage der Rassen, nicht der Politik ist,
und es sich nur um Gelb gegen Weiß handeln kann.
Das Fallenlassen Japans würde unverzüglich den Ver-
lust von Indien zur Folge haben, das die Japaner ganz
ruhig unterminieren und revolutionieren usw. Die
Japaner haben diese Entwicklung vorausgesehen und
bereiten sich darauf vor. Vielleicht werden sie
zuerst Indien angreifen und die PhiUppinen isolieren.
Die britischen Marine- und Seeoffiziere sprechen offen
zu meinen Offizieren über ihren Widerwillen gegen
die „Gelbe'^ Allianz mit Japan, das sie hassen. Bei
diesem Stimmungszustande urteile, welchen Eindruck
die vor einigen Tagen gehaltene Rede Graf Okumas^
gemacht hat! Die Wirkung ist, als ob eine Bombe
1 Japan und Rußland hatten sich wieder versöhnt. (Verein-
barungen über die Mandschurei.)
' Einflußreichster japanischer Politiker seiner Zeit, wiederholt
Minister des Äußeren.
155
aus Shimosa in London eingeschlagen hätte. Nun haben
ihre Zeitungen zum ersten Male den Eindruck „Gelbe
Gefahr'^ gehabt, nach meinem Bilde, das wirklich
zur Wahrheit wird. Ein deutscher Herr, der kürzlich
aus Mexiko zurückkam, berichtete mir, daß er selbst
10 000 Japaner in den Pflanzungen von Südmexiko
gezählt habe, alle in Militäruniform mit Messing-
knöpfen. Nach der Arbeit bei Sonnenuntergang ver-
sammelten sie sich alle unter ihren Sergeanten und
Offizieren, die sich wie einfache Arbeiter verkleidet
hatten, in Rotten und Schwadronen und üben und
exerzieren mit Holzstäben, was er oft beobachtet hat,
wenn sie sich unbeobachtet fühlten. Es sind japanische
Reservisten, welche Waffen bei sich versteckt haben
und beabsichtigen, als ein Armeekorps den Panama-
kanal anzugreifen und die Landverbindung mit Amerika
abzuschneiden. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß Eng-
land ein Geschwader nach dem Pazifik aussenden
muß, was man aber nur sehr ungern tut. Inzwischen
haben amerikanische und englische Journalisten ein
kleines freundliches Nasenpflücken miteinander, was
die Nerv^osität der Londoner Presse zeigt. Dies ist
meine geheime Information für Dich allein, so
daß Du Zeit hast und Dich für Deine Pläne vorbereiten
kannst. Es ist eine sichere Information und gut, wie
Du jetzt wohl w^eißt, daß ich Dir niemals eine verkehrte
gab. Der Hauptpunkt ist, Augen offen zu halten und
vorbereitet zu sein. Die Entwicklung kann langsam
gehen, doch können unvorhergesehene Zwischenfälle
einen unerwarteten und plötzlichen Ausbruch hervor-
rufen, bevor die Frage reif ist, wie es sich bisweilen
ereignet. Es ist erstaunlich, zu beachten, wie ^ut die
Japaner sich für ein Ereignis vorbereiten. Sie gehen
156
in ganz Asien vor, bereiten sorgfältig ihre Agitation^
gegen die weiße Rasse im allgemeinen vor.
Denke an mein Gemälde, es wird zur Wahrheit! Wenn
Frankreich mit England in dieser Angelegenheit zu-
sammengeht, sind Saigon und Annam gewesen.
Willy.
Wilhelmshöhe, 8. VIII. 1908.
Liebster Niki!
Willst Du so hebenswürdig sein, gnädigst die ersten
Abzüge meiner Photographie in der neuen russischen
Uniform anzunehmen? Sie sind noch nicht veröffent-
licht worden, und ich hoffe, Dein prüfendes Auge wird
einige Fehler in der Ausführung finden. Onkel Bertie
war ganz Sonnenschein in Cronberg, in sehr guter
Laune. Er beabsichtigt, offiziell Berlin mit Tante Alix im
nächsten Jahr zu besuchen. Der Zeitpunkt wird noch
festgesetzt. Er sprach auch über die Türkei ^ und gab
zu verstehen, daß man sie am besten allein lassen
müsse, sich selbst zu organisieren und Mazedonien
selbst zu reformieren, so daß die Mächte imstande
wären, im Augenbhck die projektierten Reformen fallen
zu lassen, was ihn sichtlich zu beruhigen scheint. Ich
hoffe, daß Deine Reise von gutem Wetter begünstigt
ist, während wir hier unaufhörlichen Regenfall haben.
HerzHche Grüße an AHx
Dein immer wohlgesinnter Vetter und Freund
Willy.
1 Türkische Revolution Mitte Juli 1908. Herrschaft der Jung-
türken. Sie haben zunächst das Vertrauen der Westmächte, wes-
halb man ihnen selbst die Reformen in Mazedonien überläßt.
157
Hubertusstock, 8. I. 1909.
Lieber Niki!
Herzlichen Dank für Deinen freundlichen Brief vom
25. Dezember, den Du mir durch Tatischeff sandtest.
Ich war sehr erfreut, von Dir zu hören, und meine Frau
und ich danken Dir aufrichtig für Deine freundlichen
Wünsche zum neuen Jahr. Du hast ganz recht mit Deinen
Worten, daß das alte Jahr ein ereignisreiches^ war.
Die Annexion von Bosnien und der Herzegowina ^ war
eine doppelte Überraschung für jeden, aber besonders
für uns, da wir über die Absichten Österreichs sogar
noch später als Du in Kenntnis gesetzt worden waren.
Ich halte es für meine Pflicht, Deine Aufmerksamkeit
hierauf zu lenken, aus der Erwägung heraus, daß
Deutschland angeklagt worden ist, Österreich zu diesem
Schritt aufgeputscht zu haben. Diese Anschuldigung*
ist eine widersinnige und ebenso unwahr, wie es in
dem Falle mit der Sandjakeisenbahn^ war. Ich ent-
nehme mit Freude aus Deinem Brief, daß das Volk in
Rußland dies jetzt zu erfassen beginnt.
Tatsache ist es, daß Österreich diesen Schritt, ohne
uns vorher zu Rate zu ziehen, unternommen hat.
1 Rußland hatte in einer Note vom 24. III. 08 an Osterreich
das Mürzstegprogramm von 1903 für erloschen erklärt und
ein neues Reformprogramm für Mazedonien aufgestellt. Es fol-
gen Zusammenkünfte der Staatsoberhäupter: Fallieres in Lon-
don, Nikolaus II. und Eduard VII. in Reval 25.-26. Mai 1908.
Wachsendes Einvernehmen zwischen England und Rußland.
Im August zweite Revaler Begegnung Nikolaus' II. mit Fallieres.
2 5. Oktober 1908.
3 Im Januar 1908 hatte Graf Ährental die Absicht Öster-
reichs kundgetan, durch das Sandschak von Novibasar eine
Eisenbahn zu bauen, die eine direkte Verbindung zwischen
Graz und Saloniki hergestellt hätte.
158
Daß wir dem Lauf der Dinge als Alliierte ohne Zögern
folgen mußten, stand außer aller Frage. Wir konnten
nicht mit seinen Gegnern rechnen. Du wirst der erste
sein, um unser loyales Verhalten zu billigen.
Aber dies besagt nicht, daß wir unsere alten freund-
schaftlichen Beziehungen zu Rußland abzubrechen beab-
sichtigen. Ich selbst bin fester als je davon überzeugt,
daß Deutschland und Rußland wie nur irgend möglich
zusammen vereinigt sein müssen. Diese Vereinigung
würde ein mächtiges Bollwerk für die Aufrechterhal-
tung des Friedens und der monarchischen Institutionen
bedeuten. Du kennst meine Ansichten in dieser Rich-
tung. Daß meine Freundschaft aufrichtig und ehrlich
ist, habe ich Dir durch Taten beweisen können, als
während der Zeit der Widerwärtigkeit, durch die Ruß-
land neuerdings hindurchgegangen ist, ich schwere
Verantwortung auf mich für Deine Sache genommen
habe.
Wenn ich die freundlichen Beziehungen zwischen
unsern beiden Ländern abwäge, so halte ich es vor
allem für das wichtigste, daß alles, was auch immer
sie kränken möge, aus dem Wege geräumt wird. Du
bist, wie ich hoffe, gewohnt, das, was ich Dir erzähle,
als ganz offen, wie ich in dieser Hinsicht denke, anzu-
sehen. Kürzlich stellte man es so dar, als ob wir
Dein Übereinkommen mit England betreffs Asiens ^
übel aufgenommen hätten und damit unzufrieden wären.
Dieselben Gerüchte sind über den Besuch, den Onkel
Bertie Dir in Reval abstattete, in Umlauf gebracht
worden. Alles Unsinn! Wir verstehen voll und ganz,
daß Rußland im Augenblick es vermeiden muß, einen
' Abkommen Englands mit Rußland über Persien, Tibet,
Afghanistan.
159
Konflikt mit England zu bekommen, und daß aus die-
sem Grunde es sich beugt, um einige tatsächliche
Streitfragen sanft hinvvegzuglätten.
Abgesehen davon, hast Du mir wiederholt die aus-
drückliche Versicherung gegeben, daß Du nicht in ein
Übereinkommen von mehr als allgemeiner Natur ein-
treten wirst. Ich habe Dein Wort, was brauche ich
sonst noch? Wir sind ebenso eifrig wie Du, unsere
Beziehungen zu England zu verbessern. Ich sehe dem
Besuch, den Onkel Bertie mir im nächsten Monat in
Berlin abstatten wird, entgegen, nicht nur, weil ich
mich darüber freue, ihn und Tante Alix wieder einmal
hier zu haben, sondern auch, weil ich erwarte, daß
dieser Besuch nützliche Ergebnisse für den Frieden
der Welt haben wird.
Nun, mein lieber Niki, weder Deine Verabredung
mit England betreffs Zentralasiens, noch Deine Zu-
sammenkunft in Reval hat irgendwelche Besorgnis
oder Verstimmung in Deutschland hervorgerufen. Die
Ursache ist eine ganz andere. Es ist eine offene Tat-
sache, daß seit den letzten beiden Jahren die russische
Politik sich schrittweise mehr und mehr von uns
zurückzieht und sich immer enger zu einer Kombi-
nation mit den uns unfreundlich gesinnten Mächten
entwickelt. Diese Tripelentente zwischen Frankreich,
Rußland und England wird von der ganzen Welt als
eine vollendete Tatsache ausgegeben. Englische und
französische Zeitungen lassen keine Gelegenheit vorbei
gehen, um darzustellen, daß die Tripelentente direkt
gegen Deutschland gerichtet ist, und nur zu oft stimmt
die russische Presse mit in den Chorus ein. Anderer-
seits zeigte sich in manchen Fällen der jüngsten rus-
sischen Politik ein Mißtrauen gegen Deutschland, z. B.
160
in Persien und China, ein Mißtrauen, das völlig unbe-
rechtigt war. Wie bei andern Fragen, an denen wir
interessiert sind, so z. B. in der Bagdadeisenbahnfrage,
wo wir erwarteten, auf Rußland zählen zu können, ließ
es uns in seiner Politik einen weiten Spielraum. Ist es
daher überraschend, daß eine gewisse Entfremdung
zwischen beiden Ländern entstanden ist?
Ich brauche Dir nicht zu versichern, daß alle diese
Fragen mich sehr schwer treffen, und ich halte es für
meine PfHcht, Deine Aufmerksamkeit auf die Lage zu
lenken, wie sie wirklich ist, und auf die Gründe, welche
dazu führen, bevor es zu spät ist.
Die Tendenz der russischen Politik, die Anlehnung
an England und Frankreich vorzuziehen, trat besonders
in der gegenwärtigen Krisis hervor. Deine Regierung
trat an meine bezügHch der bosnischen Frage heran,
erst nachdem ein Programm für eine beabsichtigte Kon-
ferenz aufgestellt und in Paris und London genehmigt
worden war. Dies Programm wurde in der französi-
schen Presse veröffentHcht, bevor wir uns beide
verständigt hatten. Französische Zeitungen, so gut wie
englische und russische, stimmten einen jubilierenden
Chorus über diesen Abschluß der neuen Tripelentente
an. Wie die Dinge standen, als Iswolsky nach Berlin
kam, hatte meine Regierung keine freie Wahl, sondern
mußte strikteste Zurückhaltung hinsichtlich mehrerer
wichtiger Punkte üben, die einen Teil der russischen
Wünsche bildeten. Wir konnten unsern Alliierten nicht
drängen, einem Programm zuzustimmen, von dem wir
wußten, daß er es nicht annehmen würde, ganz abge-
sehen von der Erwägung, daß dieses Programm ganz
ohne uns aufgestellt worden war. Unsere Mitarbeit war
in einer Weise aufgehoben, daß die außenstehende Welt
11 161
es als eine beabsichtigte Demonstration beurteilte. Wäre
ein anderer Kurs eingeschlagen worden, so hätten wir
Deiner Regierung raten können, dieses Programm
nicht vom Stapel zu lassen. Wir hätten vorläufige
vertrauliche Unterhandlungen zwischen den Kabinetten
vorgeschlagen, da solche Unterhandlungen uns mehr
als eine Gelegenheit gegeben hätten, Rußland wertvolle
Dienste zu leisten. Hätte Rußland uns zur rechten Zeit
um Rat gefragt, so würden die Dinge nicht in die
furchtbare Verwirrung gekommen sein, in der sie sich
jetzt befinden, noch auch in ein so kritisches Sta-
dium. Unter gegenwärtigen Umständen sehe ich nicht
ganz klar, was ich tun könnte, außer Worten der Mäßi-
gung beiden Parteien zu geben, was ich bereits getan
habe. Ich halte es auch für meine Pflicht, Dir ganz
offen zu sagen, daß ich unter dem Eindruck stehe,
daß Deine Ansichten über Österreichs Absichten zu
pessimistisch sind, und daß Du überängstlich bist,
mehr als es nötig ist. Wir hier haben auf jeden Fall
nicht die leisesten Zweifel, daß Österreich nicht beab-
sichtigt, Serbien anzugreifen. Dies würde Kaiser Franz
Joseph nicht ähnlich sehen, der ein weiser und gerech-
ter und wirklich wahrhaftiger Mann ist. Wir glauben
auch nicht, daß Ährental derartige Pläne in seinem
Innern hegt. Natürlich müssen die kleinen Balkan-
staaten klug und loyal sein und alle Herausforderung
vermeiden und mit ihren kriegerischen Vorbereitungen
haltmachen. Diese kleinen Staaten sind ein schreck-
licher Schaden. Quantites negligeables ! Aber die lei-
seste Ermunterung von irgendeiner Seite macht sie
wahnsinnig. Die Reden, die in der Skupschtina am
2. d. M. gehalten wurden, haben infolge ihrer revolu-
tionären Tendenz einen sehr schlechten Eindruck auf
162
mich gemacht. Vor sechs Jahren wurde dieses Icleine
Volk mit Widerwillen und Abscheu von der ganzen
Welt als Mörder seines Königs betrachtet.
Ich hoffe von ganzem Herzen, daß ungeachtet der
zahlreichen und ernsten Schwierigkeiten, die zu über-
winden sein werden, eine friedliche Lösung erreicht
wird. Alles, was ich in dieser Richtung tun kann, wird
sicherlich geschehen. Nimm mein Wort darauf.
Hintze wird Dir diesen Brief überbringen; hoffent-
lich findet er Euch alle munter und gesund, wozu ich
noch wünsche, daß der Herr Euch Frieden, Gedeihen
und Glück im neuen Jahre geben möge.
Viktoria und ich senden herzliche Grüße an Alix und
freuen uns, daß mein Weihnachtsgeschenk ein Erfolg
war. Lebe wohl, mein lieber Niki,
Dein wahrer und ergebener Freund und Vetter
Willy.
Neues Palais, 3. IV. 1909.
Liebster Niki!
Willst Du freundlich für Dich und die liebe Alix
unsere Gabe als Zeichen unverminderter Liebe und
Freundschaft annehmen? Das eine mit dem griechi-
schen Portikus und dem Springbrunnen stellt einen
Teil von Charlottenburg dar, das in dem Garten von
Pet'erhof kopiert wurde, und ist für Alix bestimmt.
Der runde Tempel ist der Freundschaftstempel, der
von Friedrich dem Großen im Park von Sanssouci ge-
baut wurde, und allen großen historischen Menschen-
paaren, die ihre Freundschaft standhaft bis zum Tode
hielten und für sie starben, geweiht wurde. Dies mag
Dir ein Symbol unserer nahen Beziehungen zueinander,
„* 163
wie ich sie auffasse, sein. Ostern steht jetzt vor der Tür,
und daher möchte ich Dir noch einmal aufrichtig für
die loyale und edle Art, in der Du freundlich in den
■Weg einleitetest, den Frieden ^ bewahren zu helfen,
danken. Es ist der Dank für Deine hochgesinnte und
selbstlose Initiative, daß Europa von den Schrecken
eines allgemeinen Krieges verschont geblieben ist, und
daß die heilige Osterwoche von menschlichem Blut
unbesudelt bleiben wird, das sonst vergossen sein
würde. Du magst Deine Ostern mit dem erhabenen
Bewußtsein feiern, daß überall in Europa Tausende
von Familien auf ihren Knien dem Herrn für den
Frieder danken, seinen Segen auf Dein Haupt er-
flehen. Ich beabsichtige, nach Ostern nach Corfu zu
reisen und über Venedig dorthin zu fahren. Ich
wünschte, ich könnte Dir diesen lieblichen Ort zeigen,
ein kleines Paradies auf Erden, keine Touristen und
leicht von der See direkt zu erreichen. Ein glück-
liches Osterfest mit besten Wünschen an Alix und
den Knaben verbleibe ich
Dein wohlgesinnter Freund
Willy.
P.S. Auf meiner Heimreise werde ich wahrschein-
lich Onkel Artur auf Malta besuchen.
Corfu, 8. V. 1909.
Mein liebster Niki!
Da Hintze zu Deinem Geburtstag heimkehrt, ergreife
ich froh die gute Gelegenheit, Dir diese Zeilen zu
'~ ^ Rußland, das noch unter den Folgen des japanischen Krie-
ges und der Revolution, litt, hatte sich nach längerem Sträuben
die vertragswidrige Annexion von Bosnien und der Herzego-
wina durch Österreich-Ungarn kompensationslos gefallen lassen.
164
senden. Von meinem ganzen Herzen wünsche ich
Dir noch manche glückUche Wiederkehr dieses Tages.
Möge der Himmel Dich, Dein Weib und Kind segnen
und beschützen. Mögest Du glückhch in Deiner Arbeit
für Dein Land und für die Wohlfahrt Deines Volkes
sein.
Vor wenigen Wochen, als die Dinge gefährlich zu
werden drohten, hat Deine weise und entschlossene
Entscheidung den Frieden allen Völkern gesichert.
Ich war sehr befriedigt darüber, daß Du durch meine
helfende Mitwirkung Deine Aufgabe erfüllen konntest.
Ich erwartete natüriich, daß Du und ich allgemeinen
Beifall finden würden, und ich wage zu denken, daß
wir die Dankbarkeit aller wohlgesinnten Leute ge-
erntet haben. Aber zu imeinem Bedauern und Er-
staunen hat die Presse im allgemeinen in niedrigster
Art und Weise gegen mich gearbeitet. Nach einigen
Zeitungen sollte ich der Anstifter zu Annexionen sein,
und man beschuldigte mich unter anderem Gefasel
und Unsinn, daß ich Rußland durch meine Friedens-
vorschläge erniedrigt habe. Du weißt es natürlich besser,
doch muß dem Rechnung getragen werden, daß die
Zeitungen meist erst die öffentliche Meinung schaffen.
Einige von ihnen irren infolge ihrer Unkenntnis und
aus Mangel an richtiger Information, sie sehen kaum
weiter als auf Nasenlänge. Aber gefährhcher und gleich-
zeitig verabscheuungswerter ist jener Teil der Presse,
der das schreibt, wofür er bezahlt wird. Die Schurken,
welche so schmutzige Arbeit leisten, fürchten nicht
unterzugehen. Sie werden immer fortfahren, eine
Nation zu Feindseligkeit gegen die andere auf-
zustacheln, und wenn sie schheßlich durch ihre hölli-
schen Verbrechen den so gewünschten Zusammenstoß
165
herbeigeführt haben, dann sitzen sie ruhig da und
bewachen das Feuer, das sie angezündet haben, vvohl-
versichert, daß der Gewinn der ihrige ist, unbeküm-
mert, wie der Ausgang auch sein möge. Auf diese
Weise ist in 99 von 100 Fällen das, was man ge-
wöhnlich „öffentliche Meinung'* nennt, eine reme
Fälschung.
Als Herrscher, die vor Gott für die Wohlfahrt der
Nationen die Verantwortung tragen, die unserer Sorge
anvertraut sind, haben wir daher die Pflicht, genau
die Entstehung und die Entwicklung der „öffenthchen
Meinung*' zu studieren, bevor wir ihr einen Einfluß
auf unsere Handlungen einräumen. Sollten wir finden,
daß sie ihren Ursprung aus schmutzigen, rinnstein-
artigen Quellen der erwähnten infamen Presse schöpft,
so wird und muß es unsere Pflicht sein, diese Art
öffentliche Meinung zu korrigieren und ihr Wider-
stand zu leisten.
Persönlich stehe ich Zeitungsklatsch völlig teilnahms-
los gegenüber, aber ich kann mich doch eines ge-
wissen Gefühls der Angst nicht enthalten, daß, wenn
nicht einmal entgegnet wird, die schmutzigen und
unflätigen Lügen, die so ungestraft über meine Politik
und mein Land im Umgang sind, dahin gelangen, eine
Verbitterung zwischen unseren beiden Volkern infolge
ihrer ständigen und unwidersprochenen Wiederholung
zu schaffen. Öffentliche Meinung wünscht klare Infor-
maüon und Führung.
Als ich nach Corfu ging, erhoffte ich einen ruhigen
Feiertag, aber auch dies sollte nicht sein. Eine neue
Revolution brach in Konstantinopel ^ aus. Wir armen
^ Die mißglückte Gegenrevolution Abdul Hamids im Februar
1909 und nocn einmal im April 1909, die zur Oetangennahme
Abdul Hamids führte.
166
Herrscher sind scheinbar nicht berechtigt, wie andere
einfache SterbUche unsern Feiertag zu haben. Die
Wirren im Osten machten mich zeitweihg sehr ängst-
Hch, auch heute noch. Der Osten ist ein regelrechter
Nachtalp, eine „Schachtel mit Überraschungen^^ Ich
wäre sehr dankbar, wenn Du mir freundlich Deine
Meinung über die allgemeine Lage in der Türkei
schreiben könntest. Ein Austausch unserer Ansichten
ist dringend notwendig, wenn uns nicht frische Er-
eignisse wiederum überraschen sollen.
Die Ereignisse des letzten halben Jahres sind ein
lebendiger Beweis für die absolute Notwendigkeit, so
zu handeln, da sie klar zeigen, daß es sehr gewinn-
bringend gewesen wäre, wenn wir sofort bei Ausbruch
der Krisis miteinander in Verbindung getreten wären.
Wenn Du und ich, was mein heißester Wunsch ist,
in loyaler und offener Mitarbeit zur Aufrechterhal-
tung des Friedens uns vereinigen, so bin ich voll-
kommen davon überzeugt, daß der Frieden nicht nur
erhalten werden kann, sondern nicht einmal gestört
sein wird. Es ist nicht der Schatten eines Zweifels
daran, daß der Frieden die Lebensinteressen, die Sicher-
heit und Wohlfahrt unserer Völker so gut wie unserer
Dynastien garantiert.
Nimm freundlich als Geburtstagsgabe eine Aquarell-
skizze, die von einem geschickten Corfioter Maler
gemalt ist und das Achilleion, vom Olivenhain am
Fuße des Hügels gesehen, darstellt. Wir verbrachten
eine reizende Zeit hier unter blauem Himmel, von
süßen Wohlgerüchen und dem wunderbaren Aufblühen
zahlreicher Blumen umgeben, und saßen den ganzen
Tag außerhalb des Hauses auf den Marmorterrassen
im Schatten herrlicher Palmbäume. Ich hoffe, daß ich
167
Dir noch einmal dieses Paradies zeigen kann, wenn
einmal Deine Jacht Dich zufälHg ins Mittelmeer führt.
Wir machten zahlreiche reizende Ausflüge per Auto
mit Teapicnic auf das Land, einfach entzückend. Die
Insel ist lieblich, das Volk ruhig, einfach, höflich,
Reisende gibt es hier nicht. Heute verlassen wir es
mit schwerem Herzen auf unserer Rückreise nach
Malta, Brindisi und Tota. Wir sahen oft den König
und die Königin, und ich sah auch zu meiner Freude
oft meine Schwester. Nun lebe wohl, herzlichen Gruß
an AHx und die Kinder, namentlich an meinen Jungen.
Möge Gott Dich segnen und behüten auf Wieder-
sehen und ich verbleibe
Dein immer wohlgesinnter Freund und Vetter
Willy.
Neues Palais, 20. X. 1909.
Liebster Niki!
Da Tatischeff Berlin verläßt, um Dich auf Deiner
Reise durch unser Land zu begleiten, so sende ich
Dir eine kurze Zeile, um Dich zu begrüßen. Möge
Deine Reise vergnüglich und Dein Aufenthalt in
Italien angenehm und vom Wetter so begünstigt sein
wie bei uns. Unsere Manöver liefen sehr gut ab
und waren sehr erfolgreich, wie er Dir berichtet haben
wird. Disziplin und Marschleistungen der Infanterie
waren ausgezeichnet und brillant. Die Gegend war
interessant, aber sehr schwierig, da sie sehr hüglig
und schwach bewaldet ist. Die Feldküchen, die nach
Deinen Modellen kopiert waren, haben sich sehr prak-
tisch erwiesen und fanden sehr reichlichen Zuspruch.
Ein sehr anregendes Bild für die Zuschauer war in den
letzten Tagen der Manöver die Anwesenheit des Zep-
168
pelinluftschiffes, das vom Militärluftschiff begleitet war,
welches um den Zeppelin manöverierte. Mein Jagdauf-
enthalt in Rominten war von so ausnahmsweise schö-
nem Sommerwetter begleitet, wie wir uns dessen seit
längerer Zeit nicht erfreut haben. Ich erlegte 21 Hirsche,
darunter 6 Kapitalhirsche. DasSt.-Johannis-Hospital, das
ich in dem kleinen Grenzstädtchen Kittkehnen, gegen-
über Waschtyner, erbaute, hat sehr gut den Erwartun-
gen entsprochen, und während meines Besuches sah ich
mehrere russische Patienten, die wir dort verpflegen
konnten. Es freut mich, über das neu eingerichtete
Röntgenkabinett, das ich dem Hospital stiftete, zu
hören, daß man dort eine große Anzahl von russischen
Patienten hatte, die dorthin kamen, um durchleuchtet zu
werden, und wir haben eine Menge Gutes damit ge-
tan. Du hast durch Stremankoff, den Gouverneur von
Suwalki, eine Summe gespendet, er kam liebenswürdi-
gerweise herüber und besichtigte auch die Hospitäler,
wofür ich Dich bitte, meinen wärmsten Dank entgegen-
zunehmen. Er folgte meiner Einladung nach Romin-
ten und speiste mit uns. ^r ist ein selir netter, ruhiger,
angesehener Herr, hält gute Nachbarschaft mit seinen
russischen Kollegen jenseits der Grenze, die mit ihm
in Verbindung stehen. Ich dachte, es würde Dir Freude;
machen, zu wissen, was für einen fähigen und guten
Vertreter Du diesseits Deiner Grenze hast, den ich
regelmäßig besuche, da er allgemein von meinen Leu-
ten respektiert wird. — Vor zwei Tagen wurde meine
Tochter in der Friedenskirche konfirmiert und sie
machte jedem mit der mutigen Art, mit der sie ihr
Bekenntnis las, Freude. Die ganze Gemeinde war tief
gerührt, und ich war sehr stolz auf sie, denn sie zeigte
ein tiefes Gefühl und einen Ernst in der Beschäftigung
169
mit dem Problem des Lebens und der Religion, was
liefen Eindruck auf die versammelte Geistlichkeit
machte, um so mehr, als sie es ganz allein abgefaßt und
jedem verboten hatte, ihr dabei zu helfen. Der schöne
Sommer dauert noch an, die Rosen sind ausgeschlagen
und die Blumenbeete ganz farbig, wie im August. Die
beifolgenden Karten stimmen genau mit der Abend-
beleuchtung. Mit besten Grüßen verbleibe ich lieb-
ster Niki
Dein stets ergebener Vetter und Freund
Willy.
Berlin, 11. I. 1910.
Liebster Niki!
Vielen Dank für Deinen freundlichen Brief mit den
Bildern, die mir Heinrich überbrachte; ich habe mich
sehr darüber gefreut. Was für eine ausgezeichnete
Idee von Dir, einen Zweistundenmarsch in einer Sol-
datenausrüstung zu machen und für Dich ausfindig zu
machen, was es bedeutet, solche Last im Felde zu tra-
gen. Es freut mich sehr, von Dir zu hören, daß Du mit
der Anwesenheit und der Haltung meiner Abordnungen
zur Beerdigung des armen Onkels Micha^ zufrieden
bist. Ich danke Dir herzHch für die freundliche Auf-
nahme, die Du ihnen gewährtest. Sie waren sehr dank-
bar für die Erlaubnis, die Ehrenwache an seiner Bahre
zu halten.
Heinrich hat alle Botschaften, die Du ihm für mich
anvertrautest, treu erledigt. Im ganzen teile ich Deine;
Ansichten. Ich kann vollkommen verstehen, daß die
Entwicklung im fernen Osten Deine ganze Aufmerk-
samkeit in Anspruch nimmt.
1 Großfürst Michael f 18. XII. 1909, Bruder Alexanders II.
170
Die Heinrich gemachte Mitteilung Deiner Entschei-
dung, 4 Armeekorps von unserer Grenze fortzuziehen,
hat mich sehr befriedigt, um so mehr als Heinrich mir
erzählte, daß Du, indem Du ihm Deine Entscheidung
mitteiltest, in herzhchsten Ausdrücken der traditionel-
len Freundschaft unserer beiden Länder und ihrer Waf-
fenverbrüderung, die schon vor einem Jahrhundert be-
gonnen hat, gedacht hast. Du weißt wohl, wie ich diese
geheiligten Beziehungen stets im Herzen trage und be-
wahren werde, und ich brauche Dir nicht zu sagen, wie
dankbar ich über Deine heben und mich rührenden
Worte bin.
Ich hoffe, daß Dich dieser Brief zum Neujahrstage
erreichen wird, und ich ergreife diese Gelegenheit,
um Dir und Alix die besten Wünsche für ein glückliches
neues Jahr, das Gott Euch allen schenken möge, zu
erwidern.
Ich hoffe, wieder von Dir zu hören, sobald Du den
Zeitpunkt für unsere Zusammenkunft in den deutschen
Gewässern endgültig festgestellt hast. Heinrich meinte,
daß es Anfang August zur Zeit Deiner und meiner
Rückkehr aus Norwegen Dir am besten passen würde.
Was für ein Vergnügen, der Gedanke, Dich, liebster
Niki, wiederzusehen. Herzlichen Gruß Alix und den
Kindern, besonders dem Knaben, lebe wohl, ich ver-
bleibe
Dein immer wahrer und ergebener Freund und Vetter
Willy.
NeuesPalais, ??
Liebster Niki!
Laß mich Dir im Vertrauen eine wichtige Angelegen-
heit vorlegen. Es ist die Frage, ob Du vielleicht einen
171
Wechsel in der Person des Adjutanten, der die Ehre
hatte, Dir von hier aus beigeordnet zu sein, haben
möchtest. Da Du bei unseren früheren Zusammenkünf-
ten immer mit großer Hochschätzung von Kapitän von
Hintzes QuaHtäten sprachst, und da er sich voll unse-
res Vertrauens erfreut, möchte ich nicht irgendeinen
andern Schritt ergreifen, bevor ich von Dir gehört habe,
oder wenigstens nicht ohne Deine Billigung handeln.
Laß mich, bitte, ganz uneingeschränkt und freimütig
wissen, was Du darüber denkst. Solltest Du der Mei-
nung sein, es wäre für mich Wünschenswert, Hintze
zu ersetzen, so würde ich zuerst mit Dir über die
Wahl seines Nachfolgers in Verbindung treten. Deine
Wünsche sind in dieser Hinsicht von höchster Wich-
tigkeit für mich, da ich es für absolut notwendig er-
achte, daß der Offizier, der von mir Dir beigeordnet ist,
Dein vollstes Vertrauen erlangt.
Es freut mich, vom Kanzler zu hören, daß er über
verschiedene Fragen mit Sasonow, einen Meinungsaus-
tausch gehabt hat, was zu beiderseitiger Befriedigung
führen möge.
Wir denken noch an den freundlichen Besuch, den Du
uns hier gönntest, und hoffen, daß die Heimreise Alix
nicht allzusehr angestrengt hat. HerzUchen Gruß an
sie und die Kinder von
Deinem ergebenen Vetter und Freund
Willy.
Neues Palais, 24. XII. 1910.
Lieber Niki !
Ich danke Dir aufrichtig für Deine freimütige Ant-
wort betreffs Hintzes. Ich entnehme mit tiefem Be-
172
dauern aus Deinem Brief, daß er Dein Vertrauen nicht
länger hat, ich! habe daher beschlossen, ihn zurück-
zurufen.
Als seinen Nachfolger möchte ich Dir Generalmajor
ä la Suite von Lauenstein vorschlagen, der gegenwär-
tig die Infanteriebrigade in Hannover kommandiert.
Er war mein persönlicher Adjutant, bevor er dies Kom-
mando übernahm. Du wirst Dich seiner von der Zeit
her wahrscheinlich erinnern, als er Militärattache in
Peteasburg war. Er hatte auch die Ehre, Dein Heer
in den Krieg zu begleiten, und wie ich höre, war ef
unter Deinen Offizieren sehr beliebt. Er ist ein sehr
befähigter Soldat und dazu vor allem äußerst verläß-
lich und vertrauenswürdig. Er schreibt ein glänzen-
des Deutsch und war infolgedessen Mitglied der drei
Komitees, welche die Reglementsreform für unsere
Infanterie, Artillerie und Kavallerie durchgeführt haben.
Alle drei sind aus seiner Feder hervorgegangen. Ich
setze unbeschränktes Vertrauen in ihn, und in der
Hoffnung, daß Du meinen Vorschlag billigst, sehe ich
Deiner Antwort entgegen.
Ich hatte Osten-Sacken gestern zum Frühstück ein-
geladen. Er scheint bei vollem Wohlbefinden zu sein
und war sehr guter Laune. Es freut mich sehr, daß Du
ihn zum Ritter des St.-Andreasordens gemacht hast,
und ich danke Dir herzlichst für Deine äußerst freund-
liche und sympathische Anspielung auf die Beziehun-
gen unserer beiden Länder in dem Briefe, den Du an
den Heben alten Herrn bei dieser Gelegenheit ge-
richtet hast.
Ich erhielt einige entzückende Karten von Alix mit
den Kindern als Gruppenbild. Bitte, sprich ihr meinen
besten Dank dafür aus. Ich sende Dir einen Jagddolch
173
und Alix eine Salatschüssel für die Sakuskai-Tafel, die
in meiner Majolikamanufaktur hergestellt und in Dres-
den versilbert wurde.
Mit den besten Wünschen für ein glückliches neues
Jahr, das ein Jahr des Friedens sein möge. Mit herz-
lichem Gruß an Alix und die Kinder verbleibe ich
Dein wohlgesinnter Freund und Vetter
Willy.
Neues Palais, 12. I. 1911.
Liebster Niki!
Qieser Brief wird Dir durch General Graf Dohna, der
kürzlich aus Indien zurückkehrte, überbracht werden.
Er war beim Durbar ^ anwesend und wird Dir lebendige
Schilderungen der glänzenden Szenen, an denen er
teilnahm, geben. Seine Frau, die seit einigen Mona-
ten in Petersburg weilt, um das Heim für ihren rück-
kehrenden Gatten einzurichten, wird, wie ich zuver-
sichtlich hoffe. Dir und Deinem Hofe so angenehm wie
er sein. Sie schrieb sehr glückliche Briefe über die
Freundlichkeit, die ihr von der Hofgesellschaft be-
wiesen wurde. Da er erst eben aus den Tropen zu-
rückgekehrt ist und der Wechsel Eures Klimas mit
Minus 20 Grad für ihn ein sehr plötzlicher ist, so lenke
ich Deine Güte darauf, an ihn zu denken, wenn Zere-
monien im Freien im Winter auf dem Programm stehen,
zumal er ein sehr schwächlicher Mensch ist. Da er
1 Russischer Name für das eigenartige, reiche, zweite Frühstück,
das in Rußland üblich ist.
* Indische Krönungsfeier des Königs von England zum Kaiser
von Indien. Georg V., König von England, folgte seinem Vater
am 6. V. 1910.
174
kahlköpfig ist, meine ich, daß er eine warme Perücke
beim Fest der Wasserweihe trägt. Du kannst bestim-
men, welche Farbe sie haben soll!
Ich sende Dir nochmals meine aufrichtigsten Glück-
wünsche für ein glückliches neues Jahr, indem ich mich
mit Dir in Deinen Hoffnungen und Gebeten zum Him-
mel vereinige, daß er uns ein friedliches Jahr schenken
möge, wobei ich wohl weiß, daß unsere Gefühle in
dieser Hinsicht die gleichen für unsere beiden Länder
sind. Ich hoffe, daß Ihr das Weihnachtsfest gut ver-
lebt habt, und daß sich kein Unfall mit meinen Ge-
schenken ereignete. Besonders hoffe ich, daß die klei-
nen Mädels sich nicht den Magen in ihrer eigenen
Küche verdorben haben. Ist die elektrische Eisen-
bahn vom letzten Jahre noch heil? Ich war sehr trau-
rig, als ich vom Tode des alten Generals Stroukow
hörte. Er war ein prächtiger Mann, mein alter lieber
Bekannter und mein treuer Freund. Mit herzlichen
Wünschen auch für Alix und die Kinder, von denen
ich durch Olga ein so reizendes Telegramm hatte. Ich
bleibe immer
Dein sehr ergebener Freund und Vetter
Willy.
Corfu, 21. IV, 1911.
Liebster Niki!
Da Euer Osterfest naht, bitte ich. Dir meine wärm-
sten Osterwünsche durch diese Zeilen senden zu dür-
fen. Es ist eine Zeit, in der man immer seine Taten
und Gedanken noch einmal wieder überschaut, bevor
man zur Beichte geht, und darnach geht man zurück in
sein Leben mit frischen Entschlüssen und mit gefestig-
175
ten Überzeugungen. Zu diesen letzteren zähle ich
unsere gegenseitigen Beziehungen und unsere feste
Freundschaft füreinander, die wir so glücklich in
Wolfsgarten und Potsdam bekräftigten. Du kannst im-
mer auf mich und auf mein aufrichtiges Interesse an
Dir, Deiner Familie und Deinem Lande zählen.
' Wir verlebten hier eine reizende Zeit unter Blumen-
düften, blauem Himmel und Sonnenschein. Nur in der
vorletzten Woche war es kalt und regnerisch. Wir
waren anläßlich einer zufälligen Versuchsgrabung sehr
überrascht und sehr interessiert durch die ganz uner-
wartete Entdeckung riesiger Skulpturen, die scheinbar
einem Tempel, der bis ins sechste oder siebente Jahr-
hundert vor Christus zurückgeht, zugehören. Ich
verbrachte mehrere Tage in der Sonne liegend und
bei dem Zutagefördern der verschiedenen Objekte, was
sehr anregend war und auch Dir ungeheures Vergnü-
gen gemacht haben würde.
Ich sende Dir beigeschlossen einige Bilder von un-
serm Haus und Garten mit der Statue des Achilles, die
ich »auf der Terrasse aufstellen ließ. Außerdem füge
ich einen kürzlich in der deutschen Presse veröffent-
lichten Artikel bei, der von einem intimen Freunde
Onkel Berties, einem englischen Politiker, geschrieben
wurde, mit der Absicht, die Deutschen zu überzeugen,
besser von Onkels Politik zu denken, als es bisher der
Fall w^ar. Sein Name ist nicht bekannt. Wie Du für
Deine Person sehen wirst, ist es sehr auffallend, daß
die große Sorge, welche Onkel für die Zukunft Eng-
lands hegte, die Möglichkeit einer engeren Freund-
schaft zwischen Rußland, Deutschland und Österreich
bildete, die er als gefährlich für England ansieht und
demgemäß mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln
176
zu verhindern suchte. Das ist die Erklärung für die
ständig von der englischen Presse gebrauchte Redens-
art: „Gleichgewicht der europäischen Mächte", d. h.:
isoliere die drei Kaiser voneinander, oder wir sind ver-
loren ; denn sie würden den ganzen europäischen Kon-
tinent um sich versammeln, und d. h. : gegen unsere eng-
lischen Interessen. Ich fahre nach London zur Denk-
malsenthüllung auf Georgs Einladung und hoffe, mehr
darüber ausfindig zu machen. Mit herzlichem Gruß
an Alix verbleibe ich
Dein wohlgesinnter Freund und Vetter
Willy.
Wilhelmshöhe, 8. VIII. 1911.
Liebster Niki!
Ich muß Dich leider wiederum mit einer Bitte be-
lästigen, die sich auf General Lauenstein bezieht, der
die Ehre hatte. Deiner erlauchten Person als Adjutant
zugeteilt zu werden. Als ich ihn für diesen Postert
mit Deiner Genehmigung auswählte, zog er sofort
meine Aufmerksamkeit auf den Umstand, daß seine
Frau in sehr leidendem Zustande war. Ich kenne sie
persönlich und weiß davon. Doch hoffte ich ihn zu be-
stimmen, daß er seinen Posten antreten würde, da Du
so äußerst Hebenswürdig über ihn geschrieben hast.
Die Frau hat nun kürzlich ihr drittes Kind bekommen,
was ihre Gesundheit so angegriffen hat, daß die Ärzte
übereinstimmend der Ansicht sind, daß es ganz außer
aller Frage ist, daß sie das Klima in St. Petersburg
nicht vertragen kann. Demgemäß hat Lauenstein erneut
um die Erlaubnis gebeten, von diesem Posten entbun-
den zu sein. Ich habe mit großem Bedauern meine
12 177
Einwilligung gegeben, da es unmöglich für ihn ist, ein
Leben zu führen, das ständig von dem seiner Familie
getrennt ist.
Ich bin sicher, daß Du meinen auf Grund so ernster
Erwägungen gefaßten Entschluß billigen wirst.
Ich schlage Dir vor, als seinen Nachfolger General-
leutnant ä la Suite Graf Dohna-Schlobitten zu senden,
der jetzt die Garde-Kavallerie-Division kommandiert.
Ich darf Dich wohl daran erinnern, daß ich ihn Dir
während meines letzten Besuchs in Potsdam vorstellte,
der so freundHche Erinnerungen bei mir hinterlassen
hat. Graf Dohna stand damals im Begriff, meinen
Sohn auf seiner Reise nach Indien ^ zu begleiten, und
würde auch in seinem Stab während seines Aufent-
haltes in Sarskoje gewesen sein, dem ursprünglich
ersten Abschnitt der Reise, die er damals unternahm.
Dohna ist ein geborener Kavallerist, Frontsoldat, erst-
klassiger Pferdekenner, passionierter Reiter und Sports-
mann und Allerweltskerl. Er ist immer bei allen in
seinen verschiedenen Ämtern beliebt gewesen, so als
Rittmeister bei den ersten Garde-Dragonern, später als
Oberst meiner Gardehusaren, dann als Leiter der Bri-
gade und schließlich als Führer der Garde-Kavallerie-
Division. Nicht zum wenigsten gewann er die Achtung
und Sympathie jedes Offiziers in Indien sowie auch die
des Oberstkommandierenden der Streitkräfte, der ihn
zum Krönungsdurbar eingeladen hatte, wozu ich ihm
die Erlaubnis erteilt hatte. Er wird Dir nach seiner
Rückkehr sicherlich lebhafte Schilderungen der einzig-
artigen Festlichkeiten und des unerreichbaren orienta-
lischen Glanzes geben. Seine Frau ist eine gute Ge-
1 Reise des Kronprinzen nach Indien 1911 zu den Krönungs-
feierlichkeiten.
178
s.ellschafterin und eine alte Freundin meiner FraÜ seit
langer Zeit. Sie erfreut sich einer ausgezeichneten,
Stellung in der Berliner Hofgesellschaft.
Dohna besitzt mein völliges Vertrauen. Ich vertraue,
daß meine Wahl Deine Billigung finden wird. Wir
sind durch den plötzlichen und schnellen Tod des
armen Knesebeck sehr betrübt. Er war 11 Jahre lang
Privatsekretär meiner Großmutter und 21 Jahre lang-
Privatsekretär meiner Frau. Ein treu ergebener und
vertrauter aufrichtiger Freund und ein vollendeter Edel-
mann. Mit herzlichen Grüßen an Alix und die Kinder
(was macht die Eisenbahn?) verbleibe ich
Dein stets ergebener Freund und Vetter
Willy.
Rom inten, 3. X. 1912.
Liebster Niki!
Darf ich Deine Aufmerksamkeit und ebenso Dein
Interesse auf einen Plan, der mich schon seit mehre-
ren Jahren beschäftigt hat, lenken? Während meiner
Reise in Rominten habe ich genau die Entwicklung*
der beiderseitigen Grenzländer in meiner Nachbar-
schaft studiert. Ich bin zu dem Entschluß gekommen,
daß die Bezirke auf beiden Seiten unserer Grenzö
vielversprechend sind und eine hoffnungsvolle Zukunft
erwarten lassen. Aber sie müssen aufgeschlossen sein
und mögHchst miteinander in Beziehungen treten. Auf
der beigeschlossenen Eisenbahnkarte ist eine Linie in
Rot gezeichnet. Sie stellt eine neue Eisenbahn dar, die
gebaut werden soll und um die große Romintener
Heide verläuft, um den Holztransport leichter als bisher
zu gestalten. Die Linie zweigt von Goldap ab, geht bei
Pablindzen vorbei nach Szittkehnen, wo sie die Zweig-
12* 179
linie i:ach Eydtkuhnen trifft. Die Linie wird Stein-
brüche und Kiesgruben aufschließen und eine große
Menge Holz aus dem Romintener Forst befördern. Nun
wage ich, Deine Aufmerksamkeit auf den Gedanken zu
lenken, ob es nicht praktisch für Deine Regierung wäre,
eine Eisenbahn von Suwalki nach Pablindzen zu erbauen
und hier an unsere Eisenbahnlinie anzuschließen. Das
würde den Handel zwischen diesen beiden Bezirken
ausgezeichnet entwickeln. Pablindzen ist ein Ort, über
den schon ein lebhafter Verkehr sich hin und her ent-
wickelt hat, und der noch größer zu werden verspricht,
falls hier eine Linie gebaut wird. Der Plan ist mit
Deinen Behörden seit sehr langer Zeit erörtert wor-
den. Ich hatte namentlich über ihn mit Exz. de Stre-
manko gesprochen, der auch daran sehr interessiert
war und ihn auch für sehr notwendig im Interesse des
Gouvernements Suwalki hält. Er versprach mir, daß
er Dir über diesen Plan in günstigem Sinne berichten
würde, und er traf Vorbereitungen, tätigen Anteil an
seiner Förderung zu nehmen, als er von seinem Posten
sich zurückzog, und damit war die Sache zu Ende.
Es ist sehr schade, da die Grenzbevölkerung an der
weiteren Entwicklung dieser Frage sehr interessiert
ist. Er war ganz mit allen Einzelheiten dieser Fragen
auf beiden Seiten der Grenze vertraut und stand hier
mit meinen Behörden in ständigem Verkehr. Alles dies
ist jetzt zum Stillstand gekommen, da sein Nachfolger
noch keine Schritte ergriffen hat, um sich mit seinen
Kollegen jenseits der Grenze in Verbindung zu setzen,
obwohl er bereits seit zwei Jahren im Amte ist. Darum
baten mich die Leute von allen Seiten, Dir direkt diese
Angelegenheit vorzulegen, was ich hiermit getan habe.
Ich bitte Dich um Verzeihung, wenn ich Dich mit einem
180
so elenden kleinen Grenzdetail belästige, aber da ich
24 Jahre unter diesen Leuten lebe, habe ich zusammen
mit ihnen die Dinge wachsen sehen, und sie haben
Vertrauen zu mir gefaßt. Es sind einfache, ruhige,
arbeitsame Leute und wie alle Grenzdistrikte ein wenig
vergessen. Und da es ein gutes Werk ist, solchen
armen Leuten zu helfen, versuche ich mein Glück mit
Dir. Ich hatte gute Jagd, etwa 19 Hirsche, aber mit
Ausnahme von zwei Tagen scheußliches Wetter. Heute
Schneefall und Hagel. Herzhchen Gruß Alix und den
Kindern und Weidmannsheil für Dich.
Dein stets wohlgesinnter und ergebener Vetter und
Freund
Willy.
Berlin, 3. L 1913.
Liebster Niki!
Der Bote reist heute mit meinem Geschenk für Dich,
Alix und die Kinder ab. Ich hoffe, daß sie Euch als
glückHchen Empfängern gefallen mögen. Gleichzeitig
sende ich Dir meine herzlichsten Glückwünsche zum
Neujahrstag und für ein neues friedliches Jahr. Ich
spreche die ernstliche Hoffnung und das Vertrauen
aus, daß das Jahr 1913 ein friedliches sein möge, wie
Du mir am Neujahrstag telegraphiertest. Ich denke,
daß im ganzen sich die Aussichten dafür befestigen,
und daß die Erörterungen in London i, die gut vorwärts
kommen, weiter in versöhnlichem und freundschaft-
1 Es handelt sich um die Londoner Botschafterkonferenz zur
Beilegung der Streitfragen, die sich aus dem Balkankrieg er-
geben hatten.
181
lichem Geist gehalten werden, nach welcher Richtung
die auswärtige Politik Deiner Regierung geschickt mit
allen andern Mächten zusammen arbeitet.
Ich danke Dir für Deinen Brief, den mir Tatischeff
überbrachte, der Dir bei seiner Rückkehr auch meine
Antwort überbringen wird. Ich vertraue darauf, daß
auch diese Angelegenheit zu einem befriedigenden Ende
geführt wird, und die Schwierigkeiten, die entstanden
sind, überwunden werden.
Dein Kriegsminister General Suchomlinow stattete
mir auf -seiner Rückkehr aus Leipzig einen Besuch ab,
er war sehr liebenswürdig und interessant in seinen
Schilderungen der Taten während seines Feldzuges
1877.
Bis jetzt hatten wir hier einen warmen schneelosen
Winter, der hübsche lange Ausritte fast jeden Tag ge-
stattete, vorausgesetzt, daß es nicht regnet. Lebe wohl,
Hebster Niki, herzliche Grüße an Alix, die Kinder, vor
allem den Knaben, ich hoffe, daß es ihm besser geht.
Dein immer wohlgesinnter Freund und Vetter
Willy.
Berlin, 3. IL 1913.
Liebster Niki!
Herzlichen Dank ,für Deine freundlichen Wünsche
und die prächtige Gabe, die Du mir freundlich sandtest.
Was war das für eine große Überraschung für mich,
als ich mein Geburtstagszimmer betrat und die beiden
großen Gemälde erblickte. Es war wirkhch eine rei-
zende Idee von Dir, mir diese beiden schönen Originale,
182
die von hohem künstlerischen und historischem Wert
für uns hier sind, zu übersenden, da sie die Bilder so
mancher hier wohlbekannter Persönhchkeit zeigen.
Diese Gemälde machten mir wirkhch eine große
Freude, und ich bitte Dich, meinen herzlichsten Dank
noch einmal dafür entgegenzunehmen.
Es freut mich, aus Deinem Briefe zu ersehen, daß
der Hebe Knabe gute Fortschritte macht, aber ich bin
traurig darüber, daß Alix' Gesundheitszustand nicht be-
friedigend ist. Sicherlich waren die Wochen, die sie
mit der Pflege des Knaben verbrachte, sehr anstrengend
für sie, aber ich hege die Zuversicht, daß Ruhe und
eine Kur oder ein Aufenthalt in der Krim sie bald
wieder herstellen werden. Ich hoffe inbrünstig mit Ehr,
daß die Balkanunruhen ^ bald ohne weitere Kompli-
kationen beigelegt werden, und bin begierig, mit Dir
zu diesem Zwecke zusammen zu wirken. Natürlich hat
Österreich als naher Nachbar dieser Landstriche In-
teressen zu wahren. Aber ich stehe unter dem Ein-
druck, daß es so handeln wird, ohne etwas für sich
selbst zu beanspruchen, sondern nur Sicherheiten zu
schaffen wünscht, daß keine Grenzveränderungen auf
der Kart^ eintreten, die es in Zukunft in Gefahr
bringen. Adalbert ist wieder aus dem Bett, und morgen
wird Dona ihr Quartier wieder bei mir aufschlagen.
Gott sei Dank, daß alles so gut abhef. Mit herzlichem
Gruß an AUx und die Kinder verbleibe ich
Dein immer wohlergebener Freund und Vetter
Willy.
1 Der Krieg zwischen der Türkei und den Balkanstaaten war
nach kurzer Pause wieder aufgeflammt.
183
Berlin, 18. III. 1913.
Liebster Niki!
Ich möchte Dich benachrichtigen, daß wir jetzt end-
gültig den Tag für die Hochzeit unserer Tochter Sissy i
auf den 24. Mai festgesetzt haben.
Der Hauptzweck meines Briefes ist, Dir und Alix
meine herzHchste Einladung zu den Hochzeitsfeierlich-
keiten zu übermitteln. Wir beide würden ganz entzückt
sein, wenn Du uns das Vergnügen Deiner Anwesen-
heit machen würdest, und ich hoffe von ganzem Herzen,
daß Du Rußland für einige Tage verlassen kannst, um
viele Deiner Verwandten zu sehen, da wir auch Deine
liebe Mutter, Tante Alix-, Georg und May ^ Waldemar*
usw. eingeladen haben, damit alle Geschwister sich
wiedertreffen, wie auch Tante Thyra^
Es freut mich, daß alle Deine Festlichkeiten so gut
vorübergegangen sind, und daß Dein Knabe dabei an-
wesend sein konnte und zufriedenstellende Fortschritte
gemacht hatte. Ich will hoffen, daß er bald wieder ganz
hergestellt ist. Nach Ostern kommen die Cumberlands
zu Besuch, und dann fahren wir auf einen Monat nach
Homburg, da die verfluchten Balkanwirren mir die
Möglichkeit genommen haben, in dem himmlischen
Paradies Corfu zu weilen.
Mit herzlichem Gruß von Viktoria und mir an Alix
und alle Kinder, verbleibe ich
Dein stets wohlgesinnter Vetter und Freund
Willy.
1 Hochzeit der Prinzessin Viktoria Luise mit dem Herzog von
Cumberland.
' Die Exkönigin Alexandra von England.
3 Georg V. und der Königin Mary.
* Prinz Waldemar von Dänemark.
^ Prinzessin Thyra von Dänemark.
184
Berlin, 30. I. 1914.
Liebster Niki!
Herzlichen Dank Dir, der lieben Alix und den Kin-
dern für Eure freundlichen Wünsche und das reizende
China-Porzellan, das sie begleitete. Gott sei Dank
konnte ich meinen Geburtstag recht glücklich ver-
leben, namenthch infolge der Anwesenheit meiner He-
ben Sophie und Georgs i, welche die Reise aus Athen
zurücklegten, um den Tag mit mir zu verleben. Ich
bin sehr erfreut, daß Du noch freundliche Erinnerungen
an den Besuch wahrst, den Du uns im letzten Sommer
anläßhch Sissys Hochzeit abstattetest; sei auch Du
versichert, daß wir alle hier herzlich Deine freundlichen
Gefühle und Erinnerungen erwidern.
Es freut mich, zu hören, daß Euch allen Euer netter
Aufenthalt in der Krim so gut getan hat, und daß na-
menthch Alix und der Knabe nach ihrer Reise nach
dem sonnigen Süden sich so viel besser befinden.
Ich erinnere mich an das Interesse, das Du vor
einigen Tagen daran nahmst, als Du Homburg be-
suchtest und die Kathedrale hier im Bau sahst. Ich
erlaube mir daher, Dir ein Buch über die Kapelle im
neuen Schloß zu Posen zu übersenden, dessen Ver-
öffenthchung von mir veranlaßt wurde. Sie ist in altem
byzantinischem Stil erbaut und brauchte sieben Jahre
zu ihrem Bau und wurde in unserer Gegenwart im
letzten August geweiht. Sie ist erbaut, teils nach den
Motiven der Ravennakirche (Grabmal Theoderich des
Großen), teils nach dem Mon Reale und der Capella
Palatina in Palermo.
Die Sendung Ridulskys, welcher die Halsbinde für
1 König^in Sophie von Griechenland und ihr Sohn Georg.
185
Alix^ Dragoner überbrachte, war ein sehr freundlicher
Gedanke und wurde von dem Regiment sehr hoch auf-
genommen. Er ist bei mir zum Frühstück. Mit herz-
lichem Gruß an AHx und die heben Kinder verbleibe
ich
Dein wohlgesinnter Vetter und Freund
Willy.
Berlin, 26. 2. 1914.
Liebster Niki!
General Graf Dohna, der die Ehre hat, Dein Adju-
tant zu sein, teilt mir mit, daß er die Absicht hat,
den Dienst im Monat Mai zu verlassen. Durch den
Tod seines Vaters ist er Erbe eines sehr großen und
ausgedehnten Grundbesitzes und eines sehr schönen
Schlosses in Finkenstein, das vor 100 Jahren das Haupt-
quartier Napoleons I. vor der Schlacht von Eylau war.
Er ist absolut nötig für die persönliche Leitung seines
Besitzes, und zu meinem großen Bedauern muß ich
seinen Wünschen willfahren. Als Ersatz für ihn beab-
sichtigte ich. Dir mit Deiner freundlichen Genehmigung
Exz. Generalleutnant v. Chelius zu senden. Er war mein
Regimentsadjutant, als ich die Leibgardehusaren kom-
mandierte, war mehrere Jahre in Rom Militärattache, be-
fehligte mein altes Leibhusarenregiment als Oberst mit
großer Auszeichnung und stand seitdem in meinen per-
sönHchen Diensten. Er ist ein ganz phänomenaler Mu-
siker und spielt Klavier so gut wie Rubinstein, d^ Albert
oder ein anderer großer Künstler. Er ist ein sehr an-
genehmer Mensch und absolut zuverlässig und wird
mich nächsten Monat nach Corfu begleiten. Er spricht
186
fließend französisch, englisch, italienisch und altgrie-
chisch und ist einer meiner engsten persönlichen
Freunde. Mit herzlichen Grüßen an Alix und die Kin-
der verbleibe ich
Dein immer wohlgesinnter Vetter und Freund
Willy-
ANHANG
TELEGRAMMWECHSEL
ZWISCHEN WILHELM H.
UND NIKOLAUS IL
(1904—1907)
Die folgenden Telegramme, die in den Jahren
1904 bis 1907 zwischen Wilhelm II. und Nikolaus II.
in chiffrierter englischer Sprache gewechselt worden
sind, wurden nach der russischen Märzrevolution
in der sogenannten „Persönlichen Feldkanzlei Seiner
Majestät" (des Kaisers Nikolaus) aufgefunden. Von
dem russischen Historiker Prof. E. Tarle bearbeitet
und eingeleitet, wurde der englische Originaltext
dieser Telegramme von W. Burzeff im Juliheft
1917 seiner Zeitschrift „Byloje" (Die Vergangenheit)
veröffentlicht. Von hier nahmen diese Telegramme
ihren Weg in die Presse der neutralen und feind-
lichen Länder, und nach einigem Zögern erteilte
auch die deutsche Zensurbehörde ihre Genehmigung
dazu, daß einige Auszüge aus ihnen auch in der
deutschen Presse veröffentlicht wurden. Indessen
ist dieser Telegrammwechsel in Deutschland noch
nicht vollständig bekannt geworden, und da er eine
wichtige historische Ergänzung zu den in diesem
Buch gebotenen Briefen bildet, so bringen wir nach-
stehend eine genaue und vollständige Übersetzung
der englischen Originale zum Abdruck.
Kiel, 16. VI. 1904.
Sr. Majestät dem Kaiser,
Onkel Alberts Besuch verlief natürlich gut. Er ist
sehr lebhaft und unternehmend und außerordentlich
191
freundlich. Sein Wunsch nach Frieden ist sehr aus-
gesprochen. Dies ist der Grund, weshalb er mit Vor-
liebe überall in der Welt seine Dienste anbietet, wo er
Zusammenstöße sieht. Wetter ist einfach scheußlich.
Herzliche Grüße für Alix. Sympathisiere aufrichtig
mit Deinen neuen Verlusten an Schiffen und Mann-
schaften.
W i 11 y, A. d. A.
Nordfjord, 20. VI. 1904.
Sr. Majestät dem Deutschen Kaiser,
Peterhof.
Kondoliere zum Tode des Grafen Keller, ein tapferer
Soldat und Gentleman. Habe meinem Schwager das
von Dir bestimmte Datum übermittelt. Er wird sich
natürlich an Dich wenden. Mein Schwager Hohen-
zollern wird die Japaner auf ihrer Seite beobachten.
Wir haben schönes Wetter hier. Herzlichen Gruß für
Alice.
Willy.
Peterhof, 21. VI. 1904.
Sr. Majestät dem Kaiser.
Nordfjord.
Danke Dir für Beileid. — Sah Witte, der mir das
Ergebnis seines Vertrages mit Graf Bülow überbrachte.
Hoffe, Du genießt Deine Kreuzerfahrt. — Habe alle
Truppen des 1. Armeekorps besichtigt. HerzHchen
Gruß von uns beiden.
N i c k y.
192
Mol de, 5. VI. 1904.
Sr. Majestät dem Kaiser.
Ein russischer Dampfer, der sich Kreuzer Smolensk
nennt, hat den deutschen Lloyddampfer „Prinz Hein-
rich" angehalten, und alle Postsäcke, die für Japan
bestimmt waren, mitgenommen. — Dieser Akt, ein
Bruch des Völkerrechts, wird großes Erstaunen und
Unwillen in Deutschland hervorrufen in Anbetracht
der freundschaftlichen Gefühle, die unser Land Ruß-
land gezeigt hat. Und bei Wiederholung würde es,
fürchte ich, dazu führen, die Sympathie, die noch
in Deutschland für Dein Land herrscht, außerordent-
lich herabzusetzen.
Willy.
Peterhof, 7. VH. 1904.
Sr. Majestät dem Kaiser,
Berlin.
Entschuldige meine späte Antwort. Konnte nicht
früher antworten, da erst eben von einer Inspektions-
reise der 22. Division zurück bin. Ich bedaure diese
aus Übereifer hervorgerufene Ausschreitung der „Smo-
lensk". Maßnahmen sollen getroffen werden, um ähn-
liche Fälle zu verhindern. Wäre sehr traurig, wenn
eine Episode imstande wäre, die ausgezeichneten Be-
ziehungen zwischen unseren beiden Ländern zu zer-
stören. Ich nahm Deinen Flügeladjutanten Graf Lambs-
dorff mit mir. Dein Wiborg-Regiment hat sich sehr gut
präsentiert. Ich sagte ihnen, ich sei sicher, daß sie
sich ihres Chefs würdig erweisen würden.
Nicky.
13 ^ 193
Drontheim, H ohenzollern, 8. VII. 1904.
Sr. Majestät dem Kaiser,
Peterhof.
Tausend Dank. Ganz zufriedengestellt. Hoffe mein
Regiment bereit, sich würdig zu verhalten. Herzhche
Grüße für Alice.
Willy.
Drontheim, 10. VII. 1904.
Sr. Majestät dem Kaiser,
Peterhof.
Ich höre soeben von der Hamburg-Linie, daß ein
russischer „Kreuzer" ihren Dampfer „Scandia" unter
Besetzung mit russischen Offizieren und Mannschaften
abgebracht hat, nach unbekanntem Bestimmungsort.
Dieser Akt ist ein offener Bruch des internationalen
Seerechts und grenzt beinahe an Seeräuberei. Ich meine,
es ist höchste Zeit, daß die Kapitäne der sogenannten
Kreuzer Instruktionen erhalten, die sie davor warnen,
Handlungen, wie die soeben angeführten, zu begehen,
da sie dazu angetan sind, internationale Komplikationen
herbeizuführen.
Wilhelm.
Peterhof, 11. VII. 1904.
Sr. Majestät dem Kaiser,
Drontheim.
Den Kapitänen sind bereits Befehle gegeben, keine
Schiffe mehr anzuhalten, aber es ist nicht so leicht,
ihnen Instruktionen zu übermitteln, solange sie draußen
kreuzen. Dampfer ,, Scandia" soll sofort nach Ankunft
194
im ersten Hafen freigelassen werden. Während dieses
Krieges hörten wir, daß enorme Mengen von Kontre-
bande von Europa nach Japan verschifft würden. Natür-
Hch wünschten wir aus dem Gefühle der Selbsterhaltung,
diesem Treiben ein Ende zu machen. Ich hoffe, Du
ersiehst hieraus, daß in Rußland auch nicht im geringsten
die Absicht bestand, in Deutschland ein bitteres Gefühl
hervorzurufen. Ich bedaure nochmals aufs äußerste,
was geschehen ist.
N i c k y.
Drontheim, 11. VII. 1904. 8 Uhr 20 Min. abends.
Sr. Majestät dem Kaiser,
P e t e r h o f .
Innigsten Dank! Nachrichten über Freigabe der
„Scandia^^ werden außerordentHch dazu beitragen, das
Gefühl von Bestürzung und Unruhe zu beseitigen, das
sich über das Land verbreitete, besonders in den Han-
delskreisen Deutschlands. Möchtest Du doch bald gute
Nachrichten vom Kriegsschauplatz haben! HerzHche
Grüße für Alice. Recht kaltes Wetter hier.
Willy.
Hubertusstock, 8. X. 1 Uhr 25 Min. mittags.
Sr. Majestät dem Kaiser,
Reval.
Der Oberst meines Wiborger Regiments telegraphiert
mir die Tatsache Deiner freundlichen Anerkennung
ihrer Bravour durch die Sendung einer großen Anzahl
von Ordensauszeichnungen. Als Chef nehme ich Anlaß,
13* 195
Dir herzlichst für diese Tat zu danken und meine
Freude auszudrücken über das heldenhafte Verhalten
der Wiborger! Ich ersehe aus den Zeitungen, daß
die Flotte zu Schießübungen an den so wohl bekannten
Höhenzügen bei Reval sich aufhält, wo wir so ent-
zückende Tage verlebten. Ich hoffe, sie werden durch
Dich gründhch lernen und Fernrohrvisiere einführen,
wie sie die Japaner an ihren Geschützen haben, die
aber der Port-Arthur-Flotte fehlten. Ich nehme an, daß
wenn starker Frost einsetzt, die Flotte ihren Stütz-
punkt in Libau nehmen wird, oder in -der Nähe der däni-
schen Küste, in der Kicege-Bay z. B. Für ihre Be-
wegungsübungen imd Geschwaderausbildung wäre dies
ein sehr praktischer Platz für den Winter, so daß
sie für den Frühling bereit sein werden für ihre Fahrt
nach dem Osten, d. h. in voller Kenntnis ihrer Führer,
ihrer Schiffe und ihrer Geschütze, um dann die russische
Vorherrschaft zur See wieder herzustellen. Ich bin, wie
jedermann in meinem Lande, voll begeisterter Bewun-
derung für den tapferen Stössel, seine heldenhafte
Garnison. Möge Gott ihnen helfen auszuhalten! Die
Schiffe im Hafen sind natürlich die Hauptanziehung für
die Japaner. Ich hoffe, sie werden einen Versuch auf
die japanische Flotte machen. Wenn es ihnen gelingt,
die vier Linienschiffe, die den Japanern verblieben sind,
zu überrennen, zu zersclimettern oder sie zu 'beschä-
digen, auf die Gefahr, selbst dabei zugrunde zu gehen,
so werden sie ihre Pflicht getan hal)en: die Stärke
der japanischen Seemacht erschüttert und den Weg
für den siegreichen Erfolg der Ostseeflotte bei ihrer
Ankunft frei gemacht, der dann leicht zu gewinnen ist
gegen den beschädigten Gegner, dem es unmögHch ist,
seine Schiffe auszubessern oder rechtzeitig neue zu
196
bauen. Dann ist die Seegewalt wieder in Deiner Hand,
und die japanischen Landtruppen sind Deiner Gnade
ausgeliefert. Dann befiehlst Du den allgemeinen Vor-
marsch Deiner Armee, und der Feind — HalaU! Sche-
bekow brachte gerade Deinen Brief, als ich mein Tele-
jgramm beendete. Vielen herzlichen Dank. Ich habe bereits
Befehl gegeben, daß Hamburg-Amerika-Linie in keiner
Weise belästigt wird, sondern freien Spielraum hat,
nach Belieben zu handeln. Es ist sehr vernünftig,
das Geschwader hier zu behalten, bis die Schiffe
gründlich „akklimatisiert^^ und alle Schiffseinheiten
zur gemeinsamen Ausfahrt fertig sind. Es ist zweifel-
los, daß das Erscheinen einer starken frischen
Flotte mit einer großen Anzahl von Einheiten
— selbst wenn einige alte Schiffe dabei sind —
sich bewähren und zu Deinen Gunsten entscheiden
wird. Die Hauptsache ist, daß die Schiffe in Port
Arthur an die Japaner herangehen und versuchen, sie
zu versenken, zu rammen oder so viel wie möglich
zu beschädigen, um so die Basis für die baltische
Flotte vorzubereiten, die bei ihrer Ankunft dann nur
noch den Rest der feindlichen Schiffe zu zerstören hat.
Ebenso, glaube ich, würde es praktisch für Dich sein,
eine Reihe von Kriegsschiffen bei Privatfirmen zu be-
stellen, wie die Japaner es in England getan haben.
So daß, wenn in ein oder zwei Jahren die Friedensver-
handlungen beginnen, Du über frische Reserven ver-
fügst, um Deinen Willen durchzusetzen und Dich ganz
unabhängig von fremder Einmischung zu machen. Beste
Grüße für Alice.
Willy.
197
Neues Palais, 8. X. 1904.
Sr. Majestät dem Kaiser,
Zarskoje Selo.
Ich habe zuverlässige Informationen, daß früherer
japanischer Minister in Petersburg, Kurino, \vieder in
Europa aufgetaucht ist. Er ist in Paris und scheint
bevollmächtigt, zu versuchen, Frankreich und England
— TEntente cordiale — dazu zu bringen, zugunsten
Japans den Frieden zu vermitteln. Es scheint auch,
als ob die Chinesen von Japan gedrängt werden, ihrer-
seits Friedensvermittlung anzubieten. Dies zeigt, daß
Japan dem Ende seiner Leistungsfähigkeit in Menschen
und Geld entgegengeht. Und jetzt, wo sie Vorteile über
die mandschurische Armee gewonnen haben, bilden sie
sich ein, aufhören zu können und die Früchte ihrer
Anstrengungen einzuheimsen; indem sie andere Mächte
veranlassen, sich in diese Angelegenheit einzumischen
und durch eine Friedenskonferenz die Mandschurei zu
gewinnen. Da ich Deine Ansichten über die weitere
Entwicklung des Krieges kenne, da ich weiß, daß
auch nach einem schlimmen Rückschlag Du natürlich
niemals die Hand zu einem solchen Vorgehen reichen
wirst, so hielt ich es für meine Pflicht, Dir mitzuteilen,
was hinter den Kulissen vorzugehen scheint. Ich
glaube, daß die Fäden all dieser Machenschaften über
den Kanal führen.
Willy.
Zarskoje Selo, 10. X. 1904.
Sr. Majestät dem Kaiser,
Neues Palais.
Da ich auf Jagd war, konnte ich Dein interessantes
Telegramm nicht früher beantworten. Vielen Dank
198
für die Information über Japans Machenschaften in
einigen europäischen Ländern. Ich habe auch schon
davon gehört, aber ich bin nicht ganz sicher, ob die
Fäden dieser Machenschaften über den Kanal gehen
oder über den Atlantik. Du kannst sicher sein, daß
Rußland diesen Krieg bis zum Ende ausfechten wird,
und bis der letzte Japs aus der Mandschurei heraus-
getrieben ist. Nur dann kann von Friedensverhand-
lungen die Rede sein, und zv^ar ausschließlich zwischen
den beiden Kriegführenden. Möge Gott uns helfen!
Herzlichen Dank für Deine loyale Freundschaft, an die
ich über alles gfaube.
Nicky.
Neues Palais, 14./27. X., 4.28 nachts.
Sr. Majestät dem Kaiser, '
Zarskoje Selo.
Seit geraumer Zeit bedroht die englische Presse
Deutschland, damit es unter keinen Umständen gestatte,
daß an Dein baltisches Geschwader, das jetzt auf der
Ausreise ist, Kohlen gesandt w^erden. Es ist nicht aus-
schlössen, daß die japanische und die englische Re-
gierung einen gemeinsamen Protest gegen unsere Ver-
sorgung Deiner Schiffe mit Kohlen einlegen, verbunden
mit einer Aufforderung, jede weitere Tätigkeit einzu-
stellen. Das durch eine solche Kriegsdrohung ange-
strebte Ergebnis wäre, daß Deine Flotte völlig fest-
gelegt, und daß es ihr durch Kohlenmangel unmög-
hch gemacht würde, ihr Ziel zu erreichen. Dieser
neuen Gefahr würden Rußland und Deutschland ge-
meinsam zu begegnen haben. Deinen Bundesgenossen
Frankreich hätten sie dabei an die VerpfHchtungen zu
19Q
erinnern, die er in dem Zweibundvertrage mit Dir
übernommen hat, an den casus foederis. Es ist ausge-
schlossen, daß Frankreich angesichts einer solchen Auf-
forderung versuchen sollte, seiner selbstverständlichen
Verpflichtung gegen seinen Verbündeten auszuweichen.
Obwohl Delcasse ein geschworener Anglophile ist, wird
er klug genug sein, um zu begreifen, daß die englische
Flotte ganz außerstande ist, Paris zu schützen. Auf
diese Weise würde eine machtvolle Vereinigung der
drei stärksten Festlandmächte gebildet werden, die an-
zugreifen sich die anglojapanische Gruppe zweimal
überlegen würde.
Die Klagen Englands wegen unserer Kohlenversor-
gung für russische Schiffe sind um so weniger gerecht-
fertigt, als England seit dem Beginn des Krieges —
nachdem es Japan zwei Panzerschiffe, „Nishin^^ und
„Kasuga", unter englischen Offizieren und Beman-
nungen geschenkt hat — ständig die japanische Flotte
mit ihren Kohlen versorgt und ihnen nicht weniger als
30 Dampfer verkauft hat. Die Seeschlachten, die Togo
liefert, werden mit Cardiffkohlen geliefert. Es würde
natürlich für uns viel angenehmer sein, wenn die Eng-
länder so klug wären, dies alles zu bedenken und
uns allein und in Frieden lassen. Aber ich werde
nie einen Augenblick vor einer ungerechtfertigten
Drohung zurückweichen.
Ich bedauere den unglücklichen Zwischenfall in
der Nordsee. Wenn die Flotte nächtliche Angriffe
fürchtet, so meine ich, daß Scheinwerfer allein ge-
nügen würden, um die Schiffe vor Überraschungen
zu schützen, wenn alle außerhalb des Geschwa-
ders Hegenden Sektoren beleuchtet werden. Aber
der Gebrauch der Geschütze sollte — besonders
200
in europäischen Gewässern — so viel als mög-
lich eingeschränkt werden. Meine Nachrichten aus
London besagen, daß die Presse und die Straße Lärm
schlagen, daß die Admiralität sich etwas aufregt, daß
aber Regierung, Hof und Gesellschaft mit großer Ruhe
das Ereignis als einen bedauerlichen Unfall betrachten,
der aus zu großer Nervosität entstanden ist.
Ich habe sichere Nachricht aus Italien, daß der
Terni-Schiffbautrust (Terni, Odero, Orlando) drei
schnellaufende Hochseepanzerschiffe von je 12 000 t
baut, für eine fremde, nicht genannte Macht, wahr-
wahrscheinlich Japan. Dies erinnert mich an meinen
früheren Vorschlag, daß Du nicht vergessen solltest,
ebenfalls neue Linienschiffe zu bestellen, um einige
fertig zu haben, wenn der Krieg vorüber ist. Sie
werden während der Friedensverhandlungen eine vor-
zügliche Überredungskraft ausüben. Unsere Privat-
firmen würden sich sehr freuen, Aufträge zu erhalten.
Ich habe Lambsdorff Deinem Gefolge zugeteilt, wie
Du dies freundlicherweise für mich mit Schebekow getan
hast. Ich bin sehr dankbar für Deine freundliche An-
erkennung meines Verhaltens gegen Dich und gegen
Rußland und versichere Dir, Du kannst Dich stets auf
meine unbedingte und treue Loyalität verlassen. Beste
Grüße an Alix.
Willy.
Zarskoje Selo, 16./28. X.
Sr. Majestät dem Kaiser,
Neues Palais.
Dein Telegramm trifft in einem sehr ernsten Augen-
blick ein. Natüdich kennst Du die ersten Einzelheiten
201
des Nordseezwischenfalls aus dem Telegramm unseres
Admirals. Selbstverständlich ändert dies vollständig den
Charakter des Ereignisses. Ich habe keine Worte,
um meine Entrüstung über Englands Verhalten aus-
zudrücken. Es scheint, daß die Festlandmächte in ähn-
lichen Fällen Gefahr laufen, daß seine (Englands)
öffentüche Meinung eine verständigere Haltung seiner
Regierung überwältigt. Letztere muß ihr folgen. Die
Minister des Landes unternehmen gewagte Schritte und
senden freche Noten mit ganz unannehmbaren Be-
dingungen. Das ist die Folge davon, daß man nach
der Eingebung des ersten Augenblicks handelt! Heute
befahl ich Lambsdorff, meinem Londoner Botschafter
den Vorschlag zugehen zu lassen, die ganze Frage
einer internationalen Untersuchungskommission zu
unterbreiten, wie im Protokoll der Haager Konferenz
bestimmt ist. Ich stimme völlig Deinen Beschwerden
bei über Englands Verhalten hinsichtlich der Kohlen-
versorgung unserer Schiffe durch deutsche Dampfer,
während es sich darauf versteht, die Neutralität
auf seine eigene Art zu wahren. Es ist sicher-
lich hohe Zeit, dem ein Ende zu machen. Das einzige
Mittel wäre, wie Du sagst, daß Deutschland, Ruß-
land und Frankreich sich sogleich über eine Abmachung
verständigen sollten, um die englisch-japanische An-
maßung und Unverschämtheit zunichte zu machen.
Möchtest Du die Umrisse eines solchen Abkommens
niederlegen und abfassen und es mir mitteilen. Sobald
es von uns angenommen ist, wird Frankreich genötigt
sein, sich seinem Verbündeten anzuschließen. Diese
Verbindung hat mir oft vorgeschwebt. Sie wird den
Frieden und die Ruhe der Welt bedeuten. Beste Grüße
von Alix.
N i c k y.
202
Neues Palais, 17. X. 1904. 9 Uhr abends.
Sr. Majestät dem Kaiser,
Zarskoje Selo.
Besten Dank für Telegramm. Sandte heute abend
Brief einschließlich gewünschtem Vertragsentwurf durch
kaiserlichen Feldjäger. Hörte aus privater Quelle, daß
Fischer aus Hüll schon ausgesagt haben, daß sie zwi-
schen ihren Booten fremde Dampfer gesehen haben, die
nicht zu ihrer Fischerflotte gehörten. Was für welche,
wußten sie nicht! So, da hast Du also das falsche
Spiel! Ich denke, der englische Botschafter in Peters-
burg sollte davon Kenntnis haben. Weshalb dies dem
englischen Publikum bis jetzt vorenthalten wurde? Aus
Furcht vor „Blamage'M Beste Grüße für Alice.
Willy.
NeuesPalais, 2./15. XL 1904. 4 Uhr 33 Min. nachm.
Sr. Majestät dem Kaiser,
Zarskoje Selo.
Von zuverlässiger Quelle in Indien höre ich vertrau-
lich, daß Expedition ä la Tibet für Afghanistan schleu-
nigst ausgerüstet wird. Es ist beabsichtigt, dieses Land
ein für allemal unter britischen Einfluß zu bringen,
wenn möglich direkte Suzeränität. Die Expedition soll
Ende dieses Monats abgehen. Der einzige nicht eng-
Hsche Europäer in afghanischen Diensten, der Direktor
der Waffenfabrik des Emirs, ein Deutscher, ist ermordet
worden, als Auftakt zu der Aktion! Die Verluste der
Japaner vor Port Arthur sind nach meinen Informa-
tionen 50 000 Mann. Deshalb beginnen sie des Krieges
müde zu werden nach den allzu großen Verlusten, und
haben in Paris und London um Vermittlung gebeten,
203
und deshalb lassen diese beiden Länder ihre Presse
von neuem die Möghchkeit ihrer Friedensvermittlung
ventilieren. Japan erhofft Port Arthur und die Man-
dschurei von ihnen mit Hilfe eines Kongresses. Ich
bearbeite Antwort Deines freundlichen Briefes, die,
wie ich hoffe. Deinen Wünschen begegnen wird. Herz-
liche Grüße für Aüce.
Willy.
NeuesPalais, 6./19. XI. 1904. 10 Uhr 30 Min. morg.
Sr. Majestät dem Kaiser,
Zarskoje Selo.
Lambsdorff fährt heute abend mit Brief ab. Meine
Nachrichten über Indien im letzten Telegramm sind
durch die Rede Lord Selbournes, der die afghanische
Frage erwähnte, bestätigt. Ich höre aus zuverlässiger
privater Quelle, daß Autoritäten in Tokio über die
zukünftigen Aussichten des Krieges nervös werden.
Sie haben ihren Verdruß darüber ausgedrückt, daß
sie bei Liaojang keinen wirklichen Erfolg gewannen,
trotz enormer Verluste, weil sie ohne große Reserven
waren. Der ununterbrochene Zuzug von frischen Ba-
taillonen aus Rußland übertrifft weit ihre Erwartungen,
da sie die sibirische Eisenbahn nicht für fähig hielten,
ununterbrochene Transporte zu bewältigen. Sie fangen
deshalb an, zu begreifen, daß sie wohl am Ende sind
mit ihren Soldaten und besonders Offizieren, daß Deine
Armee täglich an Stärke, Soldaten und Schlagfertigkeit
zunimmt, und daß die Kriegslage langsam aber sicher
sich gegen sie wendet. Ein japanischer General ging
sogar soweit, zu sagen: „Die Suppe, die wir einge-
brockt haben, müssen wir jetzt ausessen!" Meine Ver-
nriutungen, daß die Japaner heimlich versuchen, andere
204
Mächte zur Friedensvermittlung zu veranlassen, weil
sie jetzt auf der Höhe ihrer Erfolge sind, haben sich
daher als richtig erwiesen. Lansdowne hat Hayashi ge-
beten, England die Bedingungen mitzuteilen, unter
denen Japan Frieden schließen will. Sie wurden von
Tokio telegraphiert, waren aber so anmaßend, daß
selbst der aufgeblasene Lansdowne sie zu stark fand
und Hayashi dringend empfahl, sie abzuschwächen.
Als sie ein saures Gesicht schnitten und Schwierig-
keiten machten, fügte Lansdowne hinzu : „Natürlich wird,
England dafür sorgen, daß ein mittelalterhches Ruß-
land aus der Mandschurei, aus Korea usw. ausge-
schlossen wird, so daß im Grunde Japan alles be-
kommen wird, was es verlangt !^^ Das ist das Ziel, das
die Engländer im Auge haben, wenn sie von freund-
schafthchen Vermittlungen sprechen. Frankreich ist,
wie ich aus Japan höre, schon über diese Pläne unter-
richtet und natürlich Partei für dieses Vorgehen, da
es, wie immer, in der neuen „Entente cordiale*^ auf
selten Englands ist. Sie werden Dir ein kleines Stück
Persien als Entschädigung anbieten, natürHch weit vom
Golfe entfernt — ga va sans dire — da England die
Absicht hat, ihn selbst zu annektieren, aus Furcht, Ehi
möchtest an das warme Meer herankommen, was Dir
rechtlich eigentlich zukommt, da Persien dazu bestimmt
ist, unter russische Kontrolle und Herrschaft zu kom-
men. Das würde Rußland ein glänzendes Absatzge-
biet eröffnen, das Dir England vorzuenthalten wünscht.
WahrscheinHch haben Dir Deine Diplomaten all dies
schon überbracht, aber ich halte es trotzdem für meine
Pflicht, Dir alles, was ich weiß, mitzuteilen, da es ganz
authentische Nachrichten von absolut zuverlässiger
Quelle sind. Lansdownes Worte sind ebenfalls authen-
tisch. Nun, Du siehst, die Zukunft Deiner Armee hellt
205
sich auf, und bald wird sich das Blatt gegen den Feind
wenden. Möge Gott Dir vollen Erfolg bescheren,
während ich fortfahre, überall für Dich zu wachen.
Herzlichen Gruß für Alice.
Willy.
ZarskojeSelo, 7./20. XI. 1904, 7 Uhr 50 Min. abends.
Sr. Majestät dem Kaiser.
Neues Palais.
Graf Lambsdorff brachte mir heute Deinen freundlichen
und sehr interessanten Brief. Nimm auch meinen herz-
lichen Dank für Dein gestriges Telegramm, da es mir
viel Neues brachte. In den allernächsten Tagen sende
ich Dir meine Antwort. Ich hoffe, diese Angelegenheit
wird bald zu unserer beider Vorteil geregelt sein. AHx
sendet herzliche Grüße.
N i c k y.
Zarskoje Selo, 10./23. XI. 1904. 12.30 mitt.
Sr. Majestät dem Kaiser.
Bevor ich den letzten Entwurf des Vertrages unter-
zeichne, halte ich es für ratsam, ihn den Franzosen zu
zeigen. Solange er nicht unterzeichnet ist, kann man
kleine Abänderungen des Textes vornehmen, während
nach unser beider Genehmigung es aussehen könnte,
als wollten wir Frankreich den Vertrag aufzwingen. In
diesem Fall könnte ein Mißerfolg eintreten, was sicher
auch nicht Dein Wunsch ist. Deshalb erbitte Deine
Zustimmung, französische Regierung mit diesem Vor-
schlag bekannt zu machen. Nach Eintreffen ihrer Ant-
wort werde Dir sofort telegraphisch Nachricht geben.
N i c k y.
206
Zarskoje Selo, 10./23. XL 1904, 12.30 a. p.
Sr. Majestät dem Kaiser.
Neues Palais.
Da ich höre, daß der Kaiser von Österreich wegen
einer zwischen Rußland und Österreich unterzeichneten
Vereinbarung an Dich geschrieben hat, halte ich es für
meine Pflicht, Dich auch von meiner Seite aus zu infor-
mieren. Von dem Wunsche beseelt, unsere Bemühungen
zu verstärken, Ruhe und Frieden auf dem Balkan zu er-
halten, entsprechend dem Abkommen von 1897, haben
der Kaiser und ich uns entschlossen, eine geheime Er-
klärung zu unterzeichnen zur Aufrechterhaltung einer
loyalen und ausdrücklichen Neutralität im Fall, daß
eines der beiden Reiche ohne eigenes Verschulden in
Kriegszustand mit einem dritten Lande, das den status
quo bedroht, geraten sollte. Natürlich betrifft diese Er-
klärung keines der kleineren Balkanländer und wird
so lange gelten, als Rußland und Österreich ihre Frie-
denspolitik im Südosten Europas fortsetzen. Da ich
Deine Bemühungen zur Erhaltung des allgemeinen Frie-
dens kenne, bin ich überzeugt, daß dieses Abkommen
Deine Sympathie und freundliche Unterstützung fin-
den wird.
N i c k y.
Moschen bei Kujau, 13./26. XL 1904, 9 Uhr
33 Min. morgens.
Sr. Majestät dem Kaiser.
Zarskoje Selo.
Besten Dank für Telegramm. Du hast mir einen
neuen Beweis Deiner Loyalität gegeben dadurch, daß
Du Frankreich nicht ohne meine Zustimmung benach-
207
richtigen willst. Trotzdem ist es meine feste Überzeu-
gung*, daß es im höchsten Grade gefährlich wäre, Frank-
reich zu informieren, bevor wir beide den Vertrag
unterzeichnet haben. Es würde gerade den entgegen-
gesetzten Erfolg unserer Wünsche zeitigen. Nur die
absolut sichere Erkenntnis, daß wir beide durch
den Vertrag gebunden sind, uns gegenseitig
zu unterstützen, wird Frankreich dazu bringen, England
zu bestimmen, ruhig und friedlich zu bleiben, aus
Furcht, daß sonst Frankreichs Stellung aufs Spiel ge-
setzt wird. Sollte Frankreich jedoch wissen, daß ein
russisch-deutscher Vertrag nur geplant ist, aber noch
nicht unterzeichnet, so wird es sofort seinen Freund
(wenn nicht geheimen Verbündeten) England benach-
richtigen, mit dem es durch die Entente cordiale ver-
bunden ist. Das Bekanntwerden dieser Information
würde zweifellos einen sofortigen Angriff der beiden
verbündeten Mächte, England und Japan, gegen
Deutschland zur Folge haben, sowohl in Europa wMe
in Asien. Ihre enorme Übermacht zur See würde kurze
Arbeit mit meiner kleinen Flotte haben, und Deutsch-
land würde vorübergehend verstümmelt werden. Dies
würde die Wagschale des Gleichgewichts der Welt zu
unserem gegenseitigen Schaden verschieben, und später,
wenn Du Deine Friedensverhandlungen beginnst,
würde es Dich allein der liebevollen Gnade Japans
und seiner ausgelassen jubilierenden Freunde auslie-
fern. Es war mein besonderer Wunsch und — vv^ie ich
verstand — auch Deine Absicht, dies gefährdete Gleich-
gewicht der Welt aufrecht zu halten und zu verstärken,
gerade durch das Abkommen zwischen Rußland,
Deutschland und Frankreich. Das ist nur möglich, wenn
unser Vertrag vorher eine Tatsache ist, und wenn
wir absolut d^accord sind. Eine vorzeitige Information
208
Frankreichs wird zu einer Katastrophe führen! — Soll-
test EXi es trotzdem für unmöglich halten, daß Du mit
mir einen Vertrag schließt ohne vorherige Zustimmung
Frankreichs, dann halte ich es für besser, von jeg-
lichem Vertrage abzusehen. Selbstverständlich werde
ich absolutes Stillschweigen über unsere Vorbespre-
chungen bewahren, ebenso wie Du, und ebenso wie
Du nur Lambsdorf eingeweiht hast, so habe ich nur
mit Bülow darüber gesprochen, der absolutes Schwei-
gen versprach. Unsere gegenseitigen Beziehungen und
Gefühle würden dieselben bleiben, und ich werde ver-
suchen, mich Dir weiter nützlich zu machen, soweit es
meine Sicherheit erlaubt. Dein NeutraHtätsabkommen
wurde mir vom Kaiser von Österreich übermittelt, und
ich danke Dir für Dein Telegramm, das mir dasselbe
mitteilt. Ich halte es für sehr vernünftig und billige es
durchaus. Herzlichen Gruß
Willy.
Zarskoje Selo, 15./28. XI. 1904, 10 Uhr nachts.
Sr. Majestät dem Kaiser.
Neues Palais.
Besten Dank für Telegramm. In Beantwortung sende
ich Dir einen erläuternden Brief über die Angelegen-
heit. Ich denke, ein Brief ist sicherer als ein langes
Telegramm, das zu entziffern nur unnötige Aufmerk-
samkeit auf sich zieht. Ich bin der festen Überzeugung,
daß wir sehr bald zu einer vollständigen Meinungsüber-
einstimmung in dieser Frage, die uns beide sehr inter-
essiert, kommen werden. Besten Dank für Deine offene
und freundliche Unterhaltung mit Schebekow, die er mir
berichtete.
N i c k y.
14 209
N c u c s P a 1 a i s, 27. XI. (10. XII.) 1904, 10 Uhr 22 Min.
abends.
Sr. Majestät dem Kaiser.
Zarskoje Selo.
Dein Brief vom 7. d., für den ich bestens danke, hat
sich gerade mit dem meinen vom selben Datum ge-
kreuzt. Wir müssen nun vor allen Dingen zu einem
dauernden Abkommen über die Kohlenfrage kommen.
Diese Frage wird täglich akuter. Erst heute hatte
ich ernste Nachrichten von Port Said und Capetown. Es
ist keine Zeit mehr zu verlieren. Es darf keine dritte
Macht auch nur die leiseste Ahnung von un-
seren Absichten haben, bevor wir die Übereinkunft
über die Kohlenfrage getroffen haben. Sonst würden
die Folgen äußerst gefährlich werden. Ich setze vollstes
Vertrauen in Deine Loyalität.
Willy.
Zarskoje Selo, 28. XI. (11. XII.) 1904, 5Uhr5Min.
a. m.
Sr. Majestät dem Kaiser,
Neues Palais.
Herzlichen Dank für Brief. Bin vollständig einverstan-
den, daß unsere beiden Regierungen jetzt zu einem
dauernden Übereinkommen in der Kohlenfrage kommen
müssen. Lambsdorff sollte heute Alvensleben des-
wegen sehen. Du kannst Dich vollständig auf
meine Loyalität verlassen, ebenso auf meinen
Wunsch nach einer schnellen Erledigung der ernsten
Frage.
N i c k y.
210
Z a r s k o j e S e 1 o, 29. XI. (12. XII.) 1904, 7 Uhr 45 Min.
a. m.
Sr. Majestät dem Kaiser,
Neues Palais.
Ich habe meinem Minister des Auswärtigen befohlen,
dem Grafen Alvensleben eine Note zu übermitteln, die
meine vollste Zustimmung zu Deinem Wunsch, die
Kohlenfrage betreffend, ausdrückt. Bin glücklich, Dir
dies mitzuteilen.
N i c k y.
Nach Erkundigungen in der Kohlenangelegenheit
höre ich, daß zwei Agenten der Hamburg -Amerika-Linie
jetzt in Petersburg sind, um wegen des Verkaufs der
Kohlenschiffe zu verhandeln, daß aber Deine Leute sich
weigern, zu kaufen, unter dem Vorwand, daß sie keine
Mannschaften haben, um die Kohlenschiffe zu bemannen.
Dies kann nicht wahr sein, und ich vermute, daß der
Wunsch, um jeden Preis Frieden zu haben, ausschlag-
gebend ist in den Köpfen derjenigen, die für Unmöglich-
keit plädieren. Denn man könnte doch sicher ein paar
hundert Seeleute mit Offizieren und dazugehörigen
Ingenieuren von der Schwarzmeerflotte nehmen, die
ja doch auf alle Fälle unbeschäftigt bleibt — und sie
direkt per Schiff durch den Suezkanal nach Madagaskar
schicken. Sie könnten an Bord der Kohlenschiffe unter-
gebracht werden, lange bevor das dritte Geschwader in
Madagaskar ankommt. Roshestwensky hat sowieso auf
dieses letztere zu warten, wenn er eine Schlappe ver-
meiden will, denn das zweite Geschwader ist den japa-
nischen Seekräften unterlegen. Es ist ein Glück für
Dich, daß die Franzosen immer, ja sogar gegen ihre
eigenen Interessen während des deutschen Krieges,
14* 21 1
den Standpunkt des Seerechts vertreten haben, daß
kriegführende Schiffe in neutralen Häfen beliebig lange
verbleiben können, ohne entwaffnet zu werden. Auf
diese Weise kann die französische Regierung ohne
weiteres das zweite Geschwader in Madagaskar belas-
sen bis zur Ankunft des dritten. Die russische Besat-
zung der Kohlenschiffe würde somit Zeit genug haben,
bis Nossibe zu kommen und sich dort an Bord ein-
zurichten. Die frische Bemannung der Kohlenschiffe
würde Roshestwensky gerechtfertigten Grund geben, in
Nossibe zu bleiben, bis er durch das dritte Geschwader
verstärkt worden ist. Sollte Dir irgend jemand raten,
daß Roshestwensky die Japaner angreift vor der Ankunft
der Verstärkung, so könntest Du die betreffende Person
fragen, ob sie bereit sei, die Verantwortung für den Er-
folg auf sich zu nehmen.
Willy.
Sr. Majestät dem Kaiser,
Berlin.
Admiral Roshestwensky telegraphierte gestern zum drit-
tenmal, daß zwei Hamburg-Amerika-Kohlenschiffe bis
jetzt noch keinen Befehl von ihrer Gesellschaft erhalten
hatten, über Madagaskar hinauszugehen unter deut-
scher Flagge. Das Abkommen betreffend Versicherung
gegen Kriegsgefahr ist mit der Gesellschaft durch Men-
delsson-Bank geregelt worden. Die Hamburg-Amerika-
Linie fürchtet sich jedoch. Befehle auszugeben, bevor
sie Instruktionen vom Kanzler erhalten hat. Willst Du
freundlichst die notwendige Erlaubnis geben, da ohne
dieselbe die Weiterfahrt des Geschwaders ganz unmög-
lich wird?
Nicky.
212
Berlin, 15. II. 1905, 12 Uhr 55 Min. mittags.
Ich schrieb Dir zu Beginn dieser Kohlenangelegen-
heit, daß ich nichts dagegen tun würde. Ich kann keine
Instruktionen dafür erlassen, da es ein Privatunter-
nehmen ist. Die Hamburg-Amerika-Linie kennt die
Lage und muß nach eigener Verantwortung handeln.
Von diesem Standpunkt aus habe ich angeordnet, daß
BaUin nochmals tekgraphisch mitgeteilt wird, daß, was
mich und meine Regierung betrifft, er nach Belieben
handeln kann, wie er es für richtig hält. Natürlich
auf seine eigene Gefahr.
Willy.
Sr. Majestät dem Deutschen Kaiser,
Berlin.
Micha kam heute zurück, entzückt von Deiner Lie-
benswürdigkeit und Gastfreundschaft. Er wieder-
holte mir alles, was Du wünschtest, ihm
zu sagen. Am zweiten Tage nach Ankunft
seines Briefes ließ deramerikanische Bot-
schafter Mr. Meyer mich bitten, ihn zu
empfangen. Ich empfing ihn gestern. Er
war vom Präsidenten beauftragt, mir den
Vorschlag zu^in'^t erbreiten, von dem Du
mir schriebst. Ich stimmte unter der Be-
dingung zu, daß vollste Geheimhaltung
gewahrt bliebe, bis Japan seine Einwil-
ligunggegeben hätte, vorbereitende Ver-
handlungen mit uns zu eröffnen. Selbst-
verständlich würden die Erörterungen ab-
gebrochen werden, falls die Bedingungen
unvernünftigwären. Herzlichen Gruß von beiden.
Nicky.
213
Juli 1905 (mit Bleistift).
Aus einem schwedischen Hafen im Bott-
nischen Meerbusen nördlich von Stock-
holm, etwa 100 Meilen von Wasa.
Ich werde bald auf meiner Rückreise sein und kann
den Eingang ins Finnische Meer nicht passieren, ohne
Dir herzliche Grüße und Wünsche zu senden. Sollte es
Dir Vergnügen machen, mich zu sehen — entweder an
der Küste oder auf Deiner Yacht — so bin ich natürlich
zu Deiner Verfügung. Ich werde als einfacher Tourist
kommen ohne Festlichkeit.
Sr. Majestät dem Deutschen Kaiser,
Hernoesand.
Begeistert über deinen Vorschlag. Paßt Dir Begeg-
nung in Bjoerkesund bei Viborg, einem kleinen hüb-
schen Ort, wo wir an Bord unserer Yachten bleiben?
In diesen ernsten Zeiten kann ich nicht weit weg gehen
von meiner Hauptstadt. Selbstverständlich soll unsere
Begegnung ganz einfach und gemütlich sein. Sehe mit
großem Vergnügen unserer Zusammenkunft entgegen.
N i c k y.
Nyland, 7./20. VII. 1905, 1 Uhr 25 p. m.
Sehr glücklich. Würde es Dir passen, wenn ich auf
Deinem Ankergrund — Bjoerkesund — Sonntag, den
23., abends ankomme? Meine Yacht hat 6V2 m Tief-
gang. Wäre dankbar für zuverlässigen Lotsen, um uns
durch Einfahrt zu bringen. Erbitte Nachricht, wo Du
ankerst. Habe diese Sache geheim gehalten, so daß
selbst meine Herren an Bord nichts ahnen. Ebenfalls
214
zu Hause niemand benachrichtigt. Bin sehr glückHch,
Dich sehen zu können. Hoffe, meine Nordlandsgesell-
schaft, die mich seit 15 Jahren immer begleitet, wird
Dich nicht stören. Herzlichen Gruß.
Willy.
Sr. Majestät dem Deutschen Kaiser,
Nylan d.
Werde Sonntag, 10. (23.), nachmittags Björkesund sein.
Habe Befehl wegen zuverlässigen Lotsen gegeben.
Ankerplatz ist zwischen Björkeinsel und Kavitza. Habe
unsere geplante Begegnung bis jetzt geheim gehalten.
Bin glücklich. Dich zu sehen. Wünsche Dir ruhige
Überfahrt. HerzUchen Gruß. Nicky.
Nyland, 8./21. VII. 1905, 1 Uhr 25 p. m.
Sehr verbunden. Hoffe, am 10. abends 7 Uhr anzu-
kommen. Bitte, laß Lotsen uns bei Hochland treffen.
Kein Mensch hat die leiseste Ahnung außer meinem
Kapitän, der Befehl absoluten Schweigens hat. Alle
meine Gäste sind der Meinung, wir gehen nach Visby
in Gothland. Bin überglücklich. Dich wiederzusehen.
Habe wichtige Neuigkeiten für Dich. Die Gesichter
meiner Gäste werden sehenswert sein, wenn sie plötz-
lich Deine Yacht erblicken. Ein prächtiger Spaß! Ta-
bleau! Welchen Anzug für Begegnung?
Willy.
Sr. Majestät dem Deutschen Kaiser,
Nyland.
Dampfer mit Lotsen erwartet Dich am Südende von
Hochlandinsel 23. Juli bei Sonnenaufgang. Mischa be-
gleitet mich. Herzlichen Gruß. Nicky.
215
Dan zig, 16./29. VII. 1905, 1 Uhr 28 p. m.
Meine Frau sendet viele Empfehlungen und Dank
für Dein freundliches Telegramm. Reutertelegramme
melden heute früh Fahrt der englischen Kanalflotte
nach der Ostsee. Sie gucken in unsere Häfen hinein,
ohne feierlichen Antrittsbesuch zu machen! Entweder
England ist in Sorge wegen unserer Begegnung, oder
sie wollen mich erschrecken! Das wird meinem Ge-
spräch in Kopenhagen mehr Gewicht geben. Du wirst
heute Brief von mir haben. Ich wage es. Dir zu raten,
die Boulyginevorlage sobald wie möglich zu veröffent-
lichen, so daß die Vertreter des russischen Volkes bald
gewählt werden. Inzwischen, bis sich das vollzogen hat,
wird die Friedenskonferenz angefangen haben, und die
Bedingungen für beide Teile werden bekannt geworden
sein. Bei der augenblicklich in Rußland herrschenden
Stimmung werden die mißvergnügten Massen ver-
suchen, die ganze Verantwortung für alle ungün-
stigen Folgeerscheinungen auf Deine Schultern zu
legen und die Erfolge auf Wittes persönliches Ver-
halten zurückzuführen. Als erste Arbeit für die
Volksvertreter wäre es ausgezeichnet, wenn Du
ihnen den Friedensvertrag, nachdem er formuliert
ist, zur Abstimmung vorlegtest. Auf dies'e Weise
läßt Du dem Lande das Odium der Entschei-
dung, und zu gleicher Zeit" gibst Du dem russischen
Volk eine Stimme in der Angelegenheit seines eigenen
Geschickes, was es sich so sehnlichst wünscht. Die
Entscheidung wäre dann !s e i n Werk, und Du schlössest
der Opposition dadurch den Mund. Herzlichen Gruß
für Alice.
Willy.
216
Sr. Majestät dem Kaiser,
D a n z i g.
Ich war tief gerührt über Deinen freundUchen Brief
und danke für Telegramm. Habe auch schon von dem
geplanten Erscheinen der britischen Kanalflotte in der
Ostsee gehört.
Dein Besuch in Kopenhagen kommt zu rechter Zeit.
Hoffe, Du wirst befriedigt sein von dem Resultat Deiner
Gespräche dort. Erwarte ungeduldig kurze Nachricht
über Besuch. HerzHchen Gruß für Viktoria von uns
beiden. Wünsche guten Erfolg.
N i c k y.
S a ß n i t z (Rügen), 2. VIII./22. VII., 1 Uhr nachts.
Mein Besuch verlief gut, die ganze Familie, nament-
lich auch Dein lieber alter Großvater, erwiesen mir
außerordentliche Freundlichkeit.
Nach meiner Ankunft erkannte ich bald aus den
Presseberichten, dänischen und fremden, daß eine sehr
starke Strömung von Mißtrauen und Besorgnis gegen
meinen Besuch erzeugt worden war. Besonders
von England, aber auch von Frankreich. Der König
war so eingeschüchtert und die öffentliche Meinung so
aufgewiegelt worden, daß ich nicht in der Lage war,
die Fragen zu berühren, die ich, wie wir ausgemacht
hatten, ihm gegenüber erwähnen sollte.
Der britische Gesandte, der mit einem meiner Herren
dinierte, erging sich in sehr heftigen Ausdrücken gegen
mich, beschuldigte mich der gemeinsten Pläne und
Intrigen und erklärte, jeder Engländer wisse und sei
überzeugt, daß ich auf einen Krieg gegen England und
auf Englands Vernichtung hinarbeite. Du kannst Dir
vorstellen, was für Unsinn ein Mann wie dieser in die
217
Köpfe der dänischen Königsfamilie, des Hofes und des
Volkes eingeträufelt haben mag.
Ich tat alles, was in meiner Macht stand, um die
Mißtrauenswolke zu verscheuchen, indem ich mich ganz
uninteressiert verhielt und keinerlei Anspielungen auf
ernste politische Fragen machte. Auch scheute ich mich
in Anbetracht der sehr großen Zahl von Kanälen, die
von Kopenhagen nach London führen, und bei der
MögHchkeit einer Indiskretion am dänischen Hofe,
irgend etwas über unsere Vereinbarung bekannt zu
geben, da es sofort nach London mitgeteilt worden
wäre, was natürlich gänzlich unzulässig wäre, solange
die Vereinbarung noch geheim bleiben soll. Wie ich
einem langen Gespräch mit Iswolsky entnehmen konnte,
sind jedoch der gegenwärtige Minister des Äußeren,
Graf Raben, und eine Anzahl einflußreicher Personen
bereits zu der Überzeugung gelangt, die Dänen erwar-
teten im Falle eines Krieges und eines bevorstehenden
Angriffs einer fremden Macht auf die Ostsee (da sie
offenbar vollkommen außerstande sind, auch nur den
Schein der Neutralität einer Invasion gegenüber auf-
rechtzuerhalten), daß Rußland und Deutschland sofort
militärische Schritte und entsprechende Flottenbewe-
gungen unternehmen würden, um ihre Interessen zu
wahren. Indem sie die Hand auf Dänemark legten und
es während des Krieges besetzten, würden sie gleich-
zeitig den Besitz und den Fortbestand von Dynastie
und Land gewährleisten.
Die Dänen beginnen sich langsam mit dieser Alter-
native abzufinden und sich darauf einzustellen. Da dies
gerade das ist, was Du gewünscht und gehofft hast,
hielt ich es für angebracht, dieses Thema den Dänen
gegenüber nicht zu berühren, und unterließ auch jede
218
Anspielung. Denn es ist besser, wenn der Gedanke
sich in ihren Köpfen entwickelt und ausreift, und wenn
es ihnen selbst überlassen bleibt, die Schlußfolgerung zu
ziehen. Sie verfallen dann aus eigenem Antrieb darauf,
sich an uns anzulehnen und mit unseren beiden Ländern
zusammenzuhalten. „Tout vient ä qui sait attendre.*^
Die Angelegenheit, daß Karl nach Norwegen geht,
ist bis in die kleinsten Einzelheiten geregelt, da Eng-
land zu allem zugestimmt hat, und es läßt sich nichts
mehr an der Sache ändern. Ich sprach mit Karl über
seine Aussichten und fand ihn sehr besonnen und ohne
alle Illusionen über seine Aufgabe.
Was sagst Du zu dem Programm der Festlichkeiten
Deiner Alliierten in Cowes?! Die gesamten Krim-
veteranen sind eingeladen, mit ihren früheren Waf-
fenbrüdern zusammenzutreffen, die mit ihnen gegen
Rußland gekämpft haben! Sehr taktvoll fürwahr! Es
zeigt, daß ich recht hatte, als ich Dich vor zwei Jahren
vor der Neubildung der alten Krimkombination warnte.
Sie wird jetzt wieder eifrigst aufgewärmt. Das Wetter
prächtig. Beste Grüße an Alix.
Willy.
Sr. Majestät dem Kaiser,
S a ß n i t z.
Herzlichen Dank für interessante Einzelheiten. Bin
froh, daß Dein Besuch gut verlief. Du hast recht,
keinem Menschen etwas von unserem Bündnis zu sagen.
Da die Frage, daß Karl nach Norwegen geht,
erledigt ist, nehme ich an, daß nichts mehr getan w^er-
den kann. Erwarte Bericht von Iswolski wegen däni-
scher Neutralität in ihrer letzten Gestalt. Herzlichen
Gruß von Alexandrine. N i c k y.
219
Wilhelmshöhe, 7./20. VIII. 1905, 11.34 morgens.
Mein Botschafter meldet mir soeben, daß Du die
Veröffenthchung des l>ekrets befohlen hast, das die
Einberufung der ,, Großen Duma^^ betrifft. Die Statuten
seien in den Grundzügen unserem Staatsrat ähnlich,
was ihr die Eigenschaft einer beratenden Körperschaft
verleihe. Ich bitte Dich, meine wärmsten Glückwünsche
zu diesem großen Schritt nach vorwärts in der Ent-
wicklung 'Rußlands anzunehmen.
Aus den Zeitungen ersehe ich, daß im allgemeinen
die Friedensverhandlungen befriedigend fortschreiten,
aber daß einige Punkte vorliegen, die gewisse Schwie-
rigkeiten für die Einigung bieten. Ehe Du Deine end-
gültige Entscheidung für den Frieden oder für die Fort-
setzung des Krieges triffst — die letztere wurde von
weitreichenden Folgen sein, die in ihrem ^Endergebnis
schwer vorauszusehen sind, und 'unzählige Menschen-
leben, Blut und Geld kosten — wäre es, wie mir
scheint, ein ausgezeichnetes Verfahren, wenn Du diese
Frage erst der Großen 'Duma vorlegen würdest. Da
diese das russische Volk vertritt, wäre ihre Antwort
die Stimme Rußlands.
Wenn sie sich für den Frieden entscheidet, so bist
Du durch das Volk ermächtigt, auf Grund der Deinen
Delegierten in Washington unterbreiteten Vorschläge
Frieden zu schließen. Wenn so Rußland selbst
seine Ehre für gewahrt hält, so kannst Du Dein
Franz I.: „Alles ist verloren außer der Ehre." Niemand
Schwert in die Scheide stecken mit den scTiönen Worten
in Deiner Armee, in Deinem Laude oder in der übrigen
Welt hat ein Recht, Dich für diese Handlung zu tadeln.
Wenn anderseits die Duma die Vorschläge für un-
annehmbar erachtet, und die japanische Regierung sich
220
weigert, auf einer anderen Basis zu verhandeln, dann
wiederum ist es Rußland selbst, das durch die Stimme
der Duma Dich, seinen Kaiser, auffordert, den Kampf
fortzusetzen. Dadurch würde sie die volle Verantwor-
tung für die gesamten Folgen auf sich nehmen und
Dich ein für allemal vor der Welt und vor der Ge-
schichte in Zukunft vor dem Vorwurf schützen, daß Du
Tausende von vaterlandsliebenden Söhnen, ohne das
Land zu fragen oder gar gegen ihren Willen, geopfert
hättest.
Dies wird Deiner persönlichen Tat eine große Wucht
und Kraft verleihen, da Du Dich durch den Willen der
Gesamtheit Deines Volkes getragen fühlen wirst, das
entschlossen ist, bis zum bitteren Ende zu kämpfen,
ohne Zeitaufwand, Verluste und Entbehrungen zu
scheuen. Nur unter solchen Bedingungen läßt sich der
Krieg ja fortsetzen.
Ich würde an Deiner Stelle nicht diese erste und
günstigste Gelegenheit vorübergehen lassen, mit dem
Empfinden und Wollen Deines Landes in bezug au*t
Krieg und Frieden enge Fühlung zu gewinnen, indem
Du dem russischen Volke die langgewünschte Möglich-
keit gibst, die Entscheidung über seine Zukunft selbst
zu treffen oder an dieser Entscheidung teilzunehmen,
wozu es ein positives Recht hat. Du würdest auch der
Duma sogleich eine gute Gelegenheit geben, zu arbei-
ten, zu zeigen, was sie vermag, und darzutun, ob sie
die Erwartungen, die jeder auf sie setzt, erfüllt.
Die Entscheidungen, die zu treffen sind, sind in
ihren Folgen so furchtbar ernst und so weitreichend,
daß es ganz unmöglich ist für irgendeinen sterblichen
Herrscher, die Verantwortung dafür auf seine eigenen
Schultern zu nehmen, ohne die Hilfe und den Rat
221
seines Volkes! Möge Gott mit Dir sein! Vergiß nicht
die Beförderung der Linientruppen gegenüber der
Garde.
Willy.
Sr. Majestät dem Kaiser.
Wilhelmshöhe.
Nimm wärmsten Dank für freundliches Telegramm,
das mich tief gerührt hat. Konnte nicht früher ant-
worten, da sehr beschäftigt mit Manöver in der Nähe
von Zarskoje Selo. Das Interesse, das Du für die
bevorstehende Einberufung der Duma zeigst, freut
mich sehr. Ich glaube, daß die Loyalität und der ge-
sunde Sinn meines Volkes eine große Hilfe für die
Entwicklung Rußlands in dieser beratenden Körper-
schaft sein wird. In den letzten drei Monaten habe
ich viel über die Frage von Krieg und Frieden nach-
gedacht. Ich erhalte täglich Telegramme, Briefe,
Adressen usw., in denen ich angefleht werde, keinen
Frieden unter harten Bedingungen zu schließen. Es
gibt zwei Punkte, für die jeder gute Russe bereit ist,
bis zum Ende zu kämpfen, wenn Japan darauf be-
stehen sollte: keinen Zoll unseres Landes und keinen
Rubel Kriegsentschädigung! Und dies sind gerade die
Bedmgungen, in denen Japan nicht gewillt ist, nach-
zugeben. Es gibt aber auch nichts, was mich be-
stimmen wird, in diesen beiden Fragen nachzu-
geben. Deshalb ist für den Augenblick keine Aussicht
auf Frieden. Du weißt, wie ich Blutvergießen ver-
abscheue. Trotzdem ist es einem schmählichen Frie-
den doch vorzuziehen, der einem den Glauben an sich
und sein Vaterland zerstören würde. Vielleicht wird
diese Frage morgen schon entschieden werden. Ich
222
bin bereit, die ganze Verantwortung auf mich zu
nehmen, da mein Gewissen rein ist, und da ich weiß,
daß die große Masse meines Volkes hinter mir steht.
Ich bin mir des Ernstes der Lage, in der ich mich
in diesem AugenbHck befinde, voll bewußt, aber ich
kann nicht anders handeln. Danke Dir für das Inter-
esse, das Du an meinen Sorgen nimmst. Herzlichen
Gruß von Alix. Nicky.
Sr. Majestät dem Kaiser.
Aus Schloß Rominten, 11. September, 12 Uhr
20 Min. mittags.
Auf Deinen freundlichen Befehl wird Witte am
26./13. hier sein. Weiß er über unseren Vertrag Be-
scheid? Soll ich ihm etwas darüber sagen, falls er
nichts weiß? HerzHchen Gruß für Alice. Hier vier
Hirsche geschossen. Nichts besonders Starkes. Wetter
kalt und schön. Waidmannsheil.
Sr. Majestät dem Kaiser,
Rom in t en.
Bis jetzt ist der Großfürst Nikolaus, der Kriegs-
minister, der Chef des Generalstabs und Lambsdorff
über Vertrag unterrichtet. Habe nichts dagegen, daß
Du Witte einweihst. Genieße meinen Aufenthalt auf
dem „Polarstem'^ Trockenes schönes Wetter. Herz-
lichen Gruß von Alix. Waidmannsdank. Nicky.
Homburg, Schloß, 4. September,
Q Uhr 30 Min. morgens.
Witte ist, wie ich höre, auf Rückreise. Würdest
DvL ihm erlauben, mich en passant zu besuchen auf
223
seinem Wege nach Rußland? Ich beabsichtige, ihm
Orden zu verleihen wegen des Zustandekommens des
Handelsvertrages, den er letztes Jahr mit Bülow ab-
geschlossen hat. Glückliche Fahrt! Unsere Manöver
sehr interessant in prächtiger Gegend, aber sehr naß.
Herzlichen Gruß für Alice. "Willy.
Kabeltelegramme von Washington brachten mir
Nachricht über die Verständigung auf der Konferenz
wegen der Friedenspräliminarien, durch die der end-
gültige Abschluß des Friedens, wie es scheint, endlich
gesichert ist. Darf ich meine herzlichen Glückwünsche
ausdrücken, daß eine Lösung gefunden ist, die Ruß-
land gestattet, mit vollen Ehren aus dem Kriege her-
auszukommen, dank sowohl der Tapferkeit Deiner
Armee wie Deiner Beharrlichkeit, mit der Du Ruß-
lands Rechte und nationale Ehre verteidigt hast? Ich
höre, daß Japan alle Deine Forderungen bewilligt hat.
Präsident Roosevelt hat, wie ich höre, übermensch-
liche Anstrengungen gemacht, um Japan soweit zu
bringen. Er hat wirklich ein großes Werk für Dein
Land und für die ganze Welt getan. Um so mehr da,
wie ich hörte, England sich absolut weigerte, einen
Finger zu rühren, um auf seinen Verbündeten Japan
einzuwirken und Roosevelts Wünschen zu entsprechen.
Also nochmals herzliche Glückwünsche. Ich bin froh,
wenn ich Dir in dieser Zeit von irgendwelchem Nutzen
war. Herzliche Grüße an Alix.
Aus Glücksburg (Ostsee), 29. September.
Der Wortlaut des Vertrages steht, worüber wir in
Björkö einig waren, nicht im Widerspruch mit der
franko-russischen Allianz — vorausgesetzt natürlich, daß
224
die letztere nicht direkt gegen mein Land gerichtet ist.
Auf der anderen Seite können die Verpflich-
tungen Rußlands Frankreich gegenüber nur soweit
gehen, wie Frankreich dies durch sein Verhalten ver-
dient. Dein Verbündeter hat Dich offenkundig im Stich
gelassen während des ganzen Krieges, während Dir
Deutschland in jeder Weise half, soweit es in seinen
Kräften stand, ohne die Gesetze der Neutralität zu
verletzen. Das bringt Rußland morahsch in Verbind-
Uchkeiten uns gegenüber; do ut des.
Inzwischen haben die Indiskretionen Delcasses der
Welt gezeigt, daß, obgleich Frankreich Dein Verbün-
deter ist, es mit England eine Verständigung abge-
schlossen hat und im Begriff stand, Deutschland mit
britischer Hilfe mitten im Frieden zu überfallen, wäh-
rend ich alles tat für Dich und Dein Land, seinen
Verbündeten. Dies ist ein Versuch, den ich nicht
noch einmal wagen dar., .;nd gegen dessen Wieder-
holung ich von Dir erwarten muß, mich zu
schützen. Ich bin ganz Deiner Ansicht, daß es
Zeit, Arbeit und Geduld kosten wird, um Frankreich
soweit zu bringen, sich uns beiden anzuschließen. Aber
die vernünftigen Leute werden sich in Zukunft durch-
zusetzen wissen! Unsere Marokkoangelegenheit ist zur
völligen Genugtuung geregelt, so daß die Luft frei ist
für ein besseres Verständnis zwischen uns. Unser Ver-
trag ist eine sehr gute Basis, um darauf weiter zu
bauen. Wir haben uns die Hände gereicht und vor
Gottgelobt, derunserGelübdegehörthat.
Deshalb glaube ich, daß der Vertrag gute Wirkung
haben wird.
Aber solltest Du irgendwelche Änderungen wün-
schen in dem Gerüst oder in den Bedingungen oder in
15 ' 225
den Vorkehrungen für die Zukunft oder für unvorher-
gesehene Ereignisse, z. B. die glatte Ablehnung Frank-
reichs, die unwahrscheinlich ist — , so bin ich gern
bereit, Vorschläge entgegenzunehmen, die Du für gut
hältst! Bis diese mir vorgelegt und von uns genehmigt
sind, muß dem Vertrage von uns zugestimmt werden
so, wie er ist. Deine gesamte einflußreiche Presse
Nowosti, Nowoje Wremja, Russj usw. ist seit 14 Tagen
heftig antideutsch und proenglisch geworden. Zum
Teil sind sie wahrscheinlich durch große Summen bri-
tischen Geldes gekauft worden. Dennoch macht dies
mein Volk äußerst vorsichtig und richtet großen Scha-
den an in den frisch geknüpften Beziehungen zwischen
unseren beiden Ländern. Alle diese Vorfälle zeigen,
daß die Zeiten getrübt sind, und daß wir klaren Kurs
zum Steuern brauchen. Der Vertrag, den wir unter-
zeichneten, ist ein Mittel, geradeaus zu gehen, ohne
Dein Bündnis zu stören. Was unterschrieben ist, ist
unterschrieben, und Gott ist unser Zeuge! 'Ich erwarte
Deine Vorschläge. Herzlichen Gruß für Alix.
Willy.
Sr. Majestät dem Kaiser,
Glücksburg, Hohenzollern, 30. September,
83/4 Uhr morgens.
Da Fritz Leopold am Sonntag eintrifft, um sich hier
vorzustellen, nachdem er mehrfach im Feuer gewesen
ist, möchte ich ihn mit dem St. -Georgskreuz 4. Klasse
auszeichnen. General Lanewitsch meldete mir seine
Kaltblütigkeit und tadellose Führung bei mehreren Affä-
ren im letzten Mai. Herzlichen Gruß.
N i c k y.
226
. Aus Kiel, 13. Oktober (30. September) 1905,
1 Uhr 45 Min. nachmittags.
Sr. Majestät dem Kaiser.
Peterhof.
Sehr gerührt und dankbar für Deine gütige Absicht.
Ich beneide ihn um diese begehrte Auszeichnung. Herz-
lichen Gruß. Scheußliches Wetter. Willy.
Aus dem Neuen Palais, 15. Oktober,
2 Uhr 27 Min. nachmittags.
Bin so froh, meinen Schwager aus dem Kriege zurück
und bei Dir zu wissen. Nochmals tausend Dank für die
große Auszeichnung mit dem Georgskreuz! Es scheint,
daß der Erzunheilstifter von Europa in London wieder
am Werke ist. Die Enthüllungen Delcasses, die ihn und
seine Regierung allerdings schauderhaft kompromit-
tieren, zeigen einen geplanten Krieg gegen unsere
friedliche Nation. Wie Räuber im Walde! Er hat
Benckendorff — Deinen Botschafter — in geheimer
Mission mit Instruktionen zu Deiner Mutter nach
Kopenhagen geschickt, um sie dafür zu gewinnen.
Dich für eine Politik gegen mich zu beeinflussen. Das
Auswärtige Amt in London ist über seine Reise unter-
richtet, die von Deiner Botschaft abgeleugnet wird. Ich
könnte natürlich falsch unterrichtet sein, aber das son-
derbare Benehmen Englands läßt mich glauben, daß
es nichts schaden kann, wenn ich Dich für alle Fälle
unterrichte. Es ist sonderbar, daß Dein Botschafter
sich zu solchen Tricks hergibt. Man kommt ja doch
dahinter, und sie rufen nur neue Erregung hervor, und
davon hatten wir wirkhch in letzter Zeit genug. Herz-
Hchen Gruß. Wetter scheußlich. Willy.
15* 227
Sr. Majestät dem Kaiser,
Neues Palais.
4./17. X. 1905.
Vielen Dank für Dein Telegramm. Benckendorff ist
mit meiner Erlaubnis dort auf Einladung meiner Mutter,
da er Freund der dänischen Familie ist. Was für eine
Art Unterhaltung geführt wurde, weiß ich nicht. Aber
ich kann Dir die Versicherung geben, daß mich absolut
nichts beeinflussen wird, ausgenommen das Interesse,
die Sicherheit und die Ehre meines Landes! Bencken-
dorff ist ein loyaler Untertan und ein echter Gentleman.
Ich weiß, daß er sich nie zu falschen Kniffen hergeben
würde, selbst wenn sie von dem großen Unheilstifter
kommen sollten. Delcasses Enthüllungen sind außer-
ordentlich, aber ich glaube, Bülows Unterhaltung mit
einzelnen Zeitungskorrespondenten hat nicht viel dazu
beigetragen, die Lage au'i'zuklären. Ich werde Dir bald
schreiben. Prinz Leopold sieht braun sehr gut aus.
Herzlichen Gruß von uns Beiden.
N i c k y.
Sr. Majestät dem Kaiser,
Hamburg.
Sehr freundlich von Dir, Witte sehen zu
wollen, um ihn auszuzeichnen. Genießen
unsere Kreuzfahrt, haben schönstes Wetter. Herzliche
Grüße von allen.
N i c k y.
Neues Palais, 13./26. XL 1905.
Dank für Brief. Werde erst antworten nach Rück-
sprache mit Kanzler. Deine Information über Tatten-
228
bach ist inkorrekt. Er hat die ganze Zeit „en concert^*
mit seinem befreundeten Kollegen gehandelt, und beide
haben bereits seit geraumer Zeit Fez verlassen. Ich
bin ganz Deiner Meinung, daß Komplikationen in
Europa und seiner Umgebung mit allen Mitteln ver-
mieden werden sollten. Es ist keine Gefahr, daß v^^elche
in Marokko oder wegen Marokko entstehen sollten.
Mazedonien und der Balkan scheint mir viel gefähr-
licher, und die Flottendemonstration gegen die Türkei
in diesem Moment könnte zu unerwarteten Konse-
quenzen führen, sobald die „amour propre*^ der isla-
mitischen Welt den Druck auf ihren Flerrn übel auf-
nehmen sollte. Der „Krimkonzern" ist hier am Werk.
Willy.
Abgesandt 19. November 1905.
Sr. Majestät dem Kaiser,
Neues Palais.
Vielen Dank für Deinen freundüchen Brief, der mir
großes Vergnügen bereitete. Unser Bündnis mit Frank-
reich ist ein defensives. Ich denke, daß die Erklärung,
die ich Dir sandte, in Kraft bleiben könnte, bis Frank-
reich unsere neue Verständigung angenommen hat. Ich
werde selbstverständlich alles tun, was in meiner Macht
steht, um die Marokkokonferenz zu einer allgemeinen
Verständigung zu bringen. Herzlichen Gruß von uns
beiden. Nicky.
Abgesandt 25. November 1905.
Sr. Majestät dem Kaiser,
Berlin.
Flügeladjutant Schebekow muß einen neuen Posten
erhalten. Ich schlage vor, ihn durch Oberst Tatischeff
229
von meinen Gardehusaren zu erse'tzen. Er ist lange
bei Onkel Wladimir gewesen, war oft in Berlin, spncht
sehr gut deutsch. Ich beabsichtige, ihn an meinem
Namenstage zum General ä la suite zu ernennen und
mit Deiner Billigung ihn Deiner Person zu attachieren.
Gleichzeitig möchte ich wissen, ob Du es notwendig
findest, daß wir wieder besondere Militärattaches er-
nennen, außer Lamsdorf und Tatischeff. Herzlichen
Gruß von Alize. Nicky.
Neues Palais, 30. November (13. Dezember) 1905,
8 Uhr 20 Min. morgens.
Oberst Tatischeff, von dem Du vorschlägst, ihn
meiner Person zu attachieren, soll willkommen sein.
Bezüglich Deiner Frage wegen besonderer Militär-
attaches neben denen „ä la suite'^ von uns beiden halte
ich es für praktisch, sie zu ernennen. Früher war es
immer so. Es bringt die persönlichen Attaches in
eine zu heikle und schwierige Position, wenn sie ihrem
Geschäft nachgehen sollen und zugleich zum Stabe des
Herrschers gehören. Sie müssen für diese Ehre
allein reser\'iert bleiben und nur solche offiziellen
militärischen oder vertraulichen Informationen aufneh-
men und loyal überbringen, die sie von ihrem Herrscher
empfangen, oder mit Erlaubnis ihrer Herrscher von
den offiziellen militärischen Stellen. Es müssen Per-
sonen von tadellosem Charakter sein, denen die Sou-
veräne unbeschränkt vertrauen dürfen, und die das
volle Vertrauen der Offiziere des betreffenden Haupt-
quartieres genießen. Das setzt voraus, daß sie absolut
nichts zu tun haben dürfen, was mit dem gewöhnlichen
Geschäft des üblichen Mihtäragenten zusammenhängt.
Werders Stellung bei Deinem Großvater ist ein gutes
Beispiel, wie es sein sollte. Herzlichen Gruß an Alix.
230 Willy.
Sr. Majestät dem Kaiser,
Berlin.
Graf Lambsdorff muß wegen Ministerwechsel fort.
Ich beabsichtige, ihn durch Iswolski zu ersetzen. Es
tut mir leid, ihn nicht in Berlin lassen zu können. Aber
ich brauche seine Dienste hier. Bin sicher. Du wirst
das verstehen. Bin nach Peterhof übersiedelt, da wirk-
liches Sommerwetter eingesetzt hat. Sah Tatischeff
heute. Er brachte Deine freundUche Botschaft. Herz-
liche Grüße von uns beiden.
Nicky.
Straßburg, 10. Juni, 6 Uhr 45 Min.
Sr. Majestät dem Kaiser,
Peterhof.
Dank für Informationen wegen Iswolski, die ich
durchaus verstehe. Hier ist der Sommer auch einge-
kehrt. Kastanien und Flieder sind in voller Blüte. Und
die Luft sehr warm. Herzhche Grüße an Alix.
Wilhelm.
Du weißt, wie freudig ich unserer Begegnung Anfang
August entgegensah. Leider entwickeln sich die Dinge
so ernst, daß ich entschlossen bin, die Duma aller-
nächstens aufzulösen. Ich bin sicher, daß Du begreifen
wirst, daß ich unter diesen Umständen mein Land
nicht verlassen kann. Mit großem Bedauern muß ich
voi läufig meinen Besuch in Deinen Gewässern auf-
schieben. Dieser unfreiwillige Aufschub verstärkt nur
noch meine Ungeduld, Dich zu sehen. Beste Grüße
von uns beiden.
Nicky.
231
Hamburg (Trondhjem), 7./20. Juli 1Q06,
10 Uhr 55 Min.
Ich bedaure unendlich, daß wir uns nicht treffen
können, verstehe aber vollkommen Deine Gründe, die
Dich hindern, in diesem Augenblicke Dein Land zu
verlassen. Ich hoffe sehr, daß wir uns später in ruhigen
Zeiten wieder treffen können. Gott sei mit Dir und
behüte Dich. Herzlichen Gruß an Alice.
Willy.
Wilhelmshöhe, 3./16. VIII. 1906, 6 Uhr 52 abends.
Onkel Berties Besuch ist sehr befriedigend verlaufen.
Er sieht gut aus und scheint in prächtiger Stimmung
zu sein. Wir waren uns darüber einig, daß die Auf-
rechterhaltung freundschaftlicher Beziehungen zwischen
unseren beiden Ländern nicht nur ein Segen für sie sei,
sondern ebenso für alle andern Nationen. Ich hoffe
aufrichtig, daß der Gedankenaustausch zwischen On-
kel Bertie und mir, der sich nur um die Befestigung
des Weltfriedens drehte, Dir und Deinem großen Reich
von Nutzen sein wird.
Willy.
Wilhelmshöhe, 4. August 1906.
Ich sende mein herzhchstes Dank für Dein freund-
liches Telegramm. Die Aufrechterhaltung freundschaft-
licher Beziehungen zwischen Deutschland und England
ist eine absolute Notwendigkeit für die Welt. Ich
bin froh über dies Resultat von Onkel Berties Besuch.
N i c k y.
232
Sr. Majestät dem Kaiser,
Berlin, 23. August 1906.
Nach Empfang von Tatischeffs Bericht bezügUch
Deiner Ansicht über Boris Gegenwart bei dem Ma-
növer habe ich ihn von der Grenze zurückgerufen.
Treueste Grüße. Nicky.
Travemünde, 17./30. VI., 11 Uhr 25 abends.
Ich erhielt durch Tatischeff Deinen freundlichen Vor-
schlag, ungefähr am 6. August nach Swinemünde zu
kommen und Peterhof am 4. zu verlassen. Ich bin sehr
dankbar für diese Absicht, aber wenn es Dir möglich
wäre, schon am 3. anzukommen, so würde ich diesen
Tag vorziehen, da ich bereits für den 6. August ein
Inspektionsprogramm für mich festgesetzt habe, das
nicht gut geändert werden könnte, ohne die öffentliche
Aufmerksamkeit zu erwecken. Ich hörte nämlich von
Kapitän Hintze, daß es Dir möglich wäre, zwischen
dem 23. JuU und 14. August zu kommen, so daß ich
hoffe, der 3. wird Dir nicht unbequem sein. Bitte,
laß mich wissen, ob Dir der 3. paßt. Dann werde
ich durch Kapitän Hintze Einzelheiten für unsere Be-
gegnung vorschlagen, welcher ich in freudiger Erwar-
tung entgegensehe. William.
"Sr. Majestät dem Kaiser,
Travemünde.
Peterhof, 11 Uhr 30 Min. abends, 18. Juni/1. JuH 1907.
Willige mit Vergnügen ein, am 3. August neuen Stils
anzukommen. Mir ist das ebenso angenehm. Werde
dankbar sein für nähere Einzelheiten, die durch Hintze
kommen. Wünsche Dir angenehme Fahrt.
Nicky.
233
Wilhelmshöhe, 15./2. VIII. 1907.
Aufgegeben 2 Uhr 15 Min.
Begegnung mit Onkel Bertie befriedigend. Onkel in
guter Laune und friedhch gesinnt. Die in Ma-
zedonien haben augenscheinlich Eindruck auf ihn ge-
macht. Er hält gemeinschaftliche Vorstellungen in
Athen für notwendig. Vom König über gegenwärtigen
Stand der Dinge in Rußland befragt, war glücklich,
ihm mitteilen zu können, daß ich von Dir gehört, alles
ginge gut. Die Heimschickung der Duma durch Dich
habe dieselbe Bedeutung wie die Verabschiedung des
portugiesischen Parlaments durch seinen Vetter Karl.
Nach mehreren regnerischen Tagen haben wir seit
gestern schönes Wetter. Unternahmen gestern morgen
Autofahrt durch die stillen Wälder der Umgegend,
hoffe sehr, daß Du Alix in guter Gesundheit ange-
troffen hast. Herzlichen Gruß an sie.
PERSONEN-VERZEICHNIS
Abdul Hamid, Sultan, IX. 166.
Adalbert, Prinz von Preußen,
46. 48. 183.
Adlerberg 132.
Aehrental, Grat, österreichi-
scher Minister des Äußeren,
158. 162.
d'Albert, Pianist 186.
Alexander IL, Zar, 12. 35. 74.
Alexander III., Zar, X. 1. 16.
21. 23. 45. 46. 48. 99. 104.
119. 138. 152.
Alexandra, Königinwitwe von
England, 182.
Alexandra Feodorowna, Za-
rin, 1.
Alexei Nikolajewitsch, russi-
scher Thronfolger, 1. 154.
184.
Alexejew, russischer Vizeadmi-
ral und Statthalter, 5. 6. 65.
72, 82.
Alvensleben, Graf v., Bot-
schafter, 95. 98. 135. 210.
211.
Amalde 66.
Arthur, Herzog von Con-
naught, 36. 64. 164.
Augusta Victoria, Kaiserin von
Deutschland, VI. 27. 28. 143.
145. 158. 163. 216.
B
Ballin, Generaldirektor, 213.
Benkendorff, v., russischer
Botschafter, 126. 227. 228.
Birilew, russischer Marinemini-
ster, 151.
Bismarck, Fürst Otto von,
Reichskanzler, XIII. 23. 24.
127. 129.
Boris, Großfürst, 233.
Boulygine 153. 216.
Bubnow, russischer Oberst, 6.
Bülow, Fürst, Reichskanzler,
71. 86. 87. 91. 100. 138.
192. 209. 212. 224. 228.
Burgdorf, Minna von, 131.
Cäcilie, Kronprinzessin von
Deutschland, 124.
Cambon 86.
Caprivi, v., Reichskanzler, 7,
Carnot 152.
Chelius, v, Generalleutnant, 186.
Clemenceau 86.
Combes 93.
Gourcelles 36.
Czernin VII.
D
Delcasse X. 86. 92. 93. 96.
200. 225. 227. 228.
Dragomiroff, russischer Gene-
ral, 9.
Dohna-Schlobitten, Grat, 174,
178. 179. 186.
Eckardstein, v., Botschaftsrat,
VII. XVII.
Edinburgh, Herzog von, 21.
Eduard VII., König von Eng-
land, XX. 73. 74. 79. 125.
127. 137. 146. 157. 158. 159.
160. 176. 232. 234.
235
Egloffstein 19.
Elisabeth, Prinzessin von Hes-
sen, 104. 106.
Eulenburg, Fürst Philipp zu,
Botschafter, 2.
Fallieres, Präsident von Frank-
reich, 142. 158.
Franz Joseph I., Kaiser von
Österreich, 149. 162. 207. 209.
Friedrich I., König von Preu-
ßen, 60.
Friedrich III., Kaiser von
Deutschland, 2. 16. 99.
Friedrich VIII., König von
Dänemark, 4. 79. 80. 144. 217.
Friedrich der Große 122. 163.
Friedrich Leopold, Prinz von
Preußen, 63. 101. 102. 105.
192. 226. 228.
Georg- I., König von Griechen-
land, 25. 26.
Georg V., König von England,
174. 177. 1S4.
Georg, Großfürst, 128.
Georg, Prinz von Griechen-
land, 185.
Gervais, französischer Admi-
ral, 152.
Giers, v., russischer Minister,
9. 19.
Gladstone 15.
Goltz, von der, General, 87.
Goluchowski, österreichischer
Ministerpräsident, 61.
H
Hamann, Geheimrat, VII.
XVII.
Hanotaux, Gabriel, 24.
Hardinges, Lord, 73.
Hatzfeld, Graf, Gesandter, 32.
236
Hayashi, Grat, japanischer Mi-
nister, 205.
Heinrich, Prinz von Preußen,
21. 27. 30. 35. 51. 53. 55.
70. 75. 170. 171.
Hilmi Pascha 61.
Hintze, v., Gesandter, 154. 163.
164. 172. 233.
Hohenlohe, Fürst Chlodwig,
Reichskanzler, 7. 8. 23.
I
Iswolsky XIX. XX. 100. 147.
161. 218. 219. 231.
Jacobi, V., General, 141. 145.
Jameson 18. >
Jaures XIV. 13.
Juan-shi-kai 69.
K
Karl I. (Karlos), König von
Portugal, 234.
Karl, Prinz von Dänemark,
später Haakon I., König
von Norwegen, 219.
Karl, Prinz von Hohenzollern,
101. 192.
Keller, Graf, 192.
Kesnakow, russischer Oberst,
50.
Knackfuß, Maler, 8.
Knesebeck 179.
Knorring 1.
Konstantin, König von Grie-
chenland, 128.
Konstantin Konstantinowitsch,
Großfürst, 45.
Krüger, Burenpräsident, 18.
Krupenskv, russischer Gesand-
ter, 72:
Krupp 104.
Kurino, japanischer Minister,
198.
Kuropatkin, russischer Gene-
ral, XIH. 72. 76. 82. 115. 115.
Lambsdorff, Graf, russischer
Ministerpräsident, 49. 61.
94. 95. 9S. 126. 202. 209.
210. 223. 231.
Lamsdorf, Graf, deutscher Mi-
Utärattache, Generaladju-
tant, 74. 83. 193. 201. 204.
206. 230.
Lanewitsch, russischer Gene-
ral, 120.
Lansdöwne, Lord, 205.
Lauenstein, v., Generalmajor,
173. 177.
Law, Maurice, 125.
Lobanoff, Fürst, russischer
Reichskanzler, 9. 10. 12. 15. 16.
Loubet X. 96.
Löwenfeld, v., Generaladju-
tant, 64.
Luther 75.
M
Mallet, britischer Botschafter,
15.
Marchand, französischer Ge-
neral, 43.
Margarete, Prinzessin von
Hessen, 108.
Maria, Großfürstin, 1.
Maria Feodorowna, Zarin-
witwe, 4. 80. 126. 144. 184.
Martin, Regierungsrat, XVIL
Mary, Königin von England,
184.
Meyer, amerikanischer Bot-
schafter, 124. 213.
Michael, Großfürst, 12. 49. 50.
119. 170. 213. 215.
Mirski, russischer Minister, 108.
Moltke, V., Oberpräsident, 87.
Moltke, V., Oberst, 12. 17. 25.
26. 31.
Murawieff, Graf, russischer
Minister, 44. 110.
N
Napoleon L 3. 28. 72. 77.
122. 186.
Nelidoff, russischer Botschaf-
ter, 134.
Nikolaus I., Zar, 34. 74. 109.
131. 132.
Nikolaus Nikolajewitsch,
Großfürst, 139. 223.
Nogi, japanischer General, 97.
O
Obolensky, russischer Adju-
tant, 54. 55.
Odero, 201.
Okuma, Graf, japanischer Mi-
nister, 155.
OUa, Großfürstin, 1.
Orlando 201.
Osten-Sacken, russischer Bot-
schafter, 2. 38. 66. 100. 173.
Pahlen 2.
Paul Alexandrowitsch, Groß-
fürst, 46. 49.
Plehwe, russischer Minister, 108.
Plüskow, V., Adjutant, 104.
Pobedonoszew, russischer Pro-
kurator, 110.
Raben, dänischer Minister des
Äußern, 218.
Radolin, Fürst, deutscher Bot-
schafter, 2. 17. 21. 30. 134.
Radziwill, Fürst Anton, 99.
Radziwill, Fürstin Marie, 99.
Reitzenstein, v., Kapitän, 53.
Richter, Generaladjutant, 2. 45.
Ridulsky 185.
Roosevelt 84. 123. 128. 132.
213, 224.
Roshestwensky, russischer Ad-
miral, 1. 3. 46.
237
Rouvier, französischer Finanz-
minister, 84.
Rubinstein 186.
Saionzkowsky, russischer Ge-
neral, 144.
Salisbury 15.
Samsonoff, russischer Gene-
ral, 97.
Sasonow, russischer Minister
des Äußeren, 172.
Selbournes, Lord, 204.
Sergius, Großfürst, 53, 104. 106.
Seymour 54.
Sinowiew, russischer Botschaf-
ter, 36. 37.
Skobelew 14.
Skrydlow, russischer Admiral, 6.
Sophie, Königin von Griechen-
land, 185.
Suchomlinow, russischer
Kriegsminister, 182.
Schebekovv, Generaladjutant,
82. 83. 197. 201. 209. 229.
Schenk, Oberst, 69.
Schilling 5.
Schimmelmann 59.
Schleinitz, v., preußischer Mi-
nister, 127. 129.
Schön, V., deutscher Botschaf-
ter, 135. 141. 147.
Schuwaloff, Graf, russischer
Botschafter, 1. 3. 46.
Schweinitz, General, 1.
Stahl 2.
Stössel, russischer General, 97.
196.
Storrer, Bellamy, [ amerikani-
scher Gesandter, 137.
Stremankoff, russischer Gou-
verneur, 169. 180.
Stroukow, russischer General,
175.
Tatiana, Großfürstin, 1.
Tatischeff, russischer General-
adjutant, 140. 146. 149. 158.
168. 182. 229. 230. 231. 233.
Tattenbach 140. 228.
Terni 201.
Thyra, Prinzessin von Däne-
mark, 184.
Tirpitz, Admiral, VII. 66.
Togo, japanischer Admiral, 200.
Tschertkoff, russischer Gou-
verneur, 58.
Viktoria, Kaiserinw^itwe von
Deutschland, 48. 50. 99. 141.
Viktoria, Prinzessin v. Schaum-
burg-Lippe, 127.
Viktoria Louise, Prinzessin von
Preußen, 20.49. 169. 184. 185.
W
Waldemar, Prinz von Däne-
mark, 184.
Waldersee, Grat, 46.
Wedel, Graf, 28.
V. Werder, General, 1. 20.
22. 29. 34. 36. 230.
Wilczeck, Grat, 149.
Wilhelm 1., Deutscher Kaiser,
5.23.31.34.35. 99. 113. 131.
Wilhelm, Deutscher Kron-
prinz, 45. 59. 178.
Witte, Graf, russischer Mini-
ster des Äußeren, XII. 74.
110. 132. 133. 134. 138.
139. 192. 216. 223. 228.
Wladimir Alexandrowitsch,
Großfürst, 21. 23. 24. 25.
146. 149. 230.
Yamai, japanischer General, 58.
238
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